und
2. November 2020
Entscheider

„Deutschland ist nicht der Verlierer der nächsten großen Revolution“

Dr. Jürgen Zehetmaier, Vorstandsmitglied und Sohn des Gründers der msg systems AG, und Andreas Lehmann, Geschäftsführer msg DAVID, über technologische Basiskompetenz, einen Namensvetter in New York und die gewisse IT-DNA …

Dr. Jürgen Zehetmaier, Vorstandsmitglied der msg systems AG, und Andreas Lehmann, Geschäftsführer von msg DAVID. Foto: Holger Isermann.

Dr. Jürgen Zehetmaier, Vorstandsmitglied der msg systems AG, und Andreas Lehmann, Geschäftsführer von msg DAVID. Foto: Holger Isermann.

Im Jahr 1980 beschließen die drei Informatiker Hans Zehetmaier, Herbert Enzbrenner und Pius Pflügler, ein eigenes Unternehmen zu gründen – die Münchener Software Gesellschaft. Der Name sei für eine derart kleine Betriebsgröße ziemlich vermessen, gibt ihnen damals der Richter im Registeramt zu bedenken. So einigen die drei sich spontan auf die Kurzform msg Software GmbH.

40 Jahre später ist aus dem einstigen Fünf-Mann-Start-up eine über 8.000 Mitarbeiter starke Unternehmensgruppe erwachsen, die an 27 Standorten weltweit agiert – Umsatz: gut eine Milliarde Euro im vergangenen Geschäftsjahr. Bis 2025 möchte man die 1,75 Milliarden-Euro-Marke knacken. „In den größeren Branchen spielen wir sicherlich in der ersten Liga, in der einen oder anderen vielleicht sogar manchmal in der Champions League-Qualifikation“, sagt Dr. Jürgen Zehetmaier.

Der Sohn des Gründers ist seit Anfang dieses Jahres Mitglied im Unternehmensvorstand und für das Titelinterview extra aus der Münchener Zentrale nach Braunschweig gereist. Die hier ansässige msg DAVID ist seit 2014 Tochter der Unternehmensgruppe, rund 250 Mitarbeiter stark und möchte gerade jetzt in der Corona-Krise wachsen, um „mehr Vielfalt und Branchen zu etablieren“, sagt Geschäftsführer Andreas Lehmann.

Bevor wir erfahren, dass unsere Gesprächspartner in ihren jeweiligen Freundeskreisen durchaus als Nerds gelten und wie viele Roboter zu Hause ihren Dienst tun, ist zunächst die auf Langfristigkeit angelegte „msg-Denke“ Thema – und die in vielen IT-Unternehmen vorherrschende Kultur. Deshalb wird uns nach dem Kaffee zuallererst natürlich das Du angeboten …

Jürgen, Andreas, wofür steht eigentlich die Abkürzung msg?
Jürgen: Als die Unternehmensgründer das Unternehmen beim Registergericht anmelden wollten, wollten sie es Münchener Software Gesellschaft nennen. Der Richter fragte dann, wie viele Mitarbeiter sie haben. Zu dem Zeitpunkt waren es fünf und man erhielt die Antwort, dass der Name dafür vielleicht etwas vermessen sei. Also haben die Gründer sich für die Abkürzung msg entschieden.

Mittlerweile würde der Richter wahrscheinlich anders reagieren …
Jürgen: Wahrscheinlich. Wir haben mit unserem internationalen Wachstum übrigens gemerkt, dass es einige identische Namen gibt. Msg.com gehört beispielsweise dem Madison Square Garden in New York. Wir sind stolz, dass wir msg.group zuerst reserviert hatten, der Madison Square Garden hat zwar dagegen geklagt, aber wir haben gewonnen (lacht).

1980 legte dein Vater, Hans Zehetmaier, als einer von drei Gründern den Grundstein der heutigen msg-Gruppe. Wie sahen die Anfänge aus?
Jürgen: Man ist damals mit fünf Leuten gestartet, als IT immer mehr aufkam. Erst regional in München. BMW war einer der ersten Kunden, deswegen haben wir eine gewisse Automobilhistorie. Natürlich haben wir auch den einen oder anderen Zukauf getätigt, sind aber vor allem stark organisch gewachsen.

Vor 40 Jahren sah die Arbeit eines IT-Unternehmens sicher noch anders aus, oder?
Jürgen: Absolut. Man hat meistens beim Kunden an deren Großrechnern gearbeitet. Das waren noch ganze Räume – 30 bis 40 Quadratmeter für eine Festplatte mit 20 Megabyte Speicher. Oft ging es um Auftragsfertigungen im klassischen Sinne. Die Zentrale war ein kleines Büro in München Nymphenburg. Später sind wir dann in den Vorort Ismaning gezogen und haben dort 2003 unsere eigene Firmenzentrale errichtet. Heute hat die Gruppe mehr als 8.000 Mitarbeiter und im letzten Jahr die Marke von einer Milliarde Euro Umsatz geknackt.

Das fünfköpfige Management der msg-Gruppe: Dr. Jürgen Zehetmaier, Rolf Kranz, Bernhard Lang, Dr. Stephan Fronhoff (Vorsitzender) und Karsten Redenius. Foto: msg.
Das fünfköpfige Management der msg-Gruppe: Dr. Jürgen Zehetmaier, Rolf Kranz, Bernhard Lang, Dr. Stephan Fronhoff (Vorsitzender) und Karsten Redenius. Foto: msg.

Was waren die Gründer für Typen?
Jürgen: Alle Informatik- und Betriebswirtschaftslehrestudenten, drei waren damals als Werkstudenten bei IBM …

… und dein Vater? Was ist er für ein Mensch? Welche Vision hatte er damals?
Jürgen: Er hat bei IBM Großkonzernstrukturen kennengelernt und wollte an der einen oder anderen Stelle flexibler sein und einfach etwas bewegen. Es war anfangs nie der Plan, ein konkretes Ziel zu erreichen, sondern eher das Business weiterzuentwickeln. Und genau das ist dann ja auch sukzessive passiert. Die konkreten Ziele kamen dann mit der Zeit.

Zum Beispiel?
Jürgen: Wir hatten beispielsweise 2013 eine „Agenda 2020“, angelehnt an einen früheren Bundeskanzler, der hier in der Nähe verwurzelt ist. Damals standen wir bei 500 Millionen Euro Umsatz und wollten uns ein besonders großes Ziel setzen – nämlich eine Milliarde Euro. Es ist für uns ein Erfolg, dass wir es schon ein Jahr früher in 2019 geschafft haben.

Denkt ihr ähnlich ambitioniert auch für die Zukunft?
Jürgen: Wir haben jetzt einen Refresh gemacht und uns auch mit den Veränderungen im Vorstand das Ziel „Roadmap 2025“ gesetzt, mit 1,75 Milliarden Euro Umsatz in den nächsten fünf Jahren.

Wie lange hat es das Gründungsteam eigentlich zusammen ausgehalten?
Jürgen: Zwei sind relativ schnell ausgestiegen. Hans Zehetmaier, Herbert Enzbrenner und Pius Pflügler sind alle drei noch aktiv. Hans Zehetmaier ist im Aufsichtsrat, die anderen beiden sind in Projekten tätig.

Es ist eher selten, dass Gründer nicht auf der obersten Führungsebene aktiv sind …
Jürgen: Man hat schnell gesehen, dass es unterschiedliche Kompetenzen gibt und gerade Pius kennt die Versicherungsbranche in- und auswendig. Immer, wenn es große Projekte gibt, schicken wir ihn hin, er sortiert und sorgt dafür, dass alles läuft. Und Herbert hat sich auf die Themen In- und Output-Management fokussiert. Beide haben eher eine Fachkarriere eingeschlagen und das hat auch immer gut funktioniert. Es war ein Erfolgsfaktor, dass das Dreierteam sehr stabil geblieben ist.

Wie hast du als Kind die Unternehmensentwicklung wahrgenommen?
Jürgen: Natürlich bekommt man das mit. Wir hatten zum Beispiel relativ früh einen Home-PC, weil mein Vater am Wochenende zu Hause gearbeitet hat. Er war dafür schon damals recht flexibel und konnte sich auch mal vormittags Zeit für mich nehmen.

Also kein abwesender Vater?
Jürgen: Schon Montag bis Freitag – da haben wir ihn als Kinder nicht gesehen, weil er erst nachhause kam, wenn wir schon geschlafen haben. Aber am Wochenende hat er sich die Zeit genommen und es war ihm auch wichtig, in dieser Zeit abzuschalten.

Stand für dich immer fest, dass du einmal ins Unternehmen eintreten wirst?
Jürgen: Eigentlich nicht. Ich war nach dem Studium einige Jahre bei Pwc in der Beratung und habe immer gesagt, dass ich nur einsteige, wenn mein Vater noch da ist, damit es eine gewisse Übergangsphase gibt. Die Entscheidung haben wir dann bewusst gefällt.

Wie sah dein Einstieg aus?
Jürgen: Meine externen Erfahrungen waren schon hilfreich, um auch mal den Blick von außen und bereits andere Projekte umgesetzt zu haben. Man bekommt in einer anderen Firma auch andere Kritik und Feedback, als das in meiner Rolle heute ist …

Die Unternehmenszentrale im Münchener Stadtteil Ismaning. Foto: msg.

… weil du der Sohn eines Gründers und Gesellschafters bist?
Jürgen: Natürlich. Darüber muss man sich im Klaren sein. Ich weiß, dass bestimmte Themen jetzt nicht mehr zu mir gelangen, die Gerüchteküche beispielsweise. Obwohl wir schon eine flache Hierarchie pflegen, ist jeder Vorstand direkt ansprechbar. Aber natürlich bin ich immer auch in der Rolle des „Sohn des Gründers“.

Ist das eine Bürde oder ein Privileg?
Jürgen: Beides. Die Erwartungshaltung ist hoch. Da hilft es, wenn man woanders bereits eine Karriere hatte. Es war für mich auch nie eine Option, direkt in der msg zu starten. Ich bin dann auch bewusst mit einer kleinen Einheit gestartet und habe nach und nach weitere Aufgaben übernommen.

Könnt ihr den Begriff Digitalisierung eigentlich noch hören?
Andreas: Auf jeden Fall. Der Wandel treibt uns und unser Geschäft an. Darauf ist sowohl der Erfolg der letzten Jahre als auch die Zukunft gegründet.
Jürgen: Ehrlich gesagt hören wir vielleicht schon etwas weg und filtern anders (lacht). Denn es gibt viele Buzzwords, wie DevOps, aber die Themen dahinter sind oft nicht neu. Im Endeffekt ist KI nichts Anderes, als Prozesse zu automatisieren. Die IT hat das auch schon vor zehn Jahren gemacht. Damals gab es auch schon Formen von künstlicher Intelligenz.

Wenn mittlerweile fast alles digital durchdrungen ist, macht der Begriff dann als Beschreibung eines Wandels überhaupt noch Sinn? Und wie weit sind wir auf dem Weg?
Andreas: Die Frage ist, was sind 100 Prozent? Wann ist alles digital? Ich glaube, es wird immer weitergehen. Die IT hat seit den 60er-Jahren Prozesse automatisiert und wir sind heute noch nicht fertig. Die Automobilindustrie beispielsweise ist schon sehr weit und auch hinsichtlich ihres Geschäftsmodells massiv davon betroffen. Was ich daran spannend finde, ist, dass es sich anfühlt, als sei es die erste Branche, in der das so massiv zum Tragen kommt. Aber in der Musikindustrie oder bei den Fotoapparaten gab es die Auswirkungen schon viel früher.
Jürgen: Ich sehe es genauso. Die Schritte der Digitalisierung werden immer schneller und 100 Prozent kann man nicht beschreiben. Ich muss beispielsweise immer schmunzeln, wenn Leute sagen, dass Beamen rein physikalisch nicht möglich ist …

… warum?
Jürgen: Wenn ich heute in Videokonferenzen sitze, denke ich mir, dass das vom Beamen gar nicht so weit entfernt ist. Ein Kunde von uns hat seinen Mitarbeitern den CEO per 3D-Hologram eingeblendet, das ist schon sehr futuristisch. Man wird überrascht sein, was noch alles möglich sein wird.

Wie steht Deutschland in der vierten industriellen Revolution im internationalen Vergleich da?
Jürgen: Es gibt zwei Aspekte. Erstens sind wir in der Vermarktung in Deutschland nicht so offensiv wie andere. Man muss schon sagen, dass die großen Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon heute die Standards setzen. Aber meiner Meinung nach darf man sich in Deutschland nicht verstecken. Wir haben mit der SAP, übrigens einer unserer großen Kooperationspartner, eines der weltweiten Top-Unternehmen der Branche …

… ein erfreulicher Einzelfall?
Jürgen: Nein. In anderen Ländern ist man nicht meilenweit voraus, ganz im Gegenteil. Es wird viel investiert und ich bin fest überzeugt, dass in Deutschland genauso akribisch daran gearbeitet wird. Man sieht es in der Automobilbranche. Deutschland ist nicht der Verlierer der nächsten großen Revolution. Und wir wollen dabei helfen.

Bernd Osterloh sagte im letzten Standort38-Interview, dass er gerade bei vielen Zulieferern Bedenken hat, was ihre Ausrichtung auf die Elektromobilität angeht …
Jürgen: Natürlich richten die großen Unternehmen den Blick am weitesten in die Zukunft, weil sie breiter aufgestellt sind. Aber jeder Zulieferer macht sich heutzutage Gedanken und ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Pläne in der Schublade hat, wie er auf diesen Wandel reagieren wird.

Unternehmensgründer Hans Zehetmaier wechselte Anfang dieses Jahres vom operativen Geschäft in den Aufsichtsrat. Foto: msg.

Anstelle der alten Wertschöpfungsblöcke wird es also neue geben und den etablierten Akteuren wird es gelingen, diese zu liefern?
Jürgen: Davon gehe ich aus. Es wird immer Fälle geben, die diese Transition nicht so gut hinbekommen, aber genauso Gewinner, die noch mehr Wertschöpfung daraus generieren.
Andreas: Der Mittelstand, so wie er heute existiert, war ja auch nicht schon immer da. Wir erleben gerade eine Beschleunigung der Start-up-Szene und die Kultur schwappt ein Stück weit zu uns. Daraus können sich neue Mittelständler entwickeln. Diese Chancen sehen wir auch lokal, an der Uni und der FH beispielsweise.

Covid-19 hat den Blick auf die digitale Leistungsfähigkeit unserer Schulen freigelegt. Gefällt euch, was wir sehen konnten?
Jürgen: Ich bin positiv überrascht, wie schnell man den Schalter umlegen konnte und wie viel in kürzester Zeit über virtuelle Medien passiert. Ich würde das nicht so negativ sehen, wie es oft kommuniziert wird …

Hier sitzen Optimisten …
Andreas: Sicher. Ich sehe darin eine große Chance. Es wurde viele Jahre angeprangert, dass etwas passieren müsste. Damit meine ich nicht nur eine gute Ausstattung und Infrastruktur, sondern auch den Betrieb des ganzen Systems. Darum muss sich jemand kümmern, die Lehrkräfte müssen geschult werden. Wie Schule heute funktioniert, ist letztendlich 50, 60 Jahre alt.

Die digitale Welt und ihre Möglichkeiten scheinen unendlich und zugleich unglaublich komplex. Wie viel Verständnis würdet ihr euch attestieren?
Andreas: Bei den Wirkmechanismen haben wir schon den Vorteil, dass wir uns unser gesamtes Berufsleben damit beschäftigen. Wir verstehen uns als Lotse in den Datenwelten, aber vorhersagen, was sich zukünftig entwickelt, ist immer schwer. Um Jürgens Beispiel aufzugreifen: Die Idee war einmal das Beamen, die technische Ausprägung ist eine ganz andere geworden. Nah dran, an dem, was man wollte, nämlich zu jeder Zeit an jedem Ort sein zu können, aber technisch anders gelöst.
Jürgen: Ziel erreicht (lacht). Es gibt bei modernen Themen auch immer Leute, die durch Begrifflichkeiten Komplexität erzeugen und Verwirrung stiften. Und es ist unser Auftrag, für die Kunden die Komplexität rauszunehmen und Zusammenhänge zu erfassen. Das macht IT beherrschbar.

Beherrschbarkeit ist ein gutes Stichwort, denn zuletzt kam viel Kritik gegenüber Google, Facebook und Co. auf, deren Algorithmen sich autonom weiterentwickeln und teilweise nicht mehr beherrschbar scheinen …
Jürgen: Das ist ein wichtiger Punkt. Ein Stück weit wurde die Kultur von digitalen Riesen überrollt und man war sich nicht immer klar, was das bedeuten kann. Manchmal wundere ich mich aber schon, was Leute bei Facebook preisgeben, ohne Kausalzusammenhänge zu beachten oder zu wissen, was mit den Daten passiert. Vielleicht ist es mit diesen Unternehmen am Anfang zu sehr in die eine Richtung geschwappt, aber jetzt bessern wir beim Datenschutz nach. Natürlich muss man auch schauen, dass die Technik einem nicht davonläuft.

Das msg DAVID-Team beim Braunschweiger Firmenlauf 2019. Foto: msg.

Viele problematische soziale Entwicklungen der Gegenwart, wie beispielsweise die Verrohung und Radikalisierung der Gesellschaft, werden mit dem Internet und den Sozialen Medien in Verbindung gebracht …
Andreas: Es ist schon so, sie sind Fluch und Segen zugleich. Es sind jetzt Dinge möglich, die vorher nicht möglich waren, und man muss einfach lernen, damit vernünftig umzugehen. Das sind Dinge, die in der Schule aktuell zu wenig angesprochen werden. Wir befinden uns momentan in einem ungesunden Zwischenzustand. Aber die positiven Einflüsse, die das Internet auf die Menschen, die Wirtschaft und die gesamte Entwicklung hat, sind viel größer als diese kleinen Themen, die nicht schön sind, aber die man auch nicht überbewerten sollte.

Ihr glaubt also, dass wir die Entwicklung wieder einholen und so etwas wie eine Nettikette oder sinnvolles Verhalten im Internet lernen können?
Andreas: Das wird gehen, da bin ich Optimist. Auf der anderen Seite, glaube ich auch, dass es nicht möglich ist, das Internet wieder einzugrenzen, wie es manche Staaten mit dem Verbot bestimmter Dienste versuchen. Es gibt keinen zentralen Server, den man abschalten kann, sondern das Netz ist dezentral aufgestellt und auch wenn einzelne Zweige abgeschnitten werden, gibt es immer einen Weg, dorthin zu kommen. Das Internet ist ein Teil der Gesellschaft geworden.
Jürgen: Wir sehen das alles auch bei uns intern. Wir arbeiten immer schon verteilt über viele Standorte, haben immer auch schon viel virtuell kommuniziert. Aber auch Umgangsformen in den virtuellen Medien versuchen wir zu steuern, sodass man auch in einer E-Mail eine Anrede nutzt und nicht in die Betreffzeile drei Wörter schreibt und die E-Mail ist dann leer.

Wie würdet ihr euren Markt und eure Mitbewerber beschreiben?
Jürgen: In unserem Markt ist viel Bewegung, das war immer schon so. Auch bei den wichtigsten Wettbewerbern fällt es mir schwer, ein oder zwei zu nennen. Wir sind stark nach Branchen aufgestellt und bei den Wettbewerbern gibt es Global Player, die großen IT-Beratungshäuser. Aber dann haben wir auch lokale Player, um mal die Versicherungsbranche zu nennen, die doch viel regionaler organisiert ist, als eine Automobilbranche. Es gibt also nicht die drei Hauptwettbewerber, sondern es kommt immer auf die Themen und Branchen an.

Dann konkreter: Welche Rolle spielt die msg-Gruppe national und international? Seid ihr erste Bundesliga oder zweite?
Jürgen: National ist das Branchenabhängig, in den größeren Branchen spielen wir sicherlich in der ersten Liga, in der einen oder anderen vielleicht sogar manchmal in der Champions League-Qualifikation (lacht).

Vergangenes Jahr veranstaltete das IT-Unternehmen mit Mind.Set die erste agile Konferenz der Region. Foto: msg.

Wo zum Beispiel?
Jürgen: In der Versicherungsbranche haben wir eine hohe Durchdringung. Auch im Banking-Umfeld, Automotive oder Public – das sind unsere vier größten Branchen. Wir haben auch junge Branchen, die sehr aggressiv und erfolgreich wachsen, um Life Science, Health Care oder Logistik zu nennen. National sind wir bei den Kunden bekannt, in der Bevölkerung eher weniger, da wir kein B2C-Geschäft haben. Etwa 70 Prozent unseres Umsatzes machen wir im DACH Raum. International wachsen wir gerade sehr stark, häufig mit unserem Partner SAP. Aber wir sehen natürlich auch die hiesigen Großkonzerne, wie VW, die von uns erwarten, dass wir Gesellschaften in China oder den USA bedienen können.

Die Internationalisierung ist also auch durch die Kunden getrieben?
Jürgen: Natürlich. Wir haben mittlerweile in über 20 Ländern Niederlassungen und zuletzt etwa in Mexiko und Australien Landesgesellschaften eröffnet. Es ist auch ein Stück weit unsere Roadmap, dass wir klar national, aber international überproportional wachsen.

Wie sieht es mit Near- und Offshore-Möglichkeiten aus?
Jürgen: Wir haben in Rumänien unser Nearshore-Center mit etwa 500 Leuten, in Indien unser eigenes Offshore-Hub. Da kommen wir wieder zu den Großkunden, die einfach erwarten, dass wir über solche Optionen im Preis nach unten und in der Leistung nach oben skalieren können.

Grenzt ihr euch dadurch von kleineren Mitbewerbern ab?
Jürgen: Definitiv.

Können wir über die großen Kunden sprechen?
Jürgen: Die großen deutschen Konzerne sind unsere Top-Kunden: VW, die Allianz, eine Münchener Rück, BMW, Daimler, im Public Sektor das Bundesverwaltungsamt und die Arbeitsagentur. Aber wir haben keinen Kunden, der mehr als fünf Prozent unseres Umsatzes ausmacht. Wir sind breit aufgestellt und unabhängig. Das ist uns wichtig.

Die msg-Gruppe ist trotz der Größe inhabergeführt. Wie wirkt sich das aus?
Jürgen: Wir haben nicht den Zwang, jedes Quartal an der Börse berichten zu müssen. Wenn wir eine Investition tätigen, die wir für die Zukunft brauchen und die Quartalszahlen deshalb etwas sinken, ist das für uns keine wichtige Kennzahl. Unsere Denke ist etwas langfristiger. Das ist möglich, weil wir komplett selbstfinanziert sind und nur mit Eigenkapital agieren. Und das liegt daran, dass wir die Gewinne ins eigene Wachstum stecken und nicht aus dem Unternehmen ziehen.

Stößt die mittelständische Idee bei der Größe des Unternehmens nicht mindestens in den Strukturen an Grenzen?
Jürgen: Das ist eine spannende Frage, die wir uns auch immer wieder stellen. Wir haben viele Mitarbeiter der ersten Stunde und sind stolz darauf, dass wir eine für unsere Branche relativ geringe Fluktuation haben. Aber natürlich haben wir mit 8.000 Leuten auch eine Größe erreicht, die man nicht mehr auf Zuruf steuern kann.

Also doch die Konzern-Denke?
Jürgen: Nein. Unser Ansatz ist: so viele Prozesse wie nötig, aber so wenige wie möglich. Wir wollen Freiräume erhalten, auch im Sinne des Unternehmertums. Es gibt Mitarbeiter, die das anzieht, die das wollen und die hier arbeiten, weil sie viel selbst entscheiden können.

Die msg-Gruppe hat das Braunschweiger Unternehmen David Software 2014 übernommen. Gab es damals Ängste?
Andreas: Natürlich. Ich bin seit 2000 im Unternehmen und kenne auch den Gründer Frank Ptok sehr gut. Wir haben viel daran gearbeitet und auch Überzeugungsarbeit geleistet. Die Kollegen haben sich auf mein Wort verlassen – zurecht, wir haben es geschafft und haben heute über diesen Schritt zur msg ein enormes Wachstum in Braunschweig hinlegen können und uns von der Mitarbeiterschaft und den anderen Kennzahlen fast verdoppelt. Einen Grund, Angst zu haben, gab es rückblickend nicht.
Jürgen: Das ist auch die Botschaft, die wir in unsere dezentrale Struktur geben. Die einzelnen Tochterfirmen haben ihre Freiheiten, aber wenn eine Krise wie Corona kommt, haben wir trotzdem die Stabilität der Gruppe und können kurzzeitige Effekte aushalten.

Welche Bedeutung hat der Standort Braunschweig heute in der Gruppe?
Jürgen: Wir haben seit 2014 den Kunden VW weiter ausgebaut, die Zahlen fast verdoppelt. Was für das Wachstum auch wichtig ist: Wir haben viele regionale Standorte, an denen wir mit unserem Namen mehr Gewicht haben, als im Großraum München, wo es sehr viele Player gibt. Auch das spricht für die dezentrale Struktur.
Andreas: Diese Wachstumschancen würden wir gerne nutzen, um nicht alleine die Automobilindustrie, sondern auch andere Branchen zu bedienen. Es ist erklärtes Ziel, hier mehr Vielfalt und Branchen zu etablieren, weil wir glauben, dass wir die Fachlichkeiten aus verschiedenen Branchen benötigen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Jürgen: Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Auch bei VW gibt es mit den Financial Services eine Tochter, die eine eigene Versicherungsgesellschaft haben. Und schon sind wir beim Thema Versicherungen.

Für viele Unternehmen bedeutet die Covid-19-Pandemie ein hartes Wirtschaftsjahr und Stellenabbau. msg DAVID plant hingegen, am Standort Braunschweig zu expandieren. Trifft euch die Krise nicht?
Jürgen: Bisher sind wir auf Kurs. Das ist auch eine wichtige Botschaft in Corona-Zeiten. Wir haben letztes Jahr die Milliarde geschafft und werden weiterwachsen. Das zeigt, dass unser Geschäftsmodell robust ist und Corona auch als Katalysator wirkt. Es gibt viele Kunden, die gemerkt haben, dass sie noch etwas nachholen müssen, um im Falle eines zweiten Lockdowns nicht komplett arbeitsunfähig zu sein. In anderen Fällen trifft uns Covid-19 aber auch …
Andreas: … im Automotive-Bereich zum Beispiel. Wir haben bei unseren Kunden einige Projektstopps und Unterbrechungen erlebt, sodass wir darauf reagieren mussten und, wie viele Mitbewerber, mit Teams in Kurzarbeit gegangen sind.

Ein bisschen Krise gibt es also auch bei msg …
Andreas: Schon. Wir stocken das Gehalt der Mitarbeiter aber auf 90 Prozent auf und haben allen zugesichert, dass wir bis sechs Monate nach der Kurzarbeit keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen werden. Wir glauben an Wachstum und brauchen alle unsere Mitarbeiter ganz dringend, um an die gute Entwicklung vor der Pandemie anzuknüpfen.

Wie anstrengend ist es für euch, als Dienstleister für große Unternehmen zu arbeiten und die eigenen Leute an diese zu verlieren?
Jürgen: Es gibt Vereine, die spielen schon sehr lange in der ersten Liga und denen werden immer gute Leute weggekauft (lacht). Wir sind einfach nicht der FC Bayern, der sich am Ende die ganz guten Spieler für viel Geld kauft, sondern suchen und holen Talente. Das ist auch ein Stück weit Geschäftsmodell.

Das musst du genauer erklären!
Jürgen: Wir sehen das als Chance, weil wir von diesen Leuten später wieder beauftragt werden. Für uns ist das kurzfristig schade, aber perspektivisch sind wir stolz darauf, dass unsere Leute so ein gutes Standing am Markt haben und so attraktiv sind, dass die Kunden sie einkaufen. Da überwiegt der positive Anteil gegenüber dem negativen.

Seit 2017 ist msg DAVID in den ehemaligen Pantherwerken am Braunschweiger Mittelweg beheimatet. Foto: msg.
Seit 2017 ist msg DAVID in den ehemaligen Pantherwerken am Braunschweiger Mittelweg beheimatet. Foto: msg.

Würden euch Freunde als Nerds bezeichnen?
Andreas: Bei mir ja, wahrscheinlich schon (lacht). Das liegt daran, dass ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht habe. Ich war schon immer technikaffin.
Jürgen: Jeder bei uns bringt eine gewisse IT-DNA mit. Das geht gar nicht anders.

Wie oft ruft bei euch jemand aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis an, weil er ein Problem mit Windows oder dem PC hat?
Andreas: Das kommt schon vor.
Jürgen: Da hilft man gerne. Andererseits: Einer meiner Freunde ist Allgemeinmediziner und dafür rufe ich ihn an, wenn ich eine medizinische Frage habe (lacht).

Wart ihr schon einmal im Darknet unterwegs?
Andreas: Nein, ich habe auch nicht das Bedürfnis. Ich weiß, wie es technisch funktioniert, das reicht mir. Vielleicht habe ich auch die falschen Kontakte (lacht).
Jürgen: Vom Darknet habe ich auch die Finger gelassen. Es hat einfach einen unseriösen Touch.

„Ein Stück weit wurde
die Kultur von digitalen Riesen
überrollt … “ Foto: Holger Isermann.

Wie viele Roboter arbeiten bei euch zuhause?
Andreas: Ich habe früh angefangen, viel zu automatisieren, damit mein Haus von außen bedienbar ist. Aber für Roboter konnte ich noch niemanden begeistern.
Jürgen: Bei uns gibt es Roboter, einen Rasenmäher und einen Staubsauger. Letzteren wollte meine Frau, aber dann habe ich das Projekt in die Hand genommen. Mittlerweile findet sie es wahrscheinlich gar nicht mehr so gut, dass wir einen haben, denn der befindet sich in meinem Zugriff und ich habe daran programmiert, was möglich ist.

Was tut ihr, wenn ihr einmal nicht arbeitet oder an Technik bastelt?
Jürgen: Ich gehe gerne laufen. Für dieses Jahr habe ich mir 1.000 Kilometer vorgenommen, die habe ich Anfang Oktober geschafft. Außerdem habe ich zwei kleine Kinder. Am Samstag mache ich nur in Ausnahmefällen etwas für die Firma, sonntags gar nicht. Ich bin ein sehr sozialer Mensch, treffe am Wochenende Freunde oder wir gehen mit den Kindern auf den Fußballplatz.
Andreas: Ich laufe auch gern. Das mache ich seit vielen Jahren und es ist gut, um den Kopf frei zu bekommen. Und ich betreibe mit meiner Familie Geo-Caching.

Wie viele Caches habt ihr schon gehoben?
Andreas: 1.580.

Ziel erreicht?
Andreas: Das liegt bei 2000, aber das Jahr ist ja noch nicht zu Ende (lacht).

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