Stolz hält Carl-Christian Brandes das fünf Tage alte Ferkel in die Kamera. Am Ohr ist das Junge mit der Nummer „0060466“ gekennzeichnet. Immer wieder sucht das kleine Wesen die Nähe zu seinem Halter. Kuschelt sich an, grunzt. Brandes ist gerne Schweinehalter bei Peine. Es bereitet ihm aber auch Sorgen. Denn verdienen könne er mit den Tieren nichts mehr.
Auf der Hofstelle am Rand des Dorfes Schwicheldt lebt er gemeinsam mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern, zwei Hunden, Carus und Paula, und 150 Sauen. Eine der Sauen ist die Mutter der blauäugigen „0060466“. Namen gibt er den Tieren nicht, denn: Die Produktion schreitet im Wochenrhythmus voran. Vier Wochen bleiben die Ferkel noch bei ihren Müttern, bis sie in den Kindergarten, der sogenannten Ferkel-Aufzucht kommen und später in die Mast gehen. Die Sauen und Jungtiere leben in Ställen nah am Wohnhaus.
Auf einer kleinen Gemeinschaftsfläche haben die Muttertiere Bürsten und Spielzeuge, können sich bewegen. Wenn sie Ruhe und Schlaf nötig haben, legen sie sich in kleine Einzelboxen, in denen nur jeweils ein Tier Platz hat. Selbst Umdrehen ist in dem schmalen Parzellen unmöglich – will eine Sau wieder raus, geht sie rückwärts. Aber so komme sie auch mal zur Ruhe und sind vor Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe geschützt, erklärt der Landwirt.

Fünf bis zehn Mal kann eine Sau in ihrem Leben trächtig werden; alte Tiere werden geschlachtet und durch junge Sauen ersetzt. „Wir bekommen die Sauen immer von einem Züchter, da wir von einem gewissen Zucht-Fortschritt profitieren möchten“, erklärt Brandes. Der Einkauf neuer Sauen und die Umverteilung der Altersgruppen in den Ställen sind ein Teil seiner Arbeit, die jeden Tag früh am Morgen beginnt. Dann stattet er allen Tieren in den einzelnen Ställen einen Besuch ab, füttert und kontrolliert sie auf etwaige Krankheiten oder Verletzungen. „Heute Morgen war ich beispielsweise schon unterwegs und habe Heu für die Schweine geholt“, berichtet Brandes. Auch auf dem Acker hat der 40-Jährige zu tun, zu seinem Betrieb gehören 125 Hektar mit Grünland und Wald: „Aufgrund der Trockenheit und Hitze in diesem Jahr mussten wir viel beregnen. Das hat relativ viel Zeit und Arbeit gekostet“, erzählt der Familienvater. Unterstützung bekommt er von seinem Vater, dazu gibt es einen Mini-Jobber, der in den Ställen mit anfasst, und für das Ausbringen von Gülle und Rübenroden beauftragt er Dienstleister.
Aber bald wird sich sein Betrieb radikal ändern. Und das weiß er: In spätestens drei Jahren ist die eigene Ferkelproduktion Geschichte. „Für mich ist nicht möglich, hier auf der Hofstelle schon wieder nach den neuesten gesetzlichen Vorgaben zu investieren und die Ställe umzubauen“, bedauert Brandes. Dann muss er den Nachwuchs einkaufen, statt wie bisher in einem geschlossenen System zu arbeiten.
Was dann bleibt, ist der Mastbetrieb. 2013 hat er dafür einen neuen Stall etwas außerhalb des Ortes gebaut, immer mit dem Ziel, die Tiere von ihrer Geburt bis zu ihrer Schlachtung zu begleiten. Dass es damit nicht weitergehen kann, bedauert er ein Stück weit. Aber: „In den letzten Jahren ist die Schweinehaltung wesentlich moderner geworden. Die Haltung hat sich deutlich zum Vorteil der Tiere entwickelt.“ Das sei grundsätzlich zu begrüßen, bringe ihn und den Betrieb aber auch in Schwierigkeiten. Denn längst sind Schweinebauern nicht mehr nur vom deutschen Markt abhängig, sondern vom Weltmarkt. „Wir können hier in Deutschland denken, tun und machen, was wir wollen. Wir haben ein Produkt, ein erstklassiges Lebensmittel, was sich im internationalen Wettbewerb messen muss. Und das ist wirtschaftlich ein Problem, weil wir deutlich höhere Kosten und Auflagen haben als andere Länder.“
Bis zum Maststall sind es von seinem Hof knapp zwei Minuten Fahrt mit dem Auto. Dort angekommen, inmitten von Ackerland, parkt Brandes sein Auto rückwärts vor dem flachen Gebäude. Auf dem Satteldach reflektiert eine Photovoltaik-Anlage die Sonne. Bevor er zu den Schweinen geht, zieht er seine Stallkleidung an: Gummistiefel, Overall und Cap. 1.300 Schweine leben hier.
Von einem langen Zentralgang gehen Türen in zwölf einzelne Stallabteile ab. Bereits hier liegt der Geruch von Schweinen in der Luft, die Tiere sind zu hören. Sie grunzen, jagen sich und spielen mit hängenden Holzklötzen. Als Brandes eine der Türen öffnet und einen langen Gang zwischen einzelnen Buchten entlang marschiert, erschrecken sie sich. Sie schauen genau zu und beobachten, was passiert. Erst als er mit den Händen ein wenig Heu verteilt, nähern sie sich neugierig. Jeweils 13 von ihnen leben in einem der 12 Quadratmeter großen Buchten mit gitterartigem Betonboden, dem sogenannten Spaltenboden. „Das ist 20 Prozent mehr Platz als der Mindeststandard vorgibt. Zudem haben sie eine Heuraufe, Beschäftigungsmaterial und Spielzeug“, erklärt Brandes.
Die Aktivitätsphase beginnt mit dem Sonnenaufgang, das Licht fällt durch einige schmale Fenster in Ställe. Dann werden die Schweine wach, trinken, fressen und beschäftigen sich. Immer wieder tummeln sich Schweine mit einem blauen Streifen auf dem Rücken in den Buchten, sie haben ihre Schlachtreife erreicht. Seit ihrem Auszug aus dem Kindergarten mit drei Monaten sind ungefähr 100 Tage vergangen. Bei manchen geht es schneller, bei anderen dauert es etwas länger. Ungefähr alle zehn Tage lässt Brandes Schweine zum Schlachten bringen.

Wohin es für die Tiere geht, entscheidet eine Vermarktungsorganisation: „Ich melde beim Vermarkter an, wie viel Tiere ich habe und der organisiert dann die Logistik und rechnet mit dem Schlachthof ab.“ Das erspare ihm Arbeit, nimmt ihm aber auch die Möglichkeit der Preisverhandlung.
Bis vor Kurzem habe er für ein Mastschwein 120 Euro bekommen. Viel verdient habe er daran nicht, denn: „Die Futterkosten betragen ungefähr 110, 120 Euro. Dann kommen noch Zins und Tilgung für den Stall, Energiekosten und Tierarztkosten dazu. Ich selbst bin dann noch nicht entlohnt. Das heißt, ich bin die letzten anderthalb Jahre in den Stall gegangen, ohne etwas zu verdienen.“
Grund sei der extrem zurückgegangene Absatz an Schweinefleisch. „Damit sind auch die verbundenen Preise gesunken, gleichzeitig ist aber das Futter noch teurer geworden“, erläutert Brandes. Vor allem in den Corona-Monaten ist das Geschäft ins Stocken geraten. Viele Schlachthöfe haben ihren Betrieb aufgrund der Infektionslage vorübergehend eingestellt, haben keine Schweine mehr angenommen. Landwirte mussten ihr Vieh vorerst behalten – gleichzeitig wurden Ferkel geboren, die ebenfalls Platz brauchten. Der Schwicheldter hatte glücklicherweise noch freie Ställe. Trotzdem sollten die angelieferten Schweine nicht schwerer als ungefähr 122 Kilogramm sein – je nach Schlachthof – um die geforderten Standards zu erfüllen. Waren seine Schweine schwerer, wurden sie schlechter bezahlt.
Seit 2014 nimmt Brandes am Tierwohl-Programm des Lebensmitteleinzelhandels teil. Doch was eigentlich als Verbesserung der Haltungsbedingungen der Tiere gedacht war, entwickelt sich für den Peiner zum Ärgernis: „Jetzt in der Krise, mit der hohen Inflation und steigenden Preisen, merken die Schlachthöfe, dass das Tierwohl-Fleisch, was eben aufgrund der Haltungsbedingungen mehr kostet, deutlich schwächer nachgefragt wird.“ Einige Schlachthöfe haben sich laut Brandes bereits von ihren Tierwohl-Partnern getrennt, da sie das Fleisch nur schwer absetzen können.
Trotz all der Hürden liegt ihm sein Beruf am Herzen. Schon bald möchte er mit seinen Kindern ein Schwein aussuchen, um es schlachten zu lassen und daraus Wurst zu machen. Sie sollen den Betrieb langsam kennenlernen, schließlich will er den Hof irgendwann an seine Kinder übergeben. So wie er den Betrieb von seinem Vater bekam. „Ich hoffe, dass man dann noch in der Lage sein wird, mit einem mittelständigen Betrieb eine Familie zu ernähren“, sagt Brandes abschließend.