Wie sich Städte, wie Braunschweig und Wolfsburg, ändern müssen, um zukunftsfähig zu sein, dafür ist Tatjana Schneider Expertin. Sie leitet das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt an der TU Braunschweig. Wir sprachen mit der 47-Jährigen über die Auswirkungen einer nachhaltigen Mobilitätswende auf städtebauliche Maßnahmen, Superblocks in Barcelona und einen Kurswechsel, der mehr bedeutet als das Anbieten neuer Fortbewegungsmittel …
Frau Schneider, Braunschweig ist eine per ÖPNV gut erreichbare und vernetzte Stadt. Es gibt Bahnhöfe, den Busverkehr und das Straßenbahnnetz. Warum stehen trotzdem so viele Autos in unserer Innenstadt?
Der größte Punkt ist in meinen Augen die Bequemlichkeit. Außerdem sind Anwohnerparkplätze im Vergleich zu Bus- oder Bahntickets häufig günstiger. Ein Parkplatz entspricht etwa zehn Quadratmetern öffentlichen Raums und kostet etwa 30 Euro pro Jahr für den Anwohnerparkausweis. Vergleicht man das mit der Miete für ein Zimmer mit zehn Quadratmetern pro Jahr, fällt auf, dass die Verhältnismäßigkeit nicht stimmt. Das Auto ist schlichtweg – vermeintlich – günstig.
… und hat im Straßenverkehr nach wie vor eine Vorrangstellung inne, oder?
Braunschweig ist eine überaus autofreundliche Stadt. Und das ist historisch bedingt der Fall. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden hier die große Hauptverkehrsadern konzipiert. Damals war das Auto Verkehrsmittel erster Wahl. Das trifft auch auf die Planstadt Wolfsburg zu.
Inzwischen befinden wir uns inmitten eines Mobilitätswandels. Inwieweit verändert dieser auch die Ansprüche an eine Stadt und ihre Verkehrsplanung?
Dafür müssen wir diesen Wandel erst einmal definieren. Im Sinne neuer Mobilität könnte das für manche Menschen beispielsweise autonomes Fahren und autonomen Flugverkehr mit kleinen Hubschraubern bedeuten. Für mein Verständnis bedeutet der Wandel nicht weniger Mobilität, sondern weniger motorisierten Individualverkehr. Auch Fahrradfahrende und Fußgänger:innen müssen stärker berücksichtigt werden.
Wie sähe die Stadt demnach aus? Was müsste sich dafür ändern?
Wenn andere Verkehrsformen priorisiert werden, würden sich Straßenflächen neu aufteilen. Für den Automobilverkehr würde weniger und für Fußgänger:innen sowie Fahrradfahrende mehr Platz eingeräumt. Außerdem müssten ihre Bereiche klar voneinander getrennt und mehrere Fahrradspuren vorhanden sein, damit ein Überholen sowie eine geregelte Verkehrsführung möglich sind. Wenn wir über die Stadt der 1950er- und 1960er-Jahre als autogerecht sprechen, dann sprechen wir jetzt von einer Stadt, die dem Menschen gerecht ist.
Das dürfte nicht jedem/jeder Autofahrer:in gefallen …
Das bisherige System gefällt ja auch nicht allen! Aber es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass es funktioniert. Nehmen Sie die Superblocks in Barcelona. Dort nutzen die Menschen Straßenräume ganz anders.
Das klingt nach einem enormen planerischen Aufwand …
… das ist ein Umdenken. Abläufe, die wir eigentlich pro Auto gewohnt sind, müssten für Radfahrende optimiert werden. Etwa bei Ampelschaltungen: Wenn ich links abbiege, kann ich das mit dem Auto oft in einem Zug machen. Warum geht das nicht für Fahrradfahrende?
Welche Rolle fällt in diesem Szenario Pedelecs zu?
Elektrisch betriebene Fahrräder haben ein enormes Potenzial, das Auto zu ersetzen und bestehen aus einem Bruchteil der Ressourcen, die in einem Auto stecken. Ein weiteres Thema, das in all den Diskussionen um die Mobilitätswende übrigens oft vergessen wird, ist mir aber noch wichtig …
Gerne!
Menschen müssen sich sicher fühlen im Straßenverkehr. Das ist im Bereich der Fahrradnutzer:innen oder auch Fußgänger:innen aktuell nicht immer gegeben und so funktioniert eine Mobilitätswende dann auch nicht. Eigenständige Fahrradstraßen, wie man sie beispielsweise in Kopenhagen findet, sind umso wichtiger. Diese Wege sind klar vom anderen Verkehr separiert.
Lassen Sie uns einmal auf den Autoverkehr blicken. Laut Bundesregierung sollen bis 2030 sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen fahren. Was braucht es aus städteplanerischer Perspektive, damit das gelingen kann?
Zunächst einmal braucht es Lade-Infrastruktur. Und auch Carsharing gehört mit in diese Planung: Autos, die einfach buchbar sind, wie beispielsweise derzeit E-Scooter, und an verschiedensten Orten in- und außerhalb der Stadt abgestellt werden. Nichtsdestotrotz benötigen wir – solang unsere Städte nicht für alle Menschen gleichermaßen barrierefrei begangen werden können – natürlich auch weiterhin generelle Parkflächen für Menschen, die auf ein eigenes Auto angewiesen sind, weil sie beispielsweise nicht so mobilitätsstark sind.

Im Rahmen Ihrer Kandidatur zur Oberbürgermeisterin haben Sie unter anderem für eine autofreie Innenstadt in Braunschweig geworben. Halten Sie das für ein realistisches Ziel?
Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass es funktioniert. Nehmen Sie erneut Kopenhagen. Dort konnte durch diese Maßnahme sogar der Einzelhandel gestärkt werden. Parkt man etwas weiter weg, geht man auf dem Weg zum Ziel noch an anderen Geschäften vorbei – und das belebt die Stadt vielmehr, als dass es sie sterben ließe.
Also alles nur eine Frage der Einstellung?
Nein, natürlich nicht. Die Abschaffung der Autos funktioniert nur bei gleichzeitiger Verbesserung von anderen Strukturen, wie dem Nahverkehr.
In der Stadt wären es also Bus, Bahn oder Leihräder, mit denen Pendelnde ans Ziel kommen?
Genau. Mobilität muss simpel sein. Ich kenne das aus Utrecht in den Niederlanden – dort kommen Sie mit dem Zug am Bahnhof an, gehen um die Ecke und stehen in einer riesigen öffentlichen Parkanlage. Dort halten Sie ihre Bankkarte gegen einen Sensor, können so ein Fahrrad leihen und zahlen dafür ähnlich viel wie für ein Busticket. Das ist Mobilität als nutzer:innenfreundlicher Service gedacht – und funktioniert bei uns noch nicht. Es fehlen schlichtweg die Systeme und das ist die größte Challenge.
Inwieweit ist die Verkehrswende auch eine Frage des Generationenwechsels?
Insoweit als das sich die Ansprüche an Mobilität stark wandeln. Jüngere Generationen legen inzwischen einen weniger starken Fokus auf private Vehikel. Viele machen einen Führerschein, besitzen aber kein Auto. Das passt nicht zum Lebensmodell, eine riesige Blechkiste, für die ich Verantwortung übernehmen muss.
Gibt es in unserer Region aus Ihrer Sicht ein Best Practise Beispiel für zukunftsweisende Mobilitätsplanung in der Stadt oder auf dem Land?
Es gibt Städte, die stark auf den Fahrradverkehr gesetzt haben. Oldenburg fällt mir spontan ein. In Hannover versucht man das in Ansätzen, wie mit Radschnellwegen oder dem Experimentieren mit autofreien Zonen. Der dortige Oberbürgermeister Belit Onay bekommt dafür auch viel Schelte, aber er hat sich das auf seine Agenda geschrieben. Das ist ein Weg in die richtige Richtung.