Seit 2014 leitet Gerold Leppa die Braunschweig Zukunft GmbH, eine Tochterfirma der Stadt, als Geschäftsführer. Zugleich ist er Geschäftsführer der Braunschweig Stadtmarketing GmbH, einer weiteren Tochter der Stadt. Er und sein Team verstehen sich als Schnittstelle zwischen Unternehmen und der Stadtverwaltung.
Herr Leppa, was unterscheidet die Braunschweig Zukunft GmbH von einer klassischen kommunalen Wirtschaftsförderung?
Seit der Privatisierung durch Gründung der GmbH im Jahr 2002 ist die Wirtschaftsförderung in einer anderen Rechtsform organisiert als klassische Verwaltungseinheiten. Ihre Kernaufgaben sind aber die gleichen geblieben: Sie ist zentrale Ansprechpartnerin für alle Unternehmen, die in Braunschweig ansässig sind oder es werden wollen. Vom erfahrenen Mittelständler, der sein Unternehmen erweitern möchte, bis zum jungen Startup, das mit viel Mut, Tatendrang und Innovationsgeist den Schritt von der Hochschule zum eigenen Unternehmen angehen will. Wir bieten für die verschiedensten Anliegen die passende Beratung, vermitteln Kontakte zu Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft und sind natürlich auch die Schnittstelle zur Stadtverwaltung, mit der wir als städtisches Tochterunternehmen eng zusammenarbeiten. Darüber hinaus betreiben wir den städtischen Technologiepark am Rebenring, der bereits seit 1986 als erfolgreiches Gründerzentrum besteht. Mit dem vom Land Niedersachsen geförderten Startup-Zentrum MO.IN und dem Accelerator für Wachstum und Innovation W.IN haben wir in den vergangenen Jahren weitere hochwertige Angebote für Gründerinnen und Gründer geschaffen.
Woran machen Sie fest, dass Ihre Arbeit erfolgreich ist? Gibt es Kennzahlen, in denen sich Ihr Erfolg zeigt?
Natürlich hat auch die Wirtschaftsförderung ihren Beitrag dazu geleistet, dass sich der Wirtschaftsstandort Braunschweig in den vergangenen Jahren positiv entwickelt hat. Auf einen einzigen Akteur ist das allerdings kaum zurückzuführen. Als Wirtschaftsförderung nehmen wir häufig eine Mittlerrolle ein, bringen Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammen, schieben Projekte an und setzen uns dafür ein, sie zu ermöglichen und im Rahmen der städtischen Möglichkeiten zu fördern. Ohne starke, engagierte Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ließen sich viele Dinge aber nicht umsetzen. Auch dank solcher Kooperationen hat sich beispielsweise das Gründerökosystem in Braunschweig sehr gut entwickelt.
Gibt es Branchen oder Gewerbe, die Braunschweig besonders prägen?
Die Mobilitätsbranche ist das prägendste Element am Standort Braunschweig – das gilt übrigens für die Wirtschaft ebenso wie für die Wissenschaft. Hier entstand vor mehr als 80 Jahren das erste Vorwerk des späteren Weltkonzerns Volkswagen, und auch heute noch ist das VW-Werk der größte Arbeitgeber in der Stadt. Entsprechend gibt es viele Zulieferbetriebe, häufig regional verankerte Mittelständler, die attraktive Ausbildungs- und Arbeitsplätze bieten.
Mobilität hat inzwischen aber viel mehr Facetten. Um diese Leitbranche herum sind über die Jahre neue, zusätzliche Geschäftsmodelle entstanden. Volkswagen Financial Services beispielsweise steuert die weltweiten Finanzdienstleistungen des Volkswagen Konzerns und ist mit mehr als 20 Millionen Verträgen der größte automobile Finanzdienstleister Europas. Ohnehin hat Braunschweig ein starkes Finanzcluster mit tausenden Beschäftigten.
Siemens Mobility wiederum beschäftigt sich mit der Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung der Mobilität und setzt in Braunschweig einen Schwerpunkt auf die Signaltechnik für den Bahnverkehr.
Bei der Digitalisierung kommt eine weitere Stärke des Standorts Braunschweig zum Tragen: die hochqualifizierte und gut vernetzte IT-Szene. Entwicklerinnen und Programmierer sind für jedes Unternehmen der Schlüssel zur digitalen Transformation. Das gilt selbst für die klassischsten Industrien, wie zum Beispiel den Maschinenbau, der ebenfalls eine für Braunschweig prägende Branche war und ist.
Natürlich ist auch die Kultur- und Kreativwirtschaft zu nennen, die von Design und Kunst über Verlage bis hin zur Architektur reicht.
Wie verteilen sie sich in der Stadt und den Stadtteilen?
Eine gezielte Clusterbildung herrscht vor allem am Forschungsflughafen mit Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt und der Verkehrstechnik. Die Gewerbeflächen in diesem Umfeld sind auch explizit für diese Unternehmen vorgesehen. Ansonsten sind die Gewerbegebiete nicht jeweils einzelnen Branchen vorbehalten. Grundsätzlich zeichnet sich Braunschweig aber dadurch aus, dass Industrie und produzierendes Gewerbe bis auf wenige Ausnahmen meist in den Gewerbegebieten am Stadtrand zu finden sind, während sogenannte wissensintensive Dienstleistungen und auch die Kultur- und Kreativwirtschaft eher die innerstädtischen und zentrumsnahen Lagen prägen.
Was macht Braunschweig als Wirtschaftsstandort besonders?
Ganz klassisch betrachtet hat Braunschweig zunächst einmal davon profitiert, dass es seit der Wiedervereinigung mitten im Herzen Europas liegt – und daher in Kombination mit den seitdem stark ausgebauten Verkehrsanbindungen eine Top-Lage für Wirtschaftsunternehmen bietet. In dem Zusammenhang ist natürlich auch das Vorhandensein eines leistungsfähigen Binnenhafens ein Standortvorteil. Das herausragende Merkmal dieses Standorts ist allerdings die bemerkenswerte Kombination aus Wirtschaft und Wissenschaft, die fortlaufend für Innovationspotenzial sorgt.
Was unterscheidet Braunschweig als Wirtschaftsstandort von seinen Nachbarn?
Zunächst einmal eint unsere gesamte Region die Prägung durch die Automobil- und Zulieferindustrie. Dadurch sind unsere Städte letztlich auch wirtschaftlich eng miteinander verbunden, nicht nur aufgrund der VW-Werke in Wolfsburg, Salzgitter und Braunschweig. Als historisches und touristisches Oberzentrum, Hochschulstadt und wissenschaftliches Herz der Region hat Braunschweig natürlich auf vielen Ebenen eine naturgemäß starke Anziehungskraft für Studierende, Kreativschaffende und junge Fachkräfte, weshalb Braunschweig auch als „Schwarmstadt“ gilt. Letztlich kann unsere Region aber vor allem im überregionalen Wettbewerb gemeinsam die größte Kraft entwickeln.

Welche Rolle spielen Einrichtungen wie die TU, Mobilitätscluster und der Forschungsflughafen für die Neuansiedlung von Unternehmen und Neugründungen?
Die Braunschweig Zukunft GmbH ist für das Clustermanagement am Forschungsflughafen Braunschweig zuständig – einem der technologischen Aushängeschilder des Forschungs- und Wirtschaftsstandorts Braunschweig und der gesamten Region. Dieses international bedeutsame Mobilitätscluster entwickelt sich sehr dynamisch, viele Partner investieren im Umfeld des Flughafens, immer neue Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen finden dort ihre Heimat. So hat sich die Zahl der Beschäftigten im direkten Umfeld des Forschungsflughafens Braunschweig von rund 1.600 im Jahr 2004 auf inzwischen über 3.400 mehr als verdoppelt.
Die Forschungsinfrastruktur am Braunschweiger Flughafen ist einzigartig. Ein Beispiel hierfür ist die Aerodata GmbH: 1985 aus der TU Braunschweig heraus gegründet, hat sich das einstige Startup vom Forschungsflughafen aus zum Weltmarktführer für Flight Inspection Systeme entwickelt.
Sehen Sie die Region als strukturschwach oder -stark an?
Unsere Region hängt natürlich stark von der Automobilbranche ab. Aus ihr zieht sie seit Jahrzehnten viel Kraft, aber eine solche Konzentration auf eine einzelne Branche bedeutet immer auch ein Risiko. Andererseits gibt es hier aber auch viele kleine und mittelständische Unternehmen aus anderen Branchen, die Weltmarktführer und zum Teil echte „Hidden Champions“ sind. Bei genauerem Hinsehen haben wir also viele Stärken in der Region und sind breiter aufgestellt, als man zunächst denken könnte.
Was müsste sich ändern, um die Situation allgemein zu verbessern?
Enorm wichtig ist, auf die Zusammenarbeit mit unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu setzen. Kooperationen mit der Wissenschaft vor Ort bieten unserer Wirtschaft die Chance, Transformationsprozesse zu gestalten und sich zukunftsfähig aufzustellen. Gleichzeitig gilt es, Gründungsgeist und Unternehmertum zu fördern, denn innovative Startups beleben und inspirieren den Wirtschaftsstandort und schaffen neue Arbeitsplätze. Dazu muss es vor allem auch gelingen, die Finanzierung für Startups im High-Tech-Bereich auszubauen.
Wie wichtig ist die Arbeit über Stadt- und Landkreisgrenzen hinweg?
Dringend erforderlich ist die interkommunale Zusammenarbeit beim Thema Gewerbeflächenentwicklung. Die Nachfrage nach Gewerbeflächen ist in Braunschweig so groß, dass wir den Bedarf aufgrund der knappen Flächenverfügbarkeit bei Weitem nicht decken können. Daher arbeiten wir stetig daran, neue Flächenpotenziale zu identifizieren. Aufgrund der Anziehungskraft des Lebens- und Arbeitsstandorts Braunschweig kann von solchen interkommunalen Gewerbegebieten letztlich die gesamte Region profitieren.
Belastbare Aussagen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft zu treffen, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwierig. Trotzdem: Wenn Sie auf die vergangenen Arbeitswochen für sich und ihr Team blicken, was hat Sie überrascht und an welchen Stellen werden Sie als Wirtschaftsförderer die Folgen noch lange spüren?
Gefreut hat mich, dass wir mit den Kammern, Verbänden und weiteren Institutionen aus der Region in kurzer Zeit ein schlagkräftiges Beratungsnetzwerk auf die Beine gestellt haben, um den Unternehmen zur Seite zu stehen. Die Kosten der Pandemie für die Wirtschaft sind bereits jetzt gravierend, ich fürchte allerdings, dass wir die langfristigen Auswirkungen der Krise erst mit einiger Verzögerung erleben werden – wenn die Soforthilfen auslaufen, Rücklagen aufgebraucht sind und die Umsätze nicht rechtzeitig wieder auf das nötige Niveau steigen. Im stationären Einzelhandel sehen wir schon jetzt Verwerfungen. Ich bin aber zuversichtlich, dass Braunschweig als zentrale Einkaufsstadt der Region auch zukünftig seine lebendige Innenstadt erhalten kann. Dafür wird es innovative Konzepte brauchen – sowohl im Einzelhandel und der Gastronomie als auch im Citymarketing.
Wie verändert die Corona-Pandemie die Gründerszene und Startups in Braunschweig?
Startups sind meist wandlungsfähig und agil, müssen ihr Geschäftsmodell eventuell angesichts der neuen Gegebenheiten überarbeiten, worin letztlich auch eine Chance liegen kann, im sich verändernden Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Erfreulicherweise hat sich das Startup-Ökosystem in Braunschweig sehr gut entwickelt, sodass Gründerinnen und Gründer für die verschiedensten Anliegen die passenden Ansprechpartner finden. Zudem ist die Gründerszene gut vernetzt, unterstützt sich auch gegenseitig stark. Wenn der häufig bemühte Spruch von der Krise als Chance zutrifft, dann sicher auf die Startup-Szene, die mit neuen, innovativen Ideen die Zukunft mitgestalten kann. Das bereits länger bestehende Problem, ausreichendes unternehmerisches Kapital zu mobilisieren, wird sich allerdings durch die Krise verschärfen.
Gibt es Gewerbegebiete, die derzeit entwickelt werden? Wie ist der Ausbau-Status?
Für das geplante Gewerbegebiet Wenden-West läuft aktuell das Bebauungsplanverfahren, im Anschluss soll die Erschließung beginnen. Dadurch werden etwas mehr als neun Hektar vermarktbare Gewerbeflächen entstehen. Das ist angesichts der – übrigens trotz Corona – hohen Nachfrage also nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Gibt es noch weitere Flächen, die für Gewerbeansiedlungen in Frage kommen?
Aktuell gibt es Pläne für ein interkommunales Gewerbegebiet mit der Stadt Wolfenbüttel. Die Räte beider Städte haben 2019 zugestimmt, dass die Entwicklung einer circa 45 Hektar großen Potenzialfläche im Westen von Wolfenbüttel, an der A36 gelegen, auf ihre Machbarkeit geprüft werden soll. Auch wenn die gesamte Fläche auf dem Stadtgebiet von Wolfenbüttel liegt, wäre das Gebiet aus strategischer Sicht auch für Braunschweiger Unternehmen eine denkbare Alternative, um nicht aufgrund mangelnder Flächen abwandern zu müssen. Die Braunschweig Zukunft GmbH wirkt im Rahmen einer Projektgruppe an der Planung des Vorhabens mit.
Zudem wurden in 2019 mit den Nachbarn aus Wolfsburg, Helmstedt und wiederum Wolfenbüttel erste Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit mehrerer Kommunen bei der Flächenentwicklung geführt.