Sebastian Purps-Pardigol hat beruflich viel ausprobiert (u. a. hat er in Braunschweig bei einem Zeitschriftenverlag gearbeitet) und ist heute erfolgreicher Management- und Organisationsberater. Inspiriert durch die Freundschaft mit dem bekannten Göttinger Neurobiologen Gerald Hüther hat er die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung mit den Methoden des Management-Trainings verbunden. Gemeinsam gründeten sie die Non-Profit-Initiative „Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen“. Purps-Pardigol hat zudem das Sachbuch „Führen mit Hirn – Mitarbeiter begeistern und Unternehmenserfolg steigern“ (Campus Verlag) geschrieben. Am 20. September 2016, 20:00 Uhr, berichtet er in der Buchhandlung Graff in Braunschweig über seine Beratungstätigkeit für mittlere und große Unternehmen in ganz Deutschland, schildert anhand konkreter Praxisbeispiele die Erfolgsgeheimnisse gelungener Unternehmenskulturen und den machbaren Wandel der Beziehungs- und Führungskultur. Standort38 sprach mit ihm.
Herr Purps-Pardigol: Medizinstudium, Journalismus, Unternehmensführung – Sie selbst bezeichnen Ihren Werdegang als Patchwork-Karriere. Wie kam es dazu?
Ich bin immer dem gefolgt was mich begeisterte. Das war einige Jahre Medizin, dann langweilte ich mich und bekam ein interessantes Jobangebot, durch das mich in eine ganz andere Richtung entwickelte. Einmal war es Glück: Ich erinnere mich an einen besonderen Abend in Köln. Ich leitete einen Bereich eines kleinen Systemhauses und merkte, dass ich das nicht für ewig machen wolle. Während eines Radiokonzerts der englischen Band Chicane habe ich zwei Mitarbeiter der Plattenfirma kennengelernt. Nach vielen Stunden interessanten Gesprächs sagte einer von ihnen: „Jemanden wie Dich könnten wir gut gebrauchen“. Wenige Monate später zog ich nach Berlin und begann das digitale Geschäft für SonyMusic aufzubauen. Mit Mitte 20 hatte ich mir jedoch das Ziel gesetzt, mehr mit Menschen arbeiten zu wollen. Ich habe daher parallel zu meiner klassischen Karriere – ich habe zuletzt ein globales Team beim Telekomzulieferer Ericsson geleitet – begonnen, all die Ausbildungen zu machen, die man braucht, um das zu tun, was ich jetzt mache: Firmen zu beraten und Führungskräfte zu coachen, damit diese eine Menschen-zugewandtere Unternehmenskultur erschaffen können.
Inwiefern nützt Ihnen Ihr medizinisches und journalistisches Wissen beim heutigen Arbeiten?
Inspiriert durch einen wichtigen Wegbegleiter – den Göttinger Neurobiologen Gerald Hüther – nutzte ich die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung und mache diese für die Wirtschaft verfügbar. Das medizinische Grundverständnis ist dabei nützlich, um viele Zusammenhänge schneller zu durchdringen. Die journalistischen Wurzeln helfen mir, um diese ganzen Erkenntnisse gut verständlich zu vermitteln: Ich habe letztes Jahr mein erstes Buch „Führen mit Hirn“ veröffentlicht, das inzwischen auf den Wirtschaftsbestseller-Listen gelandet ist, im November in den USA und kommendes Jahr in China veröffentlicht wird.
Warum werden Sie als Führungskräftecoach und Organisationsberater engagiert?
Die meisten Unternehmen treten mit mir in Kontakt, weil sie sich eine bessere Unternehmenskultur wünschen. Manchmal ist es einfach nur ein Gefühl, dass irgendetwas nicht passt. Manchmal gibt es bereits messbare Indikatoren wie hohe Krankenstände oder Fluktuationen. Oder das Unternehmen erlebt wirtschaftliche Herausforderungen die es nur mit engagierten Mitarbeitern meistern kann – und an denen mangelt es. Dann werde ich gerufen.
Als sogenannter Facilitator arbeiten Sie z. B. mit Methoden wie NLP, Systemischem Coaching, systemischer Organisationsentwicklung sowie Hypno-Coaching. In einfachen Worten – was tun Sie und warum?
Ich arbeite auf drei Ebenen mit Unternehmen. Erstens berate ich und vermittle, wie Kulturwandel gelingen kann. Ich habe in über 150 Interviews Firmen analysiert, die erfolgreiche Unternehmenskulturen entwickelt haben und dabei wiederkehrende Muster entdeckt. Mit Hilfe der Neurowissenschaft kann ich erklären, weshalb diese Muster wirken. Zweitens begleite ich durch systemische Prozesse. Das bedeutet, ich erschaffe Workshopstrukturen, innerhalb derer die Chefs und Mitarbeitenden gemeinsam für sich erarbeitet, wie sie es schaffen wollen, die eigene Kultur zu verbessern. Drittens führe ich –meist gemeinsam mit meiner Beratergruppe – sehr intensive Trainings für die Führungskräfte und auch manchmal für die Mitarbeitenden durch, um die neue Kultur schnell erlebbar zu machen.
Womit beschäftigt sich Ihre Non-Profit Initiative „Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen“?
In unserer Initiative portraitieren wir Unternehmen mit messbar guten Unternehmenskulturen. Durch diese Leuchtturmbeispiele wollen wir andere inspirieren, auch bei sich etwas zu verändern. Gerald Hüther und ich haben im Jahr 2011 festgestellt, dass die reine Vermittlung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für Unternehmen und Führungskräfte manchmal nicht ausreicht. Wir brauchten echte Praxisbeispiele, um unsere Thesen zu untermauern. Das geschieht in unserer Initiative.
Sie möchten eine „Potenzialentfaltungskultur“ erschaffen. Was steckt dahinter?
In jedem Menschen und in jeder Organisation ist deutlich mehr Potenzial verborgen, als meist gelebt wird. Es gibt gewisse Rahmenbedingungen, innerhalb derer sowohl Unternehmen als auch Mitarbeitende ihre Potenziale besser entfalten. Wenn man diese Rahmenbedingungen ermöglicht, kann eine Potenzialentfaltungskultur entstehen.
Sie haben die „Beratergruppe Unternehmenswandel“ ins Leben gerufen. Welchen Wandel brauchen wir in Deutschland?
Wenn man sich den aktuellen Stressreport der Bundesregierung und die Statistiken aller Krankenkassen anschaut, erkennt man, dass immer mehr Menschen psychisch erkranken. Symptomatiken wie Burnout, Depression oder Angstzustände steigen massiv an. Allein der Konzern Unilever hat in seiner Zentrale mit 1.100 Beschäftigten jährliche Gesamtkosten von 7 Millionen Euro für psychische Erkrankungen errechnet. Zugleich wird die Suche nach persönlichem Glück jedoch immer grösser. Eine gute Unternehmenskultur kann dort einen großen Unterschied machen. Bei der nordische Hotelkette Upstalsboom beispielsweise hat sich innerhalb von vier Jahren die Krankenrate um 80 Prozent reduziert, seit das Unternehmen bewusst an der eigenen Kultur arbeitet. Ganz nebenbei haben sich übrigens Umsatz und Mitarbeiterzufriedenheit verdoppelt.
Was ist das Verbesserungswürdigste an der deutschen Unternehmenskultur?
Zwei Dinge: Zum einen die Haltung, das Selbstverständnis, mit dem viele Chefs immer noch zur Arbeit gehen. Sie sehen es als ein Privileg an, Führungskraft zu sein. Sie sollten es jedoch eher als eine Dienstleistung betrachten. Ihr Job sollte es sein, das Beste aus ihren Mitarbeitern hervorzulocken. Zweitens ist es die Beziehungskultur zwischen allen Mitarbeitenden. Jeder Mensch trägt ein tief verwurzeltes neurobiologisches Grundbedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit in sich. Wenn es gelingt, dass Mitarbeitende sich als ein grosses Team erleben, anstatt gegeneinander zu kämpfen. Wenn es gelingt, dass Menschen durch eine gute Feedback-Kultur miteinander sprechen, anstatt vieles in sich hineinzufressen, dann kann dieses Grundbedürfnis wunderbar erfüllt werden und der Einzelne wird zufriedener und arbeitet mit mehr Freude. Ich erlebe das immer wieder in vielen Unternehmen – wir haben das bereits mehrfach durch Vorher-Nachher-Mitarbeiterumfragen gemessen.
Von welchem Land können wir uns etwas abschauen?
Ich finde, wir haben in Deutschland bereits viele gute Unternehmen, bei denen wir uns abschauen können, wie es gut gelingt. Dazu brauchen wir nicht unbedingt in andere Länder zu schauen. Manche dieser Unternehmen haben wir kostenlos auf kulturwandel.org
portraitiert.
Ist Silicon Valley ein nachahmenswertes Vorbild?
Silicon Valley ist für eine bestimmte Unternehmensphase – man nennt es die Pionierphase – sicherlich ein wunderbares Vorbild. Das Risiko, das ich dort teilweise sehe, ist, dass das gesamte Leben des Mitarbeitenden durch das Unternehmen abgedeckt wird. Sämtliche beruflichen und privaten Bedürfnisse werden erfüllt. Wenn ich die Firma dann verlasse, dann fehlt mir plötzlich mein gesamtes soziales Netzwerk.
Wir sollten uns immer wieder bewusst werden, dass wir in Deutschland etwas haben, das es kaum irgendwo auf der Welt gibt: Einen sehr hohen Anteil mittelständischer Unternehmen. Diese Unternehmen sind prädestiniert, erfolgreich ihre Unternehmenskulturen zu verändern. Ich erlebe immer wieder, wie viel einfacher das gelingt als bei großen Konzernen. Das ist eine Riesenchance, die wir in Deutschland haben und nutzen sollten.