14. August 2020
Aus der Region

Im Schatten der Kaiserpfalz

Zwischen Wasser- und Forstwirtschaft sind die Spuren des Bergbaus weiter spürbar

Der Rammelsberg in Goslar. Foto: Stefan Schiefer.

Goslar – das klingt nach Kaiserpfalz, Fachwerk und Wandern. Tatsächlich sind Stadt und Landkreis allerdings viel mehr: Ein Industriestandort, an dem Tradition und Innovation aufeinander treffen. Vom technischen Verständnis und Können der Region zeugen schon das Erzbergwerk Rammelsberg und das Oberharzer Wasserregal, die ebenso wie die Goslarer Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Einrichtungen wie die Technische Universität Clausthal und das Energieforschungszentrum in Goslar vereinen in sich die Erinnerung an die Bergbautradition und das stetige Streben nach Fortschritt. Mit Talsperren und Wasserwerken prägen die Harzwasserwerke das Bild des heutigen Harzes genauso, wie die erhaltenen, historischen Anlagen der Oberharzer Wasserwirtschaft. Und alles ist umgeben von den weitläufigen Wäldern. Deren aktuelle Veränderung sorgt allerdings für eher schwierige Situationen.

Die Harzer Fichten, die derzeit durch Borkenkäfer und Sturmwürfe bedroht sind, sind zwischen 50 und 70 Jahren alt. Foto: Niedersächsische Landforsten.

Harzer Holz für China
Bei einer Größe von nur knapp zwei Millimetern, richtet der Fichtenborkenkäfer erstaunliche Schäden an. Er frisst sich in und unter die Rinde der Fichten, eine der Hauptwirtschaftsbaumarten im Harz, und zerstört das dortige Versorgungssystem. Die Folge: Bäume können kein Wasser und keine Nährstoffe von den Wurzeln in die Nadeln transportieren, sie sterben. Und dabei entsteht das Bild, dass sich vielerorts im Harz bietet: gelblich, blass und ohne Nadeln steht eine abgestorbene Fichte neben der anderen. Mancherorts sind ganze Waldstücke abgestorben, die Forstarbeiter kommen kaum noch hinterher, die toten Bäume zu fällen und das Holz abzutransportieren. Und selbst wenn es die Möglichkeit zum Abtransport gibt, stellt sich die Frage nach dem Wohin: das sogenannte Käferholz ist von minderwertiger Qualität und findet kaum Käufer. Da der Käfer sich in der seit 2018 andauernden Dürreperiode stark vermehren konnte, hat er sich nicht nur im Harz ausgebreitet. Der Markt ist übersättigt mit Fichte. Das Harzer Holz findet seine Abnehmer verstärkt in China. Die Bäume einfach stehen zu lassen ist keine Alternative, sie sind eine ideale Brutstätte für weitere Borkenkäfer. Sogar in den Randzonen des Nationalparks, in denen sich die Natur sonst selbst entwickeln soll, werden die befallenen Bäume entfernt.
Die großflächigen Schäden, die bewältigt werden müssen, haben zusammen mit Bemühungen zur Wiederaufforstung bei den Niedersächsischen Landesforsten, die einen großen Teil der Wälder im Harz bewirtschaften, im Geschäftsjahr 2019 für ein Defizit von 27 Millionen Euro gesorgt. „Anders als in den Vorjahren, in denen wir den Waldumbau wie auch die zahlreichen anderen Funktionen des Waldes mit den Erlösen aus dem Holzverkauf finanziert haben, ist dies derzeit wegen der kollabierten Holzmärkte nicht möglich. Ohne zusätzliche Unterstützung, zum Beispiel durch das Land, wird es nicht gelingen“, so Dr. Klaus Merker, Präsident der Niedersächsischen Landesforsten, anlässlich der Jahresbilanz.

Fichtenholz aus Niedersachsen wird in alle Teile der Welt verkauft. Nach der Ernte im Harz geht es per Lkw, Bahn und Frachtschiff zu den Kunden. Foto: Harzwasserwerke.
Dr. Christoph Donner (links) und Lars Schmidt führen die Geschäfte der Harzwasserwerke. Als einer der größten Wasserversorger in Deutschland betreiben sie im Harz sechs Talsperren. Foto: Harzwasserwerke.

Der Harz versorgt Niedersachsen mit Trinkwasser
Neben den Wäldern prägen die Talsperren der Harzwasserwerke das Bild des Harzes. Mit rund 250 Mitarbeitenden versorgen die Wasserwerke etwa zwei Millionen Menschen in Niedersachsen und Bremen mit Trinkwasser. Etwa 70 Städte, Gemeinden und Wasserverbände zwischen Wolfsburg, Göttingen und Bremen beziehen das Wasser aus dem Harz. Dafür betreiben die Harzwasserwerke, deren Hauptsitz allerdings in Hildesheim ist, sechs Talsperren. Dazu kommen zur Aufbereitung des Wassers drei Talsperrenwasserwerke, vier Grundwasserwerke und zehn Wasserkraftwerke – auch Energie gehört zum Leistungsportfolio. Die größte der Talsperren, die Granetalsperre bei Langelsheim, enthält im Durchschnitt 46 Millionen Kubikmeter Wasser, das dazugehörige Wasserwerk kann täglich bis zu 194.000 Kubikmeter Wasser aufbereiten und der Trinkwasserversorgung zuführen. Den von der Bundesregierung im März verordneten Shutdown spürten die Talsperrenbetreiber auch an der Wasserentnahme: An Industriestandorten wurde weniger Wasser benötigt, da mancherorts die Produktion ruhte. Auf der anderen Seite blieben mehr Endkunden zuhause und glichen die Entnahme letztlich wieder aus. Im Sommer steigt die Trinkwasserabgabe aufgrund der höheren Temperaturen generell an und führt an den Talsperren zu sinkenden Füllständen. „Nach den Jahren 2018 und 2019 könnte die Trockenheit auch in diesem Jahr wieder zur Herausforderung werden. Die aktuellen Füllstände bilden ein gutes Fundament für den Sommer, aber trotzdem bitten wir jeden Mitmenschen um einen achtsamen Umgang mit der Ressource Wasser“, sagt Dr. Christoph Donner, Technischer Geschäftsführer der Harzwasserwerke. Neben der höheren Trinkwasserproduktion wird an den Talsperren auch im Sommer fortlaufend Wasser für die Niedrigwasseraufhöhung abgegeben. Diese schützt die unterliegenden Flüsse vor Austrocknung.
Aktuell entsteht an der Granetalsperre ein neues Zentrallabor mit knapp 800 Quadratmetern Nutzfläche für 5,6 Millionen Euro. Die Fertigstellung ist für Anfang 2021 geplant.

Netzwerkarbeit unterstützt die Chemie-Branche
Als eine der größten Branchen gilt in der Region die Chemie-Industrie. Nach Angaben des Chemie Netzwerks Harz, ein 2016 gegründeter Verein als Interessenvertretung und Netzwerk-Plattform, sind rund 12.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt in der Branche. So erziele der Wirtschaftszweig eine jährliche Wertschöpfung von gut 1,5 Milliarden Euro. Die Arbeit des Netzwerkes selbst, das Veranstaltungen und Gesprächsrunden organisiert, wird durch Mitgliedsbeiträge und Fördergelder finanziert. Ende 2019 erhielt es die Zusage der Europäischen Union über eine Förderung von 140.00 Euro aus dem Fonds für regionale Entwicklung. Die Gelder sollen die Arbeit bis Juli 2022 sichern, danach soll es sich selbst tragen.
Die französische Recylex Gruppe ist ein Teil des Netzwerkes. Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass die zu ihr gehörenden Unternehmen Weser-Metall GmbH, Harz-Metall GmbH, Norzinco GmbH und PPM Pure Metals GmbH jeweils ein Schutzschirmverfahren nach dem deutschen Insolvenzrecht beantragt haben. Zum 31. Juli hat Norzinco, welche aus der Zinkhütte Harlingerode hervorging, den Betrieb eingestellt; mehr als 80 Angestellte verloren ihre Anstellung. Harz-Metall aus Oker bei Goslar sowie PPM aus Langelsheim suchten im Juli noch nach Interessenten und Lösungen für ihre Grundstücke, deren Böden nach jahrhundertelange Hüttentätigkeit saniert werden müssen.

Die TU Clausthal gehört zu den kleinsten Universitäten in Deutschland. Bei Erhebungen unter Mitarbeitenden, Alumni und Studierenden
erreicht sie regelmäßig gute Werte sowohl bei der Zufriedenheit, als auch bei der Qualität der Forschung und Lehre. Foto: TU Clausthal.

Internationale Studien im Luftkurort
Neben Chemiebetrieben, Dienstleistern und Zulieferern gehören auch die Wirtschaftsförderung Region Goslar (WiReGo), die TU Clausthal sowie

Die TU Clausthal vereint die Erinnerung an alte Bergbautraditionen mit der Nutzung und Erforschung neuer Technologien und Materialien. Foto: TU Clausthal.

die Ostfalia Hochschule zu den Mitgliedern des Netzwerkes. Mit ungefähr 4.100 Studierenden und über 1.000 Mitarbeitenden ist die 1775 nach einer Idee von Henning Calvör gegründete TU Clausthal die größte Lehr- und Forschungseinrichtung im Westharz. Trotzdem ist sie noch übersichtlich. Zum Vergleich: An der TU Braunschweig sind durchschnittlich 70.000 Studierende eingeschrieben. Gelehrt und geforscht wird in Clausthal in den Bereichen Energie und Rohstoffe, Natur- und Materialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Mathematik, Informatik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Dabei ist die Hochschule nicht nur für ihre Forschung bekannt. Mit mehr als 30 Prozent ausländischen Studierenden gilt sie auch als eine der internationalsten Universitäten in ganz Deutschland.

 

 

Die historische Gondelbahn von Bad Harzburg hat sich in Kombination mit dem 2015 eröffneten Baumwipfelpfad wieder zu einer Touristenattraktion entwickelt. Durch die Pandemie war der Pfad in diesem Jahr das erste Mal seit seiner Eröffnung geschlossen. Foto: HarzVenture.

Der Touristikbranche fehlen Gäste
Die Corona-Pandemie hat unterdessen einen weiteren Wirtschaftszweig des Landkreises schwer getroffen. Über Monate

Ursprünglich sollte die Baumschwebebahn bei Bad Harzburg an den Bäumen entlang des Hangs befestigt werden. Aus Sicherheitsgründen änderten sich die Pläne, im Mai stellten Hubschrauber mehrere Stahlmasten auf den Burgberg. Foto: HarzVenture.

durften Hotels, Pensionen und Jugendherbergen keine Gäste empfangen, auch Tagestouristen fehlten. Zeitweise hatte Sachsen-Anhalt touristische Reisen untersagt, was auch Wanderer im Nationalpark Harz betraf. Selbst Wanderungen auf den Brocken waren nicht erlaubt. Mit dem Beginn der Sommerferien lief das Geschäft langsam wieder an, doch die Umsatzeinbussen der Vormonate lassen sich auch mit dem Trend zum Urlaub in Deutschland nicht wieder erwirtschaften. „Aus der Phase von Mitte März bis zu den Öffnungen fehlen uns auf dem Baumwipfelpfad ungefähr 50.000 Besucher“, berichtet Eva Ronkainen-Kolb. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie vor sechs Jahren das Unternehmen Harzventure und eröffnete im Mai 2015 den Baumwipfelpfad in Bad Harzburg. In normalen Jahren besuchen bis zu 220.000 Besucher den Pfad, der einen Kilometer durch das Kalte Tal führt. Zu Harzventure gehören auch ein Hochseilpark, eine Adventure-Golf-Anlage, drei gastronomische Einrichtungen sowie die Vermietung von geländegängigen E-Rollern. Anfang August kam die neuste Attraktion, die Baumschwebebahn, hinzu, an der Besucher vom Gipfel des Burgbergs durch die Baumkronen hindurch bis ins Tal schweben können – ganz ohne Gondel, in einer Mischung aus Klettergurt und Stoffsitz hängend. Harzventure ist Mehrheitsgesellschafter, auch die städtischen Kur-, Tourismus- und Wirtschaftsbetriebe sind beteiligt. „Unser ursprünglicher Plan war ein Kombiticket für Burgberg-Seilbahn, Baumwipfelpfad und Schwebebahn anzubieten. Das haben wir vorerst wieder verworfen, um den Andrang an den Kassen etwas zu entzerren“, erzählt Ronkainen-Kolb. Für ihr Unternehmen war der Shutdown ein Ausnahmezustand, selbst während des Hochwassers 2017 konnte der Wipfelpfad geöffnet bleiben. Nun müsse die Situation immer wieder neu bewertet und Strategien entwickelt werden, um Ansammlungen von Besuchern an einzelnen Stellen zu vermeiden. Beispielsweise seien nicht alle Kassen geöffnet, da in den Schlangen sonst kein Mindestabstand eingehalten werden könnte. Insgesamt, verrät sie vorsichtig, seien sie wirtschaftlich aber noch „mit einem blauen Auge“ davon
gekommen.

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