2. Oktober 2021
Entscheider

„Auf den Mittelstand kommt es an!“

Stifter und Investor Patrick Knodel über Ungerechtigkeiten am Anfang der Wertschöpfungsketten, übermächtige Konzerne, die Demokratien unterhöhlen, und die große Hoffnung in Familienunternehmen jenseits des Shareholder Value

Der Stifter und Investor Patrick Knodel in der Hamburger Bar a.mora, wo wir ihn zum Interview treffen.

Es beginnt mit einer Schnapsidee: Nach einigen Gin Tonic an der Bar und vielen vorangegangenen Grundsatzdiskussionen zwischen Vater und Sohn, bietet Reinhold Knodel – Vorstand der Kölner Pandion AG – Patrick 500.000 Euro pro Jahr. Er solle endlich vom Reden ins Tun kommen und konkret zeigen, was er mit der von ihm beschworenen besseren Welt meine. 2017 gründen beide die knodel foundation, um den Ärmsten auf der Welt zu helfen. Mittlerweile investieren sie mit der Pandion Innovation for Impact GmbH zudem in Sozial- und Nachhaltigkeitsunternehmen.

Genau darüber wollen wir mit Patrick Knodel sprechen. Doch beim Interview an der Hamburger Alster geht es schnell ums große Ganze – Ungerechtigkeiten am Anfang der Wertschöpfungsketten, übermächtige Konzerne, die Demokratien unterhöhlen, und die große Hoffnung in Familienunternehmen jenseits des Shareholder Value. Während am Himmel ein kapitales Unwetter aufzieht, versucht sich der Stuttgarter im Spagat zwischen Abrechnung und Aufbruch sowie zu erklären, warum er als ein persönlicher Gewinner des Systems inzwischen mit dem Neoliberalismus gebrochen hat und Status ihm „wirklich gar nichts“ bedeutet.

Das ist fast immer politisch und von einer klaren Haltung zur Welt und der Menschheit geprägt. Knodel denkt Dinge mit einer seltenen Konsequenz zu Ende, auch wenn das manchmal die Gefahr von Irritationen birgt. Die allerdings – das wissen wir spätestens seit Niklas Luhmann – sollten wir positiv sehen. Denn sie sind nicht nur Ausdruck unserer freiheitlichen Kultur, sondern auch Grundlage von Innovation und damit unser aller Versicherung für die Zukunft …

Patrick, wie gerecht ist unsere Welt?
Überhaupt nicht, weil wir eine gewaltige Ungleichheit bei der Vermögensverteilung und – was noch wichtiger ist – beim Zugang zum Kapital haben. Das ist innerhalb von Deutschland schon ein riesiges Problem, in Europa ist es noch größer und weltweit unermesslich.

Kannst du das konkreter machen?
Die Situation hat sich in den vergangenen 30 Jahren massiv verschlechtert, das zeigen alle Key-Performance-Indicators (KPIs), die man finden kann. Es gibt das schöne Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty, in dem er aufzeigt, wie die Entwicklung ausgehend von den feudalen Strukturen über verschiedene Kriege bis zur Gegenwart aussieht.

Und?
Nachdem es zwischendurch mal besser wurde, sind wir demnach wieder auf dem Weg zu feudalistischen Verhältnissen. Wenn wir uns den deutschen oder europäischen Wohlstand anschauen, dann basiert dieser natürlich auch darauf, dass hier gute Ideen entstanden sind und durch viel Arbeit zu tollen Produkten wurden. Aber ganz wesentlich beruht unser Wohlstand auch darauf, dass wir Ressourcen und Menschen am anderen Ende der Welt ausgebeutet haben.

Du spielst auf die Kolonien an?
Genau, aber auch heute, wo es diese offiziell nicht mehr gibt, hat das Prinzip durch die gewachsenen Machtstrukturen in diesen Ländern überlebt und sichert dem globalen Norden weiterhin einen günstigen Zugang zu den Ressourcen. Das erklärt im Wesentlichen die globale Ungleichheit. Und im Westen sind wir vor rund 40 Jahren mit dem Neoliberalismus falsch abgebogen.

Inwieweit?
Das war die Reagan-Thatcher-Zeit. Damals wollte man die scheinbare Blockadehaltung der Linken und Gewerkschaften durchbrechen und hat das System ins andere Extrem getrieben. Das Ziel: Alles muss frei sein, der Markt regelt es schon. Das ist eine fundamentale Fehlannahme …

… oder vielleicht auch nicht? Es kommt auf die Perspektive an …
Ob das Prinzip von cleveren Entscheidungsträger:innen bewusst gefördert wurde, um Ungleichheit zu manifestieren oder man sich damals nicht vorstellen konnte, wohin der Paradigmenwechsel führt, lässt sich schwer sagen. Ich tendiere zu Ersterem. Die Grundannahme, dass der Markt alles regelt, beruft sich jedenfalls auf alte volkswirtschaftliche Theorien von zum Beispiel Adam Smith. Der hat mit seinen Aussagen aber lokale Teppichhändler in England adressiert und keine globale Weltwirtschaft.

Wozu führen diese Annahmen?
Die Externalitäten sind schlichtweg nicht eingepreist. Wenn ich jetzt hier ein Stück Fleisch für 2,99 Euro im Supermarkt kaufe, ist dabei preislich weder der Wasserverbrauch enthalten, noch der Anteil des brasilianischen Regenwalds, der für den Sojaanbau des Tierfutters vernichtet wurde.

Kommen wir zurück zum Feudalismusvergleich. Der hatte ein völlig anderes Gesicht als unsere Demokratie. Die Armen waren faktisch entrechtet …
… stimmt. Das gegenwärtige System ist aus Sicht der Reichen einfach viel cleverer …

… weil es den Menschen suggeriert, dass es jeder schaffen kann und die im Mittelalter allgegenwärtigen Grenzen heute unsichtbar geworden sind?
Absolut. Zur Wahrheit gehört eben auch, dass es Ausnahmen gibt, die eine unglaubliche Aufstiegsbiographie hinlegen. Mein eigener Vater beispielsweise: Er kommt aus einer armen Bauernfamilie mit neun Kindern und hat sich nach dem Hauptschulabschluss zum erfolgreichen Unternehmer hochgearbeitet. Auf dieser Idee haben die Amerikaner ein ganzes Land aufgebaut. Und gerade heute im Tech-Zeitalter gibt es immer noch Menschen, die scheinbar aus dem Nichts unglaublich reich werden …

… scheinbar? Wo ist der Widerspruch?
Die meisten dieser Leute stammen von den gleichen Eliteuniversitäten, haben und nutzen die Netzwerke ihrer Eltern. Das ist etwas völlig anderes, als wenn Menschen in anderen Teilen der Welt aufwachsen. Selbst bei meinem Vater, der es wirklich ohne große Starthilfe geschafft hat, muss man sagen – er ist immer noch in Stuttgart geboren und nicht auf dem Land in Tansania. Und dieser White Supremacy-Geburtsvorteil ist unglaublich viel wert.

In den Industrieländern lässt sich diese Debatte anhand der Bildungsgerechtigkeit führen …
… ja. Als Akademikerkind habe ich eine fünfmal höhere Chance selbst Abitur zu machen. Diese Ungleichheit vererbt sich von Generation zu Generation weiter. Schauen wir uns beispielsweise die Immobilienpreise in den Großstädten an. Viele sagen, solange die Häuser noch jemand kauft, ist der Markt gesund. Aber wer sind denn die Käufer:innen? Ein Pärchen Ende 30 mit gutem Einkommen und ohne Kinder kann sich im Großraum Stuttgart im Grunde keine Doppelhaushälfte mehr leisten. Es sei denn die Eltern unterstützen.

Das war jetzt viel Kapitalismuskritik …
Stimmt, aber mir geht es wirklich nicht vorrangig um die Systemfrage. Diese Debatte wird mir oft zu verengt geführt. Zwischen Sozialismus und Kapitalismus gibt es viel Raum und die soziale Marktwirtschaft war mal ein konkreter Ansatz zwischen den Polen.

Mehr Gerechtigkeit klingt für den ärmeren Teil der Bevölkerung attraktiv, für den reicheren nach Verzicht …
Ganz ohne wird es nicht gehen, denn unsere Ressourcen sind endlich. Verzicht heißt aber nicht, dass wir die ganze Welt gleich machen. Mir geht es um mehr Chancengleichheit, harte Arbeit muss sich trotzdem noch lohnen. Im Deutschen Steuerrecht zahlen wir aber 42 Prozent Einkommenssteuer und nur 20 Prozent Kapitalertragssteuer.

Ein viel diskutiertes Thema, genauso wie die Erbschaftssteuer. Wenn eine Partei sich auch nur programmatisch daran wagt, zeichnen die etablierten Wirtschaftsverbände eindrucksvoll das Bild des sterbenden Mittelstandes und zerstörter Arbeitsplätze, sodass die Pläne schnell wieder in der Schublade verschwinden …
Das ist ein Grund dafür, dass ich mittlerweile pessimistisch bin, was die Kraft der Systemveränderung aus der Politik heraus angeht. Die Parteien und Parlamente sind derart von Lobbyisten und Machtinteressen durchzogen, dass seit Jahrzehnten von einer Vielzahl der Entscheidungen in der Regel nur eine kleine Minderheit profitiert. Dazu gibt es eindrucksvolle Analysen.

Wenn das so ist, warum wehrt sich die abgehängte Mehrheit nicht – in einer Demokratie, in der jeder eine Stimme hat, ganz egal wie hoch sein Vermögen ist?
Wirklichen Widerstand gab es in den westlichen Demokratien zuletzt in den 1960er-Jahren, als eine Generation sich von der Spießigkeit der Eltern abgrenzen und sich für eine friedliche Welt einsetzen wollte. Da ging richtig der Punk ab und die Reaktion darauf war die Idee, dass jeder über die Möglichkeit von Schulden so viel konsumieren kann, dass er keine Zeit mehr hat, sich kritischen Fragen zu stellen. Jetzt müssen wir mit dem Handy und Netflix nicht einmal mehr die Couch verlassen. Das ist die Endstufe …

… und klingt ein bisschen wie das dystopische Matrix-Bild von Menschen als Energielieferanten in einer digitalen Traumwelt, die nicht existiert. Ist es so schlimm?
Ob wir in einer Simulation leben, weiß ich nicht. Elon Musk und andere glauben das ja sogar, aber unabhängig von der Wirklichkeitsfrage: Natürlich kann ich mit Freunden auf einer ruhigen Almhütte mal zwei Stunden intensiv über die großen Fragen diskutieren und viele sind dann erstmal aufgeschlossen. Aber dann gehen sie Montag wieder arbeiten, holen danach das Kind aus der Kita ab und das Thema ist weg. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Folge unserer großen Auslastung und unserer Sozialisation. Ich habe an zwei deutschen und zwei britischen Hochschulen Abschlüsse in Wirtschaft gemacht und in dieser Zeit kein einziges Mal ernsthaft über Ressourcen oder Nachhaltigkeit gesprochen …

… sondern?
Es ging um Adam Smith, den Homo Oeconomicus, ein meiner Meinung nach völlig schwachsinniges Menschenbild, das aber bis heute den meisten volkswirtschaftlichen Analysen zugrunde liegt. Damit und mit dem Selbstverständnis, dass man jetzt Elite ist, geht man raus in den Job und die wenigsten reflektieren das später.

Du selbst gehörst zu den Gewinnern der von dir kritisierten Zustände …
Total, ich bin ein Megagewinner – in eine wohlhabende Familie geboren worden und meine Ansichten sowie vieles, was ich gerade tue, konterkarieren meinen Status. Deshalb fragen mich auch viele Menschen, warum ich mich so entwickelt habe.

Gute Frage. Wann und warum entstand bei dir der Bruch mit der eigenen Biografie?
Ich habe mir nach dem Studium mit dem Rucksack viele andere Länder angeschaut und irgendwann Zusammenhänge gesehen, die mir früher nie jemand erklärt hat. Der finale Denkanstoß war eine Reise durch Malaysia, wo ich nichts anderes als Städte und Palmölplantagen gesehen habe. Auf dem Rückflug bin ich in London zwischengelandet. Dort an der Battersea Power Station wird seit zehn Jahren ein riesiges Real Estate-Projekt gebaut – Shopping-Center, Luxuswohnungen, Büros. Und wer ist der Investor? Der Palmölkonzern aus Malaysia. Das war für mich ein Schlüsselmoment …

… der auch zu kritischen Diskussionen zwischen dir und deinem Vater geführt hat, oder?
Zu sehr vielen. Manchmal war das produktiv, manchmal haben wir einfach gestritten. Diese Diskussionen führen unheimlich viele Menschen in meinem Alter mit ihren Eltern, weil unsere Generation einfach anders tickt. Natürlich verstehe ich meinen Vater, wenn ich mich auf seinen Stuhl setze und die Dinge aus seiner Perspektive betrachte.

Warum?
Er hat sich von Null durch sehr viel Arbeit nach oben gearbeitet und dann kommt sein Sohn und sagt: „Hey, die letzten 30 Jahren – das hättest du alles anders machen sollen. Du hast die und die Verantwortung und schau mal, was du alles falsch machst.“

Eure Gespräche waren mindestens insofern produktiv, als dass die Stiftungsgründung auf sie zurückgeht …
Genau.

Dein Vater hat irgendwann gesagt: „Dann rede doch nicht nur, sondern mach etwas. Ich gebe dir dafür Geld.“ Ist das ein Gründungsmythos oder wirklich so gewesen?
Genau so war es. Wir saßen bei ihm an der Bar und hatten einige Gin Tonic getrunken. Ich war damals – was heute fast grotesk wirkt (Patrick Knodel hat sich gerade ein veganes Nudelgericht bestellt) Mitinitiator eines Steakhouse-Franchisekonzepts. Dazu bin ich sehr zufällig gekommen und dann relativ schnell wieder ausgestiegen, um die Stiftung zu gründen …

… als Imageaufbau für die Pandion AG?
Nein, das war wirklich nie das Ziel – weder meines noch das meines Vaters. Unsere Grundidee war es, den Ärmsten der Welt zu helfen. Aus heutiger Sicht ist daraus mehr geworden, weil ich mich einfach sehr intensiv mit der Frage beschäftigt habe, wie man diese Menschen wirklich unterstützen kann.

Jemand erwirtschaftet durch ein klassisches Geschäftsmodell ein Vermögen und unterstützt damit anschließend die Ärmsten der Welt. Eine klassische Philanthropie-Geschichte, oder?
Für mich löst Non-Profit die Probleme, die Wirtschaft und Staat anrichten. Unser Ziel sollte es aber sein, dass wir an den Ursachen arbeiten und nicht nur die Schäden lindern. Deshalb ist für mich die nächste Frage, wie ich mein Geld verdiene, denn die meisten etablierten Geschäftsmodelle haben irgendwo auf der Welt einen negativen Impact.

War das der Anstoß für die Gründung der Pandion Innovation for Impact GmbH?
Ich habe relativ schnell gemerkt, dass man Geld nicht nur spenden, sondern auch For-Profit in Sozial- oder Nachhaltigkeitsunternehmen investieren kann. Das hat den Vorteil, dass das Geschäftsmodell sich selbst trägt, ein gewisses Skalierungspotential besitzt. und nicht auf Geld von außen angewiesen ist. Außerdem ist der Hebel viel größer als im Non-Profit-Bereich, denn wir müssen niemanden überreden, Geld zu spenden, sondern nur dieses zu investieren. Die Story ist viel einfacher zu verkaufen – dachte ich jedenfalls …

Wo steckt das Aber?
Scheinbar können viele Menschen einfach nicht glauben, dass man tatsächlich Geld verdienen und zugleich Gutes tun kann. Hier müssen wir noch mehr Überzeugungsarbeit leisten. Helfen tut der Generationenwechsel. Es gibt mittlerweile immer mehr junge Menschen, die Zugang zu wirklich viel Kapital haben, aber das vererbte Vermögen nicht anfassen und in sozialen Jobs arbeiten, weil sie das Erbe fast als Schuld begreifen. Besser wäre es, das Geld sinnvoll zu investieren, anstatt es im alten Kreislauf zu belassen.

Der alternative Blick auf die Welt ist aber nicht nur ein Primat von Vermögenden …
… stimmt. Davon können mittlerweile alle Unternehmen ein Lied singen, die junge Menschen mit klassischen Benefits wie Firmenwagen locken wollen.

Hast du ein Beispiel für ein Impact Investing von dir?
Vielleicht Wildplastic aus Hamburg, wenn wir schon hier sind. Es gibt ja überall auf der Welt Müllsammelinitiativen. Das Problem dabei ist, dass der Müll in der Regel anschließend verbrannt wird, was besser ist, als ihn ins Meer schwimmen zu lassen. Aber wirklich nachhaltig wäre es, den Kunststoff zu recyclen. Das macht Wildplastic. Aktuell gibt es einen Beutel aus gerettetem Plastik, den zum Beispiel Otto für den Versand verwendet. Spannend neben dem ökologischen Impact ist für mich aber auch die Struktur der Firma. Es gibt Verantwortungseigentümer, die die Anteile der Firma zwar halten, diese aber nicht verkaufen können.

Damit ist ein lukrativer Exit kein Unternehmensziel …
Genau! Und das Geld, das die Firma sich von den vier Investoren geliehen hat, kann sie nur zurückzahlen, indem sie es sich selbst erarbeitet. Damit ist eine Bewertungsblase genauso ausgeschlossen wie Entscheidungen, die durch Shareholder Value initiiert werden und zwar den Börsenwert aber nicht den langfristigen Erfolg des Kernunternehmens im Blick haben. Das schafft eine sehr rationale und bodenständige Gesprächsatmosphäre …

… und klingt nach Mittelstand.
Total.

Als der SPD-Politiker Kevin Kühnert in einem Zeit-Interview über die Vergesellschaftung von Unternehmen gesprochen hat, schwangen konservative Meinungsführer die Sozialismuskeule …
Zu Unrecht. Verantwortungseigentum hat mit Sozialismus nichts zu tun. Letzterer verteilt alles um und eliminiert Leistung. Das Konzept des Verantwortungseigentums dagegen ermöglicht problemlos eine attraktive Bezahlung von erfolgreichen Geschäftsführer:innen. Es gibt übrigens Länder, die hier viel weiter sind, wie beispielsweise Dänemark, aber auch schon sehr lange deutsche Firmen, die so strukturiert sind: etwa Bosch und Zeiss. Außerdem gibt es mit Spargruppen, Kooperativen in der Entwicklungszusammenarbeit oder Genossenschaften ähnliche etablierte Modelle, die zeigen: Es funktioniert!

Warum glaubst du trotz aller Kritik, dass sich die kapitalistische Idee wieder auf einen nachhaltigeren und sozialeren Weg zurückführen lässt?
Ich bin der Meinung, dass sich der Kapitalismus politisch nicht heilen lässt, aber ich bin überzeugt, dass man ihn mit seinen eigenen Mechanismen kurieren kann.

Das heißt, der Impuls muss aus der Wirtschaft kommen?
Aus den Menschen. Das sieht man an den ganz Großen. Das, was ich mache – Impact Investing – ist natürlich noch eine absolute Nische. Aber wenn ich mir anschaue, dass ein Unternehmen wie Blackrock, das gern mal als Satan des Neoliberalismus beschrieben wird, mittlerweile schärfere Nachhaltigkeitsziele fordert, muss man sich ja fragen: Warum machen die das? Selbst wenn das in erster Linie Green Washing und nicht ernst gemeint wäre, wird hier der gesellschaftliche Druck sichtbar.

Stimmt dich das optimistisch?
Ein wenig, aber es bleibt ein Problem. Denn die großen Konzerne, von denen Blackrock diese Transformation erwartet, können sich gar nicht so schnell verändern, wie es nötig wäre. Dazu braucht es Lösungen, die von unten gewachsen sind – sprich grüne Start-ups. Das ist der Grund, warum ich mich hier engagiere. Denn wenn im Kleinen niemand investiert, können auch keine größeren Unternehmen entstehen, in denen beispielsweise Pensionsfonds ihr Geld anlegen. Wir brauchen aber überhaupt erst einmal die Möglichkeit große Geldströme in die richtige Richtung lenken zu können. Diese Brücke fehlt.

Okay, Nachhaltigkeit ist mittlerweile Konsens, aber wie steht es um Gerechtigkeitsfragen?
Ich bin auch ungeduldig, aber wir müssen wahrscheinlich die kleinen Schritte sehen. In England gibt es seit drei Jahren ein Lieferkettengesetz, jetzt haben wir eines in Deutschland, was natürlich durch den Lobbyismus und das CDU-geführte Wirtschaftsministerium bis zur Unkenntlichkeit abgeschmolzen wurde, aber zumindest gibt es jetzt eins.

Wie sieht es mit den CSR-Bereichen in den Unternehmen selbst aus?
Früher wurden lediglich Hochglanz-Prospekte verteilt – heute engagieren sich ehemalige Menschenrechtler:innen in Konzernen dafür, dass unternehmerische Verantwortung umgesetzt und gelebt wird. Es hat sich viel getan, aber natürlich müssen die Verantwortlichen auch heute noch mit anderen Abteilungen ringen.

Gegensätzliche Interessen erfordern Kompromisse …
Schön wäre es. Die CSR-Chefs von zwei großen deutschen Automobilherstellern haben mir neulich auf einer Konferenz erzählt, dass jeder im Vorstand verstanden hat, dass es so nicht weiter geht, aber am Ende kommt eben der Einkaufsvorstand und rechnet vor, was eine Umstellung kostet und dann passiert nichts. Beide waren sich einig, dass wir ein hartes Lieferkettengesetz brauchen, weil aktuell die Unternehmen mit höheren Preisen bestraft werden, die sich für mehr Menschenrechte einsetzen.

Warum ist dann eine Partei, deren Programm vereinfach „weiter so“ heißt, seit Jahren der Wahlgewinner?
Am Ende unterscheiden sich die großen Parteien in ihren Programmen alle nicht sehr stark. Selbst die Grünen sind für mich kein Game Changer, auch wenn sie in einigen Bereichen Fortschritte versprechen. Mir fehlt eine Partei, die den Freiheitsgedanken der FDP vertritt, sich wie die Grünen für Nachhaltigkeit einsetzt und das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit verinnerlicht, das die SPD früher mal ausgemacht hat.

Die Ampel als das Beste aus drei Welten?
In der politischen Wirklichkeit bedeuten solche Konstellation leider oft Blockade. Ich baue eher darauf, dass unsere Generation Veränderungen anstoßen wird, wenn sie in den Unternehmen an den Schalthebeln angekommen ist. Ich treffe viele Menschen, die zwar ein gewisses Gehalt verdienen aber abends auch mit einem guten Gefühl nach Hause kommen wollen. Oder Mittvierziger, die beruflich erfolgreich sind, aber sich mehr und mehr Fragen stellen. Das macht mir Hoffnung.

Bleiben wir bei Veränderungen im persönlichen Leben. Aktuell engagierst du dich in einem relativ geschützten Rahmen. Du könntest wahrscheinlich jederzeit sagen – ich schalte doch wieder auf Porsche und Rolex um, oder?
Das ist so. Für Porsche und Rolex fehlt mir allerdings das Geld, da müsste ich meinen Vater um Hilfe bitten.

Wie viel tatsächliches Vermögen wärst du bereit abzugeben?
Ich bin ein fundamentaler Gegner einer klassischen Vermögenssteuer an den Staat – einfach, weil dieser seit Jahren zeigt, dass der damit nicht umgehen kann. Die Staaten haben kein Einkommens-, sondern ein Ausgabenproblem. Wenn das Geld sinnvoll verwendet wird, bin ich sofort dabei und wir können jetzt noch darüber diskutieren, wo Vermögen anfängt.

Bitte!
Das hängt sehr vom Wohnort ab. In Stuttgart bist du mit 80.000 Euro im Jahr weit weg von reich, im Nordsenegal sieht das ganz anders aus. Meiner Ansicht nach brauchen wir insgesamt niedrigere Einkommenssteuern – auch in der gehobenen Mittelschicht – und dafür höhere Kapitalsteuern. Ich persönlich habe Stand heute kein Vermögen …

… aber nehmen wir mal an, irgendwann verkauft dein Vater seine Firma und vererbt dir einen nennenswerten Betrag. Was würdest du damit tun?
Das klingt jetzt vielleicht arrogant, aber wenn jeder mit seinem Vermögen so umgehen würde, wie ich es dann tun würde, hätten wir das Problem nicht. Ich wäre ein Umverteilungsfaktor und würde Impact Investing betreiben.

Was bedeutet dir Status?
Wirklich gar nichts.

Hand aufs Herz!
Nein, ernsthaft (zeigt auf seinen Stoffgürtel und das nackte Armgelenk). Mit 20 fand ich Marken auch noch cool und hatte eine teure Uhr, aber mittlerweile gibt mir das nichts mehr.

Ist das eine Botschaft?
Auch. Denn wenn ich mich in meinem Freundeskreis umschaue, ist es doch so: Je mehr Geld die Leute verdienen, umso mehr Krimskrams schaffen sie sich an. Dadurch erhöhen sich die Fixkosten und es entsteht wieder ein Anreiz mehr Geld zu verdienen. Das ist ein Kreislauf, in dem wir fast alle drinstecken. Ich will da raus, denn zufrieden macht uns das in der Regel nicht. Und ich nehme wahr und habe die Hoffnung, dass es zukünftig immer mehr Menschen so geht.

Was ist dein Rat an die, die zweifeln?
Redet mit anderen Menschen! Wir sprechen heutzutage zu viel übereinander und nicht miteinander. Ich habe früher mit Linken und Ökos nicht geredet, weil ich mit der Überzeugung aufgewachsen bin, dass die eh keine Ahnung haben. Umgekehrt ist es ähnlich, wenn ich heute mit Sozialpädagog:innen oder Psycholog:innen aus dem Nonprofit-Sektor am Tisch sitze – dort ist man ähnlich ignorant gegenüber dem BWLer im Anzug. Wer wirklich etwas lernen möchte, muss aus seiner Blase raus.

Und ganz konkret?
Wenn ich ein produzierendes Gewerbe hätte, würde ich mit den Arbeiter:innen sprechen. Oder schaut euch eure Lieferketten an, direkt vor Ort und ohne Termin. Dann gehen jedem unweigerlich ganze Kronleuchter auf.

Arm und Reich haben keine gemeinsamen Begegnungsräume mehr?
In Deutschland kaum. Die Vorständin oder der Geschäftsführer fährt in der Regel mit seiner Limousine ins Büro. Das ist in meiner Lieblingsstadt London anders, die für alles steht, was auf der Welt wirklich gut und schlecht läuft. Dort sitzt der Finanzvorstand neben der Streetworkerin in der U-Bahn, weil es ganz banal nicht genug Garagen gibt. Das ist längst noch keine Kommunikation, aber immerhin Sichtbarkeit der anderen.

Wer seine Blase verlässt und kontroverse Positionen vertritt, setzt sich der Gefahr von Gegenwind aus. Davor haben heutzutage immer mehr Menschen Angst …
Um es hart zu sagen, sind wir gerade auf dem Weg in ein Social Credit System. In China gibt es das ganz offiziell, wir in den westlichen Demokratien machen das Ganze etwas cleverer und mit Unterstützung der großen Plattformen.

Das musst du erklären!
Zwei Monate vor den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat YouTube beispielsweise konsequent alle Inhalte blockiert, die nicht von den großen Media Outlets kamen. Das hieß für Inhalte von einem basisdemokratischen Medium, das wir unterstützen, zwei Drittel weniger Reichweite. So etwas bekommen die Menschen nicht mit, aber es passiert. Die großen Plattformen waren mal eine große Chance für die Gesellschaft, aber mittlerweile ist das komplett gekippt: Es ist fatal, wenn Tech-Konzerne entscheiden, was richtig oder falsch und zeigenswert oder eben nicht ist. Das ist Bücherverbrennung 2021!

Strich drunter: Du sagst, der Staat kann es nicht richten, die großen Unternehmen wollen es nicht richten – wer ist dann Teil der Lösung?
Zu viel Größe schadet immer dem Gemeinwohl. Deshalb ist auch das Unicorn-Leitbild der Start-up-Szene völlig fehlgeleitet. Denn damit ein Unternehmen auf einen Wert von einer Milliarde Dollar anwächst, müssen viele andere auf der Strecke bleiben. Das Prinzip ist übrigens in China und den USA ähnlich. Die einen blasen ihren Firmen durch staatliches Geld auf, die anderen schalten die Zentralbank dazwischen – beide wollen Unternehmen schaffen, die die Welt kontrollieren …

… und sind dabei relativ erfolgreich.
Wenn wir es nicht schaffen, die Macht der Konzerne zu beschneiden, die Demokratien unterhöhlen, wird es beim Stillstand bleiben. Die große Frage für mich ist, ob man ein Unternehmen wie Nestlé noch grundlegend reformieren kann – etwa durch neue Arbeitskräfte oder Übernahmen von Start-ups. Denn wenn Nestlé verschwinden muss, damit wir auf der Welt Lebensmittel anders herstellen, bin ich relativ pessimistisch, was wirkliche Veränderungen angeht.

Bleibt die Kernfrage: Wer ist Teil der Lösung?
Die Kleinen. Auf den Mittelstand kommt es an. Diese Unternehmen sind in der Regel in Familienbesitz und können relativ frei von äußeren Einflüssen agieren …

… aber?
Ich kann absolut verstehen, dass erfolgreiche Unternehmer:innen an ihrem Weg festhalten wollen. Diese Menschen stecken einfach in einer sehr anspruchsvollen Mühle, müssen zig wichtige Entscheidungen pro Tag treffen und dabei schnell sein, damit der Laden nicht stillsteht. Aber mein Wunsch wäre: Riskiert eine Zeit lang langsamer zu werden und das eigene Mindset zu hinterfragen, das ist der Anfang …

… eines längeren Weges, oder?
Natürlich. Du wirst nicht vom Steakliebhaber zum Veganer. Zuerst lässt du das Billigfleisch weg und setzt auf Bio, dann bleibt Fisch und irgendwann bestellst du deinen Kaffee mit Hafermilch. So ist es doch in jedem Bereich des Lebens: Das finale Ziel gilt vielen als unheimlich weit weg und Ausrede, aber auf die Zwischenschritte kommt es an. Also … traut euch!

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