Herr Herlitschke, der eine oder andere unserer Leser:innen erinnert sich sicherlich noch daran: 2014 haben Sie als Oberbürgermeister kandidiert, gewonnen hat Herr Markurth.
Wenig überraschend.
War das Ziel zu ambitioniert?
Es war uns als Grüne und mir bewusst, dass die Kandidatur gegen Ulli Markurth aussichtlos war. Wer so vernetzt ist und jeden Stein in Braunschweig von unten und oben kennt wie Ulli Markurth … da habe ich mir keine großen Chancen ausgerechnet. Für uns war es wichtig, sichtbar zu sein.
Sind Sie direkt danach Umweltdezernent geworden?
Nein, erst bin ich 2016 aus der Politik ausgeschieden. Zehn Jahre wären genug, dachte ich. Allerdings überzeugte mich meine Fraktion, mich im Regionalverband einzusetzen. So war ich dort zwei weitere Jahre Fraktionsvorsitzender. Als sich 2019 abzeichnete, dass ein Umweltdezernat gegründet werden soll, habe ich eine sehr umfangreiche Bewerbung eingereicht (lacht). Aber ich wurde gewählt, mit einer für grüne Verhältnisse ganz guten Mehrheit von 34 von 55 Stimmen.
Zusammengefasst im Amt sind Umwelt, Stadtgrün, Sport und Hochbau inklusive Gebäudemanagement …
Gebäudemanagement gehört zum Hochbau. Der Titel heißt eigentlich Umwelt, Stadtgrün, Sport und Hochbau.
Und das passt alles zusammen?
Das fragen viele, aber ich finde, es passt sehr gut. Zu jeder neuen Kita oder Schule, die wir mit dem Hochbau bauen, gehören Außenanlagen. Die müssen geplant, angelegt und gepflegt werden. Da greift eines ins andere. In den Fachbereichssitzungen merke ich immer wieder, was für Synergien durch die Zusammenlegung entstanden sind.
Haben die Fachbereiche vorher nicht miteinander geredet?
Es gab weniger Berührungspunkte, der Fachbereich 65, Hochbau und Gebäudemanagement und der Fachbereich 67, Stadtgrün und Sport waren zum Beispiel organisatorisch weit voneinander entfernt in unterschiedlichen Dezernaten. Außerdem wurde durch die Dezernatsgründung der Umweltbereich aufgewertet: Früher gab es lediglich die Abteilung Umwelt als Teil der Stadtplanung, jetzt hat das Thema einen eigenen Fachbereich – übrigens mit der Nummer 68. Aber das hat nichts mit den politischen 68ern zu tun (lacht).

Was hat sich durch diese Aufwertung verändert?
Der Fachbereich Umwelt diskutiert jetzt mit allen Fachbereichen der Verwaltung auf Augenhöhe. Gemeinsam mit den Organisationseinheiten Hochbau und Grünflächen wird an der Erstellung des Klimaschutzprogramms 2.0 gearbeitet – viele Themen sind einfach übergreifend.
Haben Sie dafür Beispiele?
Nehmen Sie nur den Hochbau: In der Vergangenheit wurden oft nur die reinen Baukosten betrachtet. Dadurch hat man das Mindestmaß dessen umgesetzt, was in Energieeinsparverordnungen oder Gebäudeenergiegesetzen gefordert wurde. Das hat mich schon immer geärgert, wir müssen doch die Betriebskosten mitrechnen! Gott sei Dank hat ein Umdenken eingesetzt, wir machen jetzt Gebäudebetrachtungen über 30 Jahre, berechnen die Lebenszykluskosten und investieren mehr in die Dämmung, Beheizung und sparsame Beleuchtung. Aber jeden Euro, den wir in der Vergangenheit eingespart haben, zahlen wir jetzt doppelt.
Hat die Stadt gegenüber Unternehmen und Privathaushalten eine Vorbildfunktion?
Selbstverständlich! Wir können keine politischen Forderungen in den Raum stellen und uns selbst nicht daran halten.
Als wir das Interview anfragten, gründete die Stadt gerade eine Energiegenossenschaft. Woher kam die Idee dazu?
Der Ausbau von Photovoltaik seitens der Stadt lief uns zu langsam. Also fingen wir an zu überlegen, wie es schneller geht. Erst dachten wir an die Gründung einer GmbH als Eigengesellschaft, aber warum sollten wir alles allein machen? Also sahen wir uns nach Partnern um, die die Gesellschaft schlagkräftiger machen könnten. Nun sind unter anderem BS Energy, die Braunschweigische Landessparkasse und die Volksbank BraWo sowie die Wohnungsbaugesellschaften Nibelungen und Wiederaufbau dabei. So kommen Inputgeber für das Thema Energie, Geldgeber, die Besitzer großer Dachflächen und das technische Know-how unseres Hochbaus zusammen. Auch Umweltverbände sind eingebunden.
Und alle ziehe an einem Strang?
Genau. Und durch das Genossenschaftsmodell öffnen wir uns den Braunschweigerinnen und Braunschweigern. Demnächst kann sich jeder beteiligen – durch eine Einlage oder mit einem Dach.
Die Genossenschaft hat angekündigt, Photovoltaik-Anlagen zu bauen. Gibt es für die ersten schon Standorte?
Die ersten dreizehn Anlagen sollen noch dieses Jahr installiert werden, auch an sehr prominenten Standorten wie dem Eintracht Stadion und der VW Halle. Die Gesellschaft wird, so wie ich das aktuell sehe, noch für Furore sorgen. Sie ist in ihrer Form bundesweit einzigartig.
Gibt es Rückmeldungen von anderen Kommunen?
Genossenschaften sind in der Regel aus bürgerschaftlichem Engagement entstanden. Seltener durch Firmen oder Kommunen. Und nun haben sich Unternehmen und eine Kommune zusammengetan – das ist einzigartig. Wir haben daher in der Tat schon Anfragen aus der direkten Nachbarschaft, wo man unser Modell offensichtlich genau beobachtet.
Wie viele Haushalte sollen versorgt werden?
In den kommenden Jahren möchten wir jedes Jahr mindestens ein Megawatt installieren. Das entspricht der Versorgung von ungefähr 200 Vier-Personen-Haushalten jährlich.
Sind neben PV-Anlagen weitere Projekte geplant?
Die Genossenschaft heißt bewusst Energiegenossenschaft Braunschweiger Land. Wir wollen uns regional aufstellen – über die Grenzen von Braunschweig hinaus. Umliegende Kommunen sind eingeladen, sofern sie wollen, sich unsere Arbeit anzusehen und der Genossenschaft beizutreten. Wir haben zwar in Braunschweig viele Dächer, aber kaum Platz für Windkraftanlagen.
Ist die Genossenschaft ein Kind der Energiekrise?
Sie ist aus der Arbeit am Klimaschutzprogramm 2.0 geboren. Die aktuelle Energiekrise bestätigt aber eindrucksvoll die Richtigkeit unseres Vorgehens. Unser Klimaschutzmanager Matthias Hots hat errechnet, dass Braunschweig, um bis 2030 klimaneutral zu werden, 66-mal mehr PV-Leistung bräuchte, als derzeit stadtweit installiert ist.
Sind die Anlagen denn ein Baustein, um die Krise abzumildern?
Mit jeder PV-Anlage, mit jeder Wärmepumpe, jeder Biomasseanlage machen wir uns unabhängiger von der externen Lieferung fossiler Energie. Auch das neue Biomassekraftwerk von BS Energy trägt einen Teil dazu bei, dass ein wesentlicher Part unseres Energiebedarfs zukünftig durch einen anderen Energieträger als Gas gedeckt werden kann. Nach meiner Beobachtung können wir akut, außer mit Einsparungen, noch nicht viel ausrichten – dafür haben wir zu wenig Zeit, es fehlt an Material und Fachkräften. Aber mittelfristig machen wir uns unabhängiger. Hier muss man ehrlicherweise sagen, dass die Bundespolitik in Berlin versagt hat: Die Abhängigkeit von russischem Gas hätte nicht so weit getrieben werden dürfen.
Gibt es noch weitere Projekte, um Braunschweigs Klimabilanz zu verbessern?
Wir müssen an alle Sektoren ran, die Kohlenstoffdioxid emittieren. Überall, nicht nur in Braunschweig, ist der motorisierte Individualverkehr ein Thema. Ich scheue mich aber immer davor, da explizit nur das Auto zu nennen. Mit E-Mobilität fallen zumindest keine Emissionen in der Stadt an. Und durch meine frühere Arbeit weiß ich, dass nicht jedes Ziel mit dem öffentlichen Nahverkehr erreicht werden kann. Die Frage ist, wann wir ihn gut genug ausgebaut haben, um alle zufrieden zu stellen. Und der Rad- und Fußverkehr sowie die Änderung des sogenannten Modal-Split, also des jeweiligen Anteils am Gesamtverkehr, zugunsten von ÖPNV, Rad und Fuß, stehen natürlich im Focus.
Was können Unternehmen tun?
Sie müssen genauso ihren Teil zur Klimabilanz beitragen, wie die Stadt und Privathaushalte. Mittelständler wollen erneuerbare Energien nutzen, auch für ihre Fahrzeugflotten und die Maschinen in ihren Unternehmen. Gleichzeitig müssen sie einen Betrieb leiten, ein Handwerk ausführen, hatten Einschränkungen durch die Pandemie und kämpfen mit dem Fachkräftemangel – da gibt es oft keine Kapazitäten, um sich mit den Genehmigungsverfahren für eine PV-Anlage zu beschäftigen. Deshalb bieten wir mit der Genossenschaft an, Dächer zu pachten, die Anlagen zu bauen und zu betreiben. Als Gegenleistung erhalten die Unternehmen günstigen Strom von uns. Ein „rundum-sorglos-Paket“ sozusagen.

Als Unternehmer:in muss ich also nur noch sagen: Hier ist meine Halle, macht mal?
Genau! Eigentlich ist es bestechend einfach und ich frage mich, warum das vor uns noch keine andere Kommune gemacht hat.
Gibt es aus Ihrer Sicht unter den Braunschweiger Unternehmen Beispiele für richtig gute Projekte?
Ja, klar. Solvis zum Beispiel ist schon seit Jahren bei dem Thema weit voraus und hat PV-Anlagen auf dem Dach. VW ist ebenfalls gut dabei. Aber große Firmen müssen sich eigene Klimaziele setzen und bilanzieren sich selbst. Deswegen fließen die Braunschweiger VW-Standorte auch nicht in die Klima-Bilanz der Stadt ein.
Und was könnten die Unternehmen noch besser machen?
Ach, das ist wie in der Gesamtgesellschaft, in der einige nicht an den Klimawandel glauben oder daran, dass Menschen Einfluss darauf haben. Das führt dazu, inaktiv zu bleiben. Ein Stück weit habe ich dafür aber auch Verständnis. Als Unternehmer:in muss ich vieles im Blick behalten. Mehr kann man, auch und gerade als Unternehmer:in, aber immer machen. Wir machen mit der Energiegenossenschaft dazu ein Angebot.
Gibt es Förderprogramme seitens der Stadt?
Ja, aber die sind eher auf Privatpersonen ausgelegt, nicht so sehr auf Unternehmen. Die Wirtschaftsförderung ist ansonsten Ansprechpartner für die Firmen und kommt auf uns zu, wenn es um Umwelt- und Klimaschutzthemen geht.
Vor einiger Zeit baten Sie um mehr gegenseitige Rücksichtnahme auf dem Ringgleis. Was ist das Ringgleis für Sie primär: Infrastruktur für Pendler:innen oder ein Naherholungsgebiet?
Die offizielle Antwort: Es ist ein Freizeitweg. Das Ringgleis hat aber auch eine starke Verkehrslenkungsfunktion. Morgens ist es egal an welcher Stelle Sie schauen – das ist ein unglaubliches hin und her der Radfahrer:innen. Am Ringgleis kann man sehen, wie ein Erfolgsprojekt zugleich das ein oder andere Problem aufwirft. Bei der intensiven Nutzung, die wir jetzt haben, ist die Breite zu gering. An der einen oder anderen Stelle könnte es verbreitert werden – aber das wäre wieder eine Einladung zu mehr Tempo, was wir nicht wollen.
Welcher Abschnitt wird als nächstes gebaut?
Die Ringgleisschleife-Süd, am Brodweg hinter der Kleingartenanlage. Dort gibt es bisher nur einen provisorischen Ringschluss. Das ist ein Zickzackkurs, den wir bald beseitigen wollen.
Sind Sie mit dem Dezernat in das Projekt Bahnstadt eingebunden?
Die Bahnstadt ist ein städtebauliches Projekt, also nicht wir, sondern der Fachbereich Stadtplanung und Geoinformation ist federführend. Aber für Themen wie Grünflächen, Umweltauswirkungen und Lärm sind wir dabei.
Dann fallen Projekte wie das neue BraWo-Hochhaus auch raus …
Dort werden wir zumindest Mieter, Mitte 2023 ziehen wir ein. Die energetischen Standards sind aber selbstverständlich auf der Höhe der Zeit.
Damit befinden all Ihre Abteilungen gemeinsam an einem Ort?
Zumindest alle Büromitarbeitenden meines Dezernats. Die Gärtnerinnen und Gärtner zum Beispiel wären etwas fehl am Platz –sie sollten möglichst in ihren Bezirken verortet sein. Aber der zugeordnete Bereich Schule aus dem Dezernat von Christine Arbogast wird dabeisitzen. Das hört sich erst merkwürdig an, aber wir sind mit dem Hochbau deren maßgeblicher Dienstleister, bauen und sanieren ja die Schulen – Nähe vereinfacht die Zusammenarbeit.