und
2. Mai 2019
Interview

„Erfolg kann in der Kunst nicht die Frage sein, die am Anfang steht“

Dr. Andreas Beitin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, über die provozierende Rolle der Kunst in der Gesellschaft, Berührungsängste mit Hochkultur und monetäre Werte, die sich vom eigentlichen Werk längst emanzipiert haben...

Dr. Andreas Beitin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg. Foto: Holger Isermann

Es war eine vorzeitige Vertragsauflösung, gefolgt von einer Mediendebatte, die quer durch die Republik die Kunst- und Kulturszene beschäftigte: Musste Ralf Beil, der frühere Direktor des Kunstmuseums, wirklich gehen, weil die geplante Ausstellung „Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“ der gemeinnützigen Kunststiftung Volkswagen zu automobilkritisch war? Ist in Wolfsburg neben der mobilen Zukunft auch die Kunstfreiheit in Gefahr?

Davon will zumindest Andreas Beitin im Laufe der Berufungsgespräche nichts gemerkt haben. „Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass man sich in irgendeiner Form inhaltlich einmischen wird“, betont er und bricht ein Stück Weißbrot ab. Wir treffen den neuen Direktor des Kunstmuseums im Restaurant Awilon im zweiten Stock seiner Wirkungsstätte und merken schnell – hier sitzt ein politischer Geist mit einer klaren Vision: Das Haus soll globaler, femininer und offener werden. Selbst die umstrittene Öl-Ausstellung sei nicht vom Tisch. „Ich werde alles versuchen, um sie noch umzusetzen.“

Angepasst klingt das nicht. Über Zweifel in dieser Hinsicht scheint die Personalie Beitin ohnehin erhaben. Rund 440 Kilometer reiste der promovierte Kunsthistoriker jüngst von Aachen nach Wolfsburg, das Gepäck dabei beachtlich: der renommierte Justus-Bier-Preis für Kuratoren, dazu Auszeichnungen zum „Museum des Jahres“ und zur „Ausstellung des Jahres“ für das Ludwig Forum für Internationale Kunst.

Warum es ihn ausgerechnet nach Wolfsburg zog? Wir haben nachgefragt – in einem Gespräch über die provozierende Rolle der Kunst in der Gesellschaft, Berührungsängste mit Hochkultur und monetäre Werte, die sich vom eigentlichen Werk längst emanzipiert haben.

Herr Beitin, seit dem 1. April 2019 sind Sie Direktor des Kunstmuseums. Ist der Wechsel von Aachen nach Wolfsburg ein Auf- oder ein Abstieg?

Wolfsburg ist auf jeden Fall ein Aufstieg, weil es einfach ein tolles Haus mit wunderbaren Möglichkeiten ist. Die Sammlung ist grandios, genau wie die Ausstattung. Insofern freue ich mich sehr auf die neue Herausforderung.

Was war der erste emotionale Impuls, als Ihnen der Job angeboten wurde?

Ich kenne das Haus seit vielen Jahren und wusste, worauf ich mich einlasse. Das Kunstmuseum genießt in der Kunstszene einen hervorragenden Ruf. Insofern war der Prozess tatsächlich von einer spontanen Begeisterung begleitet.

Ist das Kunstmuseum Wolfsburg international ein Begriff?

Unbedingt. Ich habe in allen Häusern, in denen ich bisher tätig war, auf Leihgaben aus dem Kunstmuseum Wolfsburg zurückgegriffen, weil die Sammlung so hochkarätig ist.

Das Kunstmuseum wird von der Kunststiftung Volkswagen und der Holler-Stiftung getragen. Was bedeutet das für Ihre tägliche Arbeit?

Dass ich relativ viele Freiheiten genieße. Ein Haus, das von einer Stiftung getragen wird, ist einfach wesentlich unbürokratischer zu führen, als bei einer städtischen Trägerschaft.

 

Im Dezember letzten Jahres war die Freiheit der Kunst im Zusammenhang mit der Vertragsauflösung Ihres Vorgängers Ralf Beil ein großes Thema. Hat diese Diskussion bei der Entscheidung für Wolfsburg eine Rolle gespielt?

Nein, das war überhaupt kein Thema.

Ernsthaft?

Absolut. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass man sich in irgendeiner Form inhaltlich einmischen wird. Im Spätsommer, als die Gespräche geführt wurden, war auch überhaupt noch nicht absehbar, dass das Ganze so eskalieren wird.

Ist in Wolfsburg Platz für Kritik an der Automobilindustrie?

Es ist hier jedenfalls nicht untersagt, eine Öl-Ausstellung zu machen und das Kuratorium des Hauses hat sich im Oktober ja auch für diese Ausstellung ausgesprochen. Insofern bin ich zuversichtlich, die Schau realisieren zu können …

Wie konkret ist das?

Wir sind nach wie vor mit den externen Kuratoren im Austausch, weil ich das Thema spannend finde und es uns alle angeht. Vor einigen Jahren wurde immer mal wieder das Ende des Öl-Zeitalters vorausgesagt, aber im Moment scheint sich dieses Datum doch eher verflüchtigt zu haben. Wir werden in den nächsten Jahrzehnten noch Öl fördern können und Produkte nutzen, die daraus hergestellt sind.

Am 13.12. teilte Ralf Beil mit, dass ihm gekündigt wurde, bereits am 11.12. haben Sie in den Aachener Nachrichten von der neuen Aufgabe berichtet. Wussten Sie schon vor Beil, dass er gehen muss und Sie sein Nachfolger werden?

Herr Beil wusste seit dem Sommer, dass für ihn ein Nachfolger gesucht wird. Im Spätsommer habe ich sozusagen meinen Hut in den Ring geworfen und konnte mich aufgrund des Programms, das ich vorgeschlagen habe, durchsetzen. Von außen betrachtet ist es natürlich eine sehr kurzfristige Zusammenkunft beider Ereignisse, aber das täuscht über die tatsächlichen Gegebenheiten hinweg.

Für Ihre Arbeit in Aachen wurden Sie inhaltlich gelobt, es gab aber auch Kritik am Umgang mit städtischen Geldern. Sind Sie gut, aber teuer?

Diese Diskussion ist extrem komplex und wurde in einem Presseartikel völlig einseitig und unreflektiert geführt. Zum einen ist festzustellen, dass ich im Grunde genommen kein Ausstellungsbudget überzogen habe – ganz im Gegenteil, ich habe in den Jahren meiner Wirkungszeit fast zweieinhalb Million Euro an Dritt- und Stiftungsmitteln eingeworben. Ohne diese Gelder wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, diese Ausstellungen umzusetzen. Insgesamt kann ich mit drei Preisen in drei Jahren auf eine positive Bilanz zurückblicken.

Sie treten Ihre Position hier in Wolfsburg genau zum 25-jährigen Jubiläum an: Auf welcher Vorarbeit können Sie aufbauen?

Es ist ein privilegierter Start, dass ich ein Drittel der Sammlung jetzt schon in bester Weise präsentiert sehe. Andere Museumsdirektoren müssen sich, wenn sie sich die Sammlung erarbeiten wollen, durch Kataloge wälzen und durchs Depot gehen.

Können Sie sich komplett auf das Inhaltliche konzentrieren oder sind Sie letztendlich eine Art Unternehmenschef und Mann für alles?

Als Museumsdirektor bin ich nicht nur dafür da, Ausstellungen zu kuratieren. Das wäre luxuriös. Unter vielen anderen Aufgaben muss ich zusammen mit unserem Geschäftsführer zusätzliche Mittel besorgen, die Kontakte zur Politik und zum Freundeskreis pflegen, mich um das Team kümmern und vor allem natürlich die programmatische Ausrichtung des Hauses konzipieren.

Welche Fähigkeiten braucht ein Museumsdirektor?

Er sollte sich für aktuelle Diskurse inte­ressieren, teamfähig sein und Spaß daran haben, sich mit Leuten auszutauschen. Und man muss natürlich Interesse für die Kunst haben und immer wieder seine eigene Haltung überdenken. Ich werde ständig mit neuen Künstlern und Positionen konfrontiert. Oftmals ist es so, dass Kunst, die man zunächst als schwierig bezeichnen würde, besser wird, je länger man sich damit beschäftigt. Und umgekehrt genauso.

Welche Ausstellungen haben Sie geplant?

Wir werden dieses Jahr eine große Ausstellung mit dem japanischen Medien- und Soundkünstler Ryoji Ikeda machen, in der wir uns künstlerisch mit der zunehmenden Digitalisierung auseinandersetzen. Es gibt für jedes Jahr eine programmatische Leitlinie, nächstes Jahr werden das kulturwissenschaftliche Reflexionen sein. Es gibt eine Ausstellung zum politischen Licht und „In aller Munde“, wo es um das Orale in der Kunst geht.

Wie weit planen Sie im Voraus?

Im Jahr darauf, 2021, plane ich mein großes Feminismus-Projekt. Ich möchte zeigen, wie frühzeitig der Feminismus in der Kunst eine Rolle gespielt hat, ohne als solcher benannt zu werden. Im Jahr 2022 wird es eine Untersuchung zu künstlerischen Strategien geben – unter anderem eine große Mondrian-Ausstellung. Kein Künstler wurde so oft zitiert, wie Piet Mondrian. Wir werden zeigen, wie wichtig seine Ideen für die Kunst des 20. Jahrhunderts sind.

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