Internationale Industriegrößen wie General Motors, General Electric oder Thyssen und Siemens haben als Börsengiganten seit langem ausgedient. Vielmehr beherrschen Internet und Hightech längst die oberen Ränge der Top-Unternehmen. Lange Zeit galt dabei der Computer- und iPhone-Hersteller Apple als der wertvollste Konzern der Welt. Doch auch dies ist vorerst Geschichte.
Im Silicon Valley hat ein Wachwechsel stattgefunden. Nach Vorlage seiner Bilanzzahlen hat die Google-Konzernmutter Alphabet gestern Apple überholt und den Thron als weltweit teuerstes Börsen-Unternehmen erklommen. Die Alphabet-Aktien eröffneten in New York mit einem Kursplus von gut drei Prozent, der Börsenwert des Internetriesen lag damit bei etwa 535 Milliarden Dollar (489 Milliarden Euro). Der bisherige Börsen-Champion Apple büßte hingegen um über ein Prozent ein, so dass die Marktkapitalisierung auf rund 527 Milliarden Dollar sank.
Die Google-Mutter Alphabet hatte die Börsianer am Vorabend positiv mit ihren Quartalszahlen überrascht. Von Oktober bis Dezember stieg der Überschuss im Jahresvergleich von 4,68 auf 4,92 Milliarden Dollar (4,52 Mrd Euro). Der Umsatz legte um 18 Prozent auf 21,33 Milliarden Dollar zu. Die Zahlen wurden mit Spannung erwartet, da es der erste Geschäftsbericht war, der in einer neuen Konzernstruktur erschien.
Denn der weltgrößte Suchmaschinen-Anbieter hatte sich im Oktober vergangenen Jahres einen neuen Namen plus neue Konzernstruktur gegeben. Dadurch sollten die einzelnen Bereiche des Konzerns aus Mountain View in Kalifornien stärker getrennt und deutlich gemacht werden. So besteht Alphabet aus einem Internet-Portal mit stetig wachsenden Werbeeinnahmen als Haupteinnahmequelle und dem Smartphone-Betriebssystem Android.
Auf der anderen Seite gibt es den Bereich „Other Bets“ also „Andere Wetten“. Diese Sparte firmierte zuvor unter dem Namen „Google X“. Unter diesem Dach forscht und entwickelt der Konzern Zukunftstechnologien – wie selbstfahrende Autos, Drohnen, Ballons und Robotik-Projekte. Sogar ein Raumfahrt-Programm ist dabei.
Und Alphabet enttäuschte nicht: „Alle Zahlen lagen über den Erwartungen“, sagte ein Händler auf dem Frankfurter Börsenparkett. Mit seiner Sparte „Andere Wetten“ rutschte der Konzern zwar tief in die roten Zahlen. Im Gesamtjahr 2015 summierte sich das Finanzloch auf 3,57 Milliarden Dollar. Doch Verluste in dieser Höhe scheinen Anleger nicht zu schocken. „Alle Anleger setzen darauf, dass etwas Großes passiert“, erklärt Roland Fiege von der Beratungs- und Werbefirma IPG Media Brands. Außerdem sei Google im Kern hochprofitabel. Von Apple dagegen seien Anleger erst einmal enttäuscht. „Der Smartphone-Boom flaut ab. Es kommt nichts Großes nach.“
So reagierten Anleger vor kurzem sogar verschnupft, obwohl Apple im vergangenen Quartal einen neuen Rekordgewinn von 18,4 Milliarden Dollar präsentierte und knapp 76,8 Millionen iPhones verkaufte. Der Grund: Apple hat damit den Verkauf seines Umsatzbringers nur um 0,4 Prozent – und damit zu gering – steigern können. Auch sonst scheint der Unterhaltungselektronik-Konzern zu wackeln. Die iWatch verkauft sich schleppend. Auch das Tablet aus dem Hause Apple ist nicht zu dem erhofften Schlager geworden. Die Fangemeinde wartet seit Jahren auf das nächste „one more thing“. Mit diesen drei Worten pflegte der verstorbene Konzerngründer Steve Jobs Neuheiten anzukündigen, die bei den Konsumenten regelmäßig einschlugen.
Anleger schätzen die visionäre Kraft von Google. „Würde Google jetzt nicht so stark investieren, würde ihnen das vorgehalten werden“, sagt Roland Fiege. Dem Unternehmen bleibe deshalb nur die Flucht nach vorn. Allerdings sieht der Berater die Vielzahl von Investitionen auch kritisch. Google könne durchaus auch mal eines seiner Projekte zur Marktreife treiben. Stattdessen setzt der Mutterkonzern Alphabet auf eine Forschungsoffensive mit immer neuen Ideen. Von diesen so genannten „Moon Shots“ also Schüssen zum Mond wird dabei gar nicht erwartet, dass alle auch ein Treffer werden. Mit am aussichtsreichsten scheint derzeit das Projekt des selbst fahrenden Autos zu sein. Auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt im Sommer des vergangenen Jahres war Google damit das Messegespräch, ohne selbst mit einem Stand präsent zu sein. Dabei will Google am Ende gar kein eigenes Auto entwickeln, sondern setzt auf Kooperationen mit etablierten Herstellern.
Dass sich trotz der großen Aktienkursgewinnen eine Blase bei aufpumpen könnte, sieht Fiege nicht. „Das gibt es nur bei Unternehmen, die nichts vorzuweisen haben.“ So lange Google mit seiner Suchmaschine, den Cloud-Diensten, dem Videoportal Youtube und dem Betriebssystem Android gutes Geld verdiene, könne es sich „Moon Shots“ leisten. Und wenn es nicht mehr so gut läuft? „Dann können einzelne Projekte auch schnell beendet werden.“