25. April 2023
Entscheider

Für den Harz braucht es Zeit

Alexander Saipa ist Goslars Landrat und Vorstandsvorsitzender des Harzer Tourismusverbands

Landrat Alexander Saipa. Foto: Gesa Lormis

Mit Alexander Saipa ist ein promovierter Chemiker in der Position des Landrates in Goslar und Vorstandsvorsitzender des Harzer Tourismusverbands. Zwei Gegensätze, die den Landkreis prägen: Touristen auf der Suche nach Naturerlebnissen und Zerstreuung sowie wichtige Industriezweige.

Herr Saipa, Sie haben nicht immer in Goslar gelebt. Während Ihres Chemie-Studiums zogen Sie nach Baden-Württemberg, haben in Stuttgart promoviert. Was bedeutet für Sie Heimat?
Das Leben in einer wunderschönen Region, in der man gut arbeiten kann und hervorragende Freizeitmöglichkeiten hat, das ist für mich Heimat. Da ich als Chemiker zurückgekommen bin, ist mir der Faktor Arbeitsplätze wichtig und bewusst. Meine Familie fühlt sich ebenfalls wohl.

Seit wann engagieren Sie sich politisch?
Richtig in der Kommunalpolitik angefangen hat es 2002 in Stuttgart. Mein Doktorvater an der Technischen Universität Clausthal hatte einen Ruf der Universität Stuttgart erhalten und ich bin ihm gefolgt. Dort kannte ich niemanden, daher habe ich mich im SPD-Ortsverein engagiert. Ein Stück weit, um Menschen kennenzulernen, aber ich wollte ohnehin politisch aktiver werden, mich einbringen. Und es macht mir viel Spaß.

Wie ging es dann weiter?
Nach der Promotion 2007 habe ich hier in Langelsheim bei einem Unternehmen eine Stelle angenommen und blieb politisch aktiv. Von 2013 bis zur Wahl 2021 vertrat ich Goslar im Landtag.

Sie sind nicht nur Landrat, sondern auch Vorstandsvorsitzender des Harzer Tourismusverband.
Stimmt. Der Verband, kurz HTV, verbindet im ganzen Harz – unabhängig von den politischen Grenzen – die Themen Tourismus und Vermarktung. Unsere Geschäftsführerin, Carola Schmidt, und ihr Team machen das hervorragend; die kennen sich aus. Der HTV ist unser Instrument, um die Region nach außen zu vermarkten und zu präsentieren, was wir haben.

Ist der Landrat, oder die Landrätin, immer HTV-Vorstandsvorsitzende?
Es sind zwar immer Landräte, aber nicht immer der aus Goslar. Mein Vorgänger als Landrat und Vorsitzender, Thomas Brych, hat das Amt vom Landrat des Landkreises Harz übernommen. Er hatte mich gefragt, ob ich mir den Vorsitz ebenfalls vorstellen könnte und mich der Mitgliederversammlung vorgeschlagen.

Wo sehen Sie Ihre Aufgaben?
Das operative Geschäft liegt bei der Geschäftsführerin und der Geschäftsstelle. Die Aufgaben des Vorstandes sind konzeptionell: wie wir den Harz als Destination insgesamt weiterentwickeln. Bei den Vorstellungen und Ansprüchen gibt es Unterschiede zwischen den Landkreisen Goslar, Harz, Göttingen und Mansfeld-Südharz in Thüringen. Aber ich halte es für eine gute Sache, dass wir gerade im Bereich Tourismus so eng miteinander arbeiten. Das einheitliche Auftreten, das gemeinsame Corporate Design, ist wichtig.

In welchem Gebiet wirkt der Verband?
Das läuft länderübergreifend, als Interessen- und Dachverband sind wir in mehreren Bundesländern aktiv: Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Frau Schmidt, unsere Geschäftsführerin, ist auch auf Landesebene in den Tourismusverbänden, um den Harz zu vertreten.

In den 1990er-Jahren hatte der Harz einen eher biederen Charme, seit ein paar Jahren liegt er im Trend. Wann und wodurch kam es zu dieser Veränderung?
In den 90er-Jahren habe ich hier gelebt … Die ersten Jahre nach der politischen Wende ist – so ehrlich muss man sein – nicht so viel passiert. Die touristische Wende kam mit der Modernisierung von Torfhaus und dem Ausbau des Wurmbergs. Das waren einfach Leuchtturmprojekte, denen weitere Investitionen gefolgt sind. Wichtig für uns im Westharz sind auch die veränderten Fördermöglichkeiten seit zehn Jahren. Dadurch konnten Häuser saniert, neue Projekte umgesetzt werden. Darüber hinaus profitieren wir natürlich auch von dem Trend, dass immer mehr Menschen Urlaub in Deutschland machen. Und sicher hat auch die Corona-Pandemie nochmals etwas dazu beigetragen. Die Menschen haben im Lockdown die Natur wieder für sich entdeckt.

War während der Pandemie nicht vieles zu?
Es gab ja auch die Phasen, als touristisch schon wieder viel ging – aber die Leute wollten nicht weit wegfahren, flexibel bleiben. Da haben viele Menschen Urlaub im Harz gemacht. Wir müssen uns nur Braunlage anschauen: Die Stadt hat in den vergangenen 15 Jahren einen großen Wandel durchlebt. Wenn Sie dort spazieren gehen, sehen Sie Urlauber jeden Alters. Familien, junge Paare, Wanderer allein oder in Gruppen – da ist alles dabei und für alle gibt es Angebote.
Sie haben gerade erst einen Vertrag unterzeichnet, dass am Bocksberg eine weitere Sommerrodelbahn gebaut werden darf.
Genau, da gibt es einen städtebaulichen Vertrag, dass die touristische Nutzung in Hahnenklee weiter ausgeweitet werden kann.

Gibt es denn touristische Highlights, die aus Ihrer Sicht besonders gut funktionieren?
Der Bocksberg gehört dazu. Braunlage hat sich ebenfalls zu einer touristischen Perle entwickelt, mit Angeboten für Familien und hochwertigen Übernachtungsmöglichkeiten. Auch die Freizeitmöglichkeiten haben sich entwickelt: Der Baumwipfelpfad und die Baumschwebebahn in Bad Harzburg, Monsterroller in Braunlage, Bocksbergcarts, …

Foto: Marcus Beckert – stock.adobe.com

Diese Dreiräder?
Ja! Das ist etwas für Kinder und Jugendliche, für Familien. Dazu kommen die Natur und der Wintersport, ergänzt um passende Möglichkeiten, um etwas zu essen und zu übernachten. Es ist alles da, um den Harz das ganze Jahr über zu erleben. Und selbst wenn es während des Sommerurlaubs regnet: Mit dem Rammelsberg, einem Weltkulturerbe, können Sie das größte Besucherbergwerg Europas besichtigen. Die gute Erreichbarkeit mitten in Deutschland, mitten in Europa, ist nicht nebensächlich. Jetzt könnte man den ÖPNV kritisieren, aber da sind wir dran! Zum Beispiel mit dem Hatix-Urlaubsticket.

Was ist das?
Wenn Sie im Harz übernachten, dann zahlen Sie eine Tourismus-Abgabe und bekommen dafür unter anderem das Hatix, eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr. Damit können Sie im ganzen Harz unterwegs sein und zum Beispiel von Braunlage ganz bequem mit dem Bus nach Torfhaus fahren, um über den Achtermann wieder zurückzuwandern. Wir sind gerade dabei, das noch bekannter zu machen. Es gibt zum Beispiel eine App, in der Sie in Echtzeit die Abfahrtszeiten nachschauen können. Wobei jedem bewusst sein sollte, dass wir nicht Hamburg oder Berlin sind: Die enge Taktung gibt es nicht.

Welche Rolle spielen denn digitale Kanäle wie Apps beim Umstieg auf den ÖPNV?
Die gleiche Rolle wie überall. Der Landkreis Goslar ist ja keine Insel, sondern spielt nach den gleichen Regeln wie alle anderen. Die Menschen werden digitaler, darauf müssen wir reagieren. Gerade für den ÖPNV sind zuverlässige Informationen wichtig. Der HTV ist, allerdings in Sachsen-Anhalt, an einem Forschungsprojekt zur digitalen Besucherlenkung beteiligt. Also Systemen, die einem beispielsweise schon bei der Buchung von Online-Tickets anzeigen, wie voll es werden könnte und weniger gefragte Zeitslots vorschlagen. Aber ich habe noch ein anderes Beispiel für unsere Digitalisierung …

Gerne.
Der Landkreis Goslar ist Vorreiter beim Einsatz von Tele-Notärzten. Statt zu jedem Notfall rauszufahren, kann der Notarzt vom Rettungsdienst bei Bedarf digital dazu geschaltet werden. Und das funktioniert! Auch in Gegenden, in denen die Mobilfunkabdeckungen nicht so gut ist, konnte in fast allen Fällen eine Verbindung hergestellt werden.
Um bei der Mobilität zu bleiben: Wie beurteilen Sie den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge in Goslar?
So wie im Rest von Deutschland: Es gibt vereinzelte Ladeplätze, manchmal Unternehmen oder Hotels, die mit Fördermitteln Ladesäulen aufgestellt haben. Aber das ist kein flächendeckendes Angebot.

Wen sehen Sie in der Verantwortung für den Ausbau?
Gute Frage, aber aus kommunaler Sicht führt das ein bisschen zu weit. Wenn die Bundesregierung eine E-Auto-Strategie entwickelt, müssen die sich auch mit dem Thema der Ladeinfrastruktur beschäftigen. Sie können zu jedem verkauften E-Mobil eine private Wallbox fordern, aber das funktioniert in dicht besiedelten Wohngebieten, mit Mehrfamilienhäusern, nicht. Für Unternehmen ist es vielleicht einfacher. Aber ich denke, dass bei der Frage einer Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge vieles noch nicht ausgereift ist. Insofern sollte sich jeder überlegen, wie er seine Mobilität gestaltet.

Wie meinen Sie das?
Vielleicht kommen wir irgendwann dahin, dass es an großen Parkplätzen überall Ladesäulen gibt, quasi E-Tankstellen. Aber die muss es nicht in jedem kleinen Dorf, jedem Waldparkplatz geben. Momentan haben einige die Anspruchshaltung, dass sie überall und jederzeit ihren Tesla aufladen wollen, am besten kostenfrei. Das geht mit meinem Verbrenner aber auch nicht, die Tankstellen sind eben nicht im Wald.

Wie sind Sie unterwegs?
Mit einem Diesel. In diesem Fall bin ich nicht Politiker, sondern Naturwissenschaftler: Es bringt dem Klimaschutz keinen Vorteil, wenn ich ein Auto, dass noch Jahrzehnte fahren kann – und auch irgendwo fahren wird, wenn ich es verkaufe – austausche. Das hat auch unser ehemaliger Umweltminister und heutiger Wirtschaftsminister Olaf Lies als Liebhaber alter Fahrzeuge einmal sinngemäß in einem Interview erklärt: „Es ist durchaus nachhaltig, alte Fahrzeuge zu nutzen, denn die Produktion neuer Fahrzeuge verbraucht eben auch Ressourcen.“ Mir ist bewusst, dass Konzerne, die Wirtschaft, das nicht so gerne hören. Aber Produktion verbraucht eben unglaublich Energie. Aber das ist hier und heute nicht das Thema.

Stimmt. Kann Goslar eigentlich vom Tourismus leben?
Wir brauchen den Mix aus Tourismus, Industrie und Gewerbe. Das industrielle Rückgrat mit der chemischen Industrie und dem metallverarbeitenden Gewerbe genauso wie die Arbeitsplätze in gastronomischen Betrieben. Wir haben die tolle Verknüpfung der Wissenschaft mit der TU Clausthal und der Wirtschaft, manche der Weltmarktführer hier sind Ausgründungen aus der TU. Diese Mischung macht uns als Landkreis aus. Diese schützen und stützen wir auch politisch.

Wenn Sie jemanden kennenlernen, der noch nie im Harz war: Welche Orte empfehlen Sie?
Als Landrat des Landkreises Goslar sage ich natürlich: Der Landkreis mit seiner Natur und seinen kreisangehörigen Kommunen ist wunderschön. Aber das Wichtigste ist eigentlich, Zeit mitzubringen, mindestens eine Woche, um all die schönen Seiten und Orte zu erleben.

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