Hans-Joachim Watzke spricht am 27. April auf der diesjährigen Ditec-Messe in der Braunschweiger Volkswagen Halle. Wir haben den Vorsitzenden der BVB-Geschäftsführung vorher angerufen – und wollten wissen, wie hoch der Druck im Fußballzirkus ist, warum er als Konservativer ausgerechnet einen Arbeiterverein führt und ob sich unsere zerrissene Gesellschaft am letzten Lagerfeuer einen lässt …
Herr Watzke, wie würden Sie sich vorstellen, wenn wir uns heute Abend irgendwo in Deutschland an einer Hotelbar treffen würden?
An der Bar? Wahrscheinlich gar nicht (lacht).
Das wäre ein kurzes Gespräch …
Im Ernst: Ich bin abends oft froh, wenn ich mal meine Ruhe habe. Aber falls doch, dann hätte ich gesagt, ich heiße Aki Watzke, fertig aus.
Sind Sie in erster Linie Manager oder gehört diese Bezeichnung immer in den Kontext von Borussia Dortmund?
Ich würde mich als Unternehmer bezeichnen, weil ich vor meiner Zeit im Fußball ja auch mal was anderes gemacht habe, und mein Unternehmen gehört mir heute noch. Unternehmensführung gehört einfach dazu. Aktuell habe ich das Glück, Borussia Dortmund führen zu dürfen, das hat sich eben so ergeben und ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.
Man könnte von beiderseitigem Glück sprechen, als man Sie 2005 an die Spitze geholt hat, anstatt eines Vereinsidols oder Ex-Profis …
Es ist unabhängig von Namen immer wichtig, dass du Leute an der Vereinsspitze hast, die sowohl ein Unternehmen führen können als auch ein bisschen Fußballsachverstand haben. Wenn nur eines von beidem gegeben ist, geht es in der Regel schief.

Sie haben aus dem Sanierungsfall BVB immerhin ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen gemacht, deshalb die Frage: Sind Sie ein guter Sanierer?
Sanierung machst du in den ersten zwei, drei Jahren, damals hatte ich mehrere Experten für das Thema an meiner Seite, das war keine One-Man-Show. (Lacht) Es ist inzwischen aber auch eine ambitionierte Aufgabe, einen Club 17 Jahre lang international so zu etablieren, dass er nicht mehr saniert werden muss.
Dann kam Corona und Sie mussten hautnah miterleben, wie sich das eigene Geschäftsmodell von einem Tag auf den anderen auflöst. Was denkt man in so einem Moment?
Wenn ich gewusst hätte, wie lange das alles dauert, hätte ich von Beginn an gar nicht mehr schlafen können. Es war ja so schon schwierig genug – sechs, acht Wochen gar kein Fußball und man wusste nicht, wann es weitergehen würde. Ich habe in dieser Zeit sehr viel mit Politikern gesprochen und dafür geworben, dass es irgendwann weitergeht. Das ist geschehen, aber ohne Zuschauer. Die Pandemie hat uns bisher deutlich mehr als 120 Millionen Euro gekostet. Das ist Wahnsinn, absoluter Wahnsinn.
Was würden Sie anderen Unternehmern raten, die sich in ihrem Geschäft allzu sicher fühlen …
Für solche Situationen gibt es keine Blaupause. Und die Welt dreht sich heute sehr, sehr schnell. Erst hatten wir Corona, seit einigen Wochen führt Russland einen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Dinge verändern sich überall auf der Welt auf tragische Weise rasant.
Auf verschiedenen Vortragsplattformen werden Sie mit einer Keynote zur Frage angekündigt, ob Erfolg planbar ist. Können Sie uns die Antwort verraten?
Du kannst planerisch natürlich ein paar Parameter beeinflussen, benötigst eine gute Strategie, Durchhaltevermögen, Nachhaltigkeit. Aber was den Fußball angeht: ohne Glück geht auf dem Platz am Ende gar nichts. Der Ball kann an den Pfosten und rein oder am Tor vorbei gehen, die fußballerische Leistung ist in beiden Fällen dieselbe, die Bewertung aber eine völlig andere. Mal ganz abgesehen vom sportlichen Erfolg und dem finanziellen Ertrag …
Mit 30 Jahren haben Sie die Watex Schutzbekleidungs GmbH gegründet, heute führt Ihre Frau das Unternehmen. Ihr Sohn ist auch eingestiegen …
Er spielt mittlerweile eine tragende Rolle, und es macht viel Spaß, das aus der Ferne zu beobachten. Ehrlicherweise war ich selbst schon lange nicht mehr im Unternehmen, aber im digitalen Zeitalter ist es ja möglich, die Zahlen jederzeit von außen anzuschauen, und das sieht alles gut aus.
Sie schauen in die Bilanzen?
Das sowieso. Jeden Abend bekomme ich die Umsätze auf mein iPhone, aber sonst bin ich weit weg. Ich habe mich in den vergangenen 17 Jahren komplett auf den Fußball konzentriert …
Auf einer Aktionärsversammlung 2009 haben Sie gesagt, die Wolfsburger würden mit 136 Fans durch die Gegend fahren, Sie hätten 3,7 Millionen Anhänger. Wie wichtig ist Tradition für den Fußball?
Extrem wichtig, weil sie Menschen bewegt. Andererseits muss man ehrlicherweise sagen, dass es nur mit Tradition und ohne finanzielle Ressourcen nicht geht. Deshalb spielt Wolfsburg in der ersten Liga und Braunschweig in der dritten. Aber die Eintracht hat immerhin gestern bei unserer zweiten Mannschaft gewonnen. Das hat mir natürlich nicht gefallen, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn sie wieder aufsteigen.
Verfolgen Sie den Verein?
Aus dem Augenwinkel. Ich war acht Jahre alt, als Braunschweig Meister geworden ist. Namen habe ich noch im Kopf, der Jäcker im Tor, Kaack, Ulsaß, Dulz und wie sie alle hießen. Ich habe großen Respekt vor dem Verein …
Sind Sie ein Siegertyp?
Ich gewinne lieber, als zu verlieren. Aber wenn man sieht, dass die Bayern neunmal hintereinander Deutscher Meister geworden sind und die Nummer zwei schon als erster Verlierer gilt, muss man sich von der Frage des Sieges auch etwas freimachen.

Wie schwer fällt es Ihnen denn, sich jede Saison erneut zu motivieren, obwohl Sie wissen, dass bestenfalls der zweite Platz herausspringt?
So klar würde ich das im Ergebnis nicht unterschreiben. Ihre Frage spiegelt zwar die wirtschaftliche Realität wider, aber wir haben es ja nun auch schon ein paarmal geschafft, Meister zu werden oder den Pokal zu holen. Und genau das möchte ich noch einmal persönlich erleben. Insofern: Wir geben nicht auf!
Fragen Sie sich manchmal, ob es 2005 der richtige Schritt war, in den Fußballzirkus einzusteigen?
Das habe ich noch keinen einzigen Tag in meinem Leben bereut – ich habe es mich ehrlichweise noch kein einziges Mal gefragt. Fußball ist mein Leben, war es schon immer. Das ist Genuss ohne Reue.
Sie haben dem Handelsblatt einmal gesagt, das Umfeld fordere den maximalen sportlichen Erfolg, so dass man ein Stück weit zum Getriebenen wird. Wie erden Sie sich?
(Lacht) Da helfen mir vielleicht die Gene. Ich bin 50 Prozent Ruhrgebiet und 50 Prozent Sauerland. Mit der Mischung können Sie gar nicht abheben. Die Herausforderung ist, dass Erfolg im Fußball immer am sportlichen und nicht am wirtschaftlichen Ergebnis gemessen wird. Der Fan möchte maximalen sportlichen Erfolg bei gleichzeitiger Vermeidung der Insolvenz. Das ist die einzige wirtschaftliche Vorgabe, die Fans machen. Da muss man schon aufpassen.
Felix Magath hat sich gerade zum Thema Burnout geäußert, außerdem gab es den tränenreichen Abschied von Max Eberl. Ist der Druck im Bundesligageschäft zu groß?
Der Druck ist sehr, sehr groß. 90 Minuten verändern alles, und damit müssen sie umgehen können. Aber ich halte sehr wenig davon, wenn wir im Profifußball, die wir ehrlicherweise extrem privilegiert sind, zu viel klagen. Denn ich glaube, dass auch viele ganz normale Menschen, die zwei Jahre lang während Corona auf 60 Quadratmetern und ohne Balkon gelebt und vielleicht um ihren Job gebangt haben, Druck verspürten.
Also nicht so viel jammern?
Ich möchte als gesunder Mensch nicht über den Druck in meinem Beruf jammern. Das ist korrekt. Aber wenn jemand ein ernsthaftes gesundheitliches Problem hat, dann sollte man das natürlich ernst nehmen. Und ich wünsche Max Eberl wirklich von Herzen, dass er schnell wieder fit wird und sich gut fühlt.
Lesen Sie eigentlich, was über Sie in den Medien geschrieben wird?
Ich bekomme täglich einen Pressespiegel, aber man muss aufpassen – gerade was die anonymen verbalen Entgleisungen und die Kritik in den Sozialen Medien angeht. Wenn sie dort sagen, dass am 24. Dezember Heiligabend ist, gibt es immer noch 10 Prozent, die meinen, das sei Blödsinn! Ich mache mich von Social Media weitgehend frei und fahre gut damit.
Sie sind immer noch Vorsitzender des SV Rot Weiß Ehrlinghausen e.V., dessen Stadion nach Ihrem Vater benannt ist. Champions League und Dorfverein – wie bekommen Sie das zusammen?
Es bedarf einer großen Liebe zum Sport. Und zur Wahrheit gehört auch, dass ich ein tolles Vorstandsteam bei RW Ehrlinghausen habe und operativ nicht viel zusteuern muss.
Ihr Vater war CDU-Landtagsabgeordneter. Sie selbst waren in der CDU und in der Jungen Union aktiv. Ein Konservativer an der Spitze eines Arbeitervereins. Warum passt das?
Unser Präsident ist Sozialdemokrat, und wir verstehen uns seit 17 Jahren großartig. Insofern ist das die perfekte Symbiose, und in den von Ihnen genannten Kategorien wird heutzutage sowieso nicht mehr gedacht. Vor 50 Jahren hätte ich es wohl in Dortmund noch schwerer gehabt.
Sie waren im Team Laschet …
Nene, ich war in gar keinem Team.
Sie haben sich aber persönlich für ihn eingesetzt …
Als ich gefragt wurde, ob Armin Laschet ein anständiger Politiker ist, habe ich mehrfach „Ja“ gesagt. Wir haben ihn als NRW-Ministerpräsidenten sehr oft gebraucht, er hat uns gerade in der Pandemie geholfen. Aber ich mache keinen Wahlkampf – das würde ich nicht mal für Friedrich Merz tun, mit dem ich bekanntermaßen seit 40 Jahren befreundet bin.
Würden Sie sich denn als Konservativer bezeichnen?
Wertkonservativ. Der konservative Ansatz ist, Gutes bewahren zu wollen. Dahinter stehe ich, aber es darf nicht dazu führen, dass sich nichts mehr verändert.
Nun steht unser Land vor großen Herausforderungen – Energiewende, Digitalisierung, Integration, Überalterung. Wenn wir dazu die Fußballparallele ziehen: Was muss jetzt in der Kabinenansprache auf den Tisch, damit wir alle daran glauben, es schaffen zu können?
Wenn ich die Ampelkoalition sehe – da mühen sich drei Parteien ab, die nicht ideal zueinander passen. Dafür braucht es schon einen sehr guten Kommunikator, und ich kann nicht beurteilen, ob Olaf Scholz das ist, denn zumindest bei der Regierung bin ich ja nicht in der Kabine (lacht).
Sie haben 2019 in einem Interview mit der Mittelstands- und Wirtschaftsunion beschrieben, dass die Gesellschaft auf Sie einen zerrissenen Eindruck macht …
Da lag ich nicht ganz falsch, oder? Jetzt, drei Jahre später würde ich sagen, unterschreibt diese These fast jeder.
Welche Rolle kann der Fußball als das viel zitierte letzte Lagerfeuer in der Republik spielen? Oder überfordert man den Sport mit solchen Fragen?
Der Fußball hat nicht die Kraft, die Gesellschaft komplett zu verändern oder zu einen, aber er bildet sie ab. Und insofern kann beispielsweise eine gute Weltmeisterschaft schon etwas Verbindendes auslösen, davon bin ich überzeugt!
Warum spielt die Herkunft an diesem Lagerfeuer eigentlich noch eine Rolle?
Ich glaube nicht, dass das ein Fußball-Thema ist. So intensiv, wie sich der Sport seit Jahren gegen Rassismus positioniert und für ein friedliches Miteinander einsetzt: Auch der BVB ist hier wirklich sehr, sehr aktiv. Wir machen u.a. seit zwölf Jahren mehrtägige Bildungsfahrten nach Auschwitz und haben unsere Anti-Rassismus-Arbeit von einer Universität wissenschaftlich begleiten und bewerten lassen, um noch effektiver zu werden. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem haben wir beim Neubau des „Haus der Sammlungen“ mit einem siebenstelligen Betrag unterstützt. Als mittelständisches Unternehmen. Wir sind ja kein DAX-Konzern.
Und das ist mehr als ein Imagethema?
Absolut, ohne jede Frage! Das ist uns einfach wichtig. Punkt.
Eigentlich wäre Ihr Vertrag Ende 2022 ausgelaufen, aber aufgrund der Pandemie haben Sie noch einmal um drei Jahre verlängert. Im jetzigen Zustand wollten Sie den Verein nicht übergeben?
Ich spüre hier eine große Verantwortung in herausfordernden Zeiten. Man hat mich gebeten, es ist alles gut so.
Wollen Sie zurück in die Gewinnzone kommen, bevor Sie sich verabschieden?
Das ist der Plan!