Herr Witt, „bei uns schmeckt Wissen(schaft) nach Popcorn“ heißt es auf Ihrer Homepage. Können Sie den Vergleich erläutern?
Wir versuchen, Themen aus Wissenschaft und Forschung auf vielfältige und kreative Art und Weise so aufzubereiten, dass es Spaß macht, sich damit auseinanderzusetzen. Je nach Zielgruppe süß oder salzig, aber immer Lust auf mehr machend.
In wie viele Forschungsfragen mussten Sie sich seit Ihrem Amtsantritt vergangenes Jahr neu einarbeiten, um Workshops, Diskussionsrunden oder Veranstaltungen organisieren zu können?
Sicherlich zehn bis 15 (lacht). Aber das macht den Job auch aus. Man muss sich in Themen eindenken, wenn auch nur oberflächlich, aber immerhin so, dass man daraus eine spannende Veranstaltung machen kann. Daraus kann ich auch viel für mich mitnehmen.
Vor gut zehn Jahren hat das Haus der Wissenschaft das Format der Science Slams maßgeblich mitentwickelt und bundesweit ausgerollt. Welche Bedeutung kommt diesem zu?
Science Slams sind eine Ausnahme der Wissenschaftskommunikation. Über kein anderes Veranstaltungsformat erreicht Wissenschaft regelmäßig so viele Menschen. Das ist ein Unikum.
Machen Science Slams Wissenschaft demnach gesellschaftsfähig?
Gewisse Themen definitiv. Die populärwissenschaftliche Aufbereitung von Forschung durch junge Nachwuchswissenschaftler in einem lockeren Ambiente ist attraktiv. Spannend ist außerdem, dass man vorher nicht weiß, zu welchen Themen geslamt wird. So werden auch Themen aufgegriffen, von deren Existenz man vielleicht gar nicht wusste.
Welche Rolle spielen Wissenschaften in Zeiten von Fake News und Post-Truth-Propheten?
Eine immens wichtige. Es gibt mittlerweile Führungskräfte in großen Nationen und auch eine Partei in unserem Bundestag, die den menschengemachten Klimawandel bestreiten. Die Wissenschaft wird hier offen konfrontiert, findet dort aber kein Gehör.
Wie gehen Sie damit um?
March for Science ist eine Reaktion darauf. Fake News greifen unsere Grundfeste an und wir müssen Angebote schaffen, die der Verbreitung entgegenwirken. Denn viele Konsumenten können nicht zwischen Fake News und wahren Nachrichten unterscheiden. Wir sind im Zugzwang.
Inwiefern hat sich das Verhältnis der Gesellschaft zur Wissenschaft gewandelt?
In Deutschland ist das Vertrauen in die Wissenschaft nach wie vor hoch. Es sind auch nicht unbedingt mehr Akteure geworden, die zum Beispiel nicht an den menschengemachten Klimawandel glauben, aber in den neuen Medien finden diese Leute mehr Gehör. Auch in anderen Bereichen stößt man auf Vorbehalte – bei den Themen Grüne Gentechnik oder Künstliche Intelligenz beispielsweise.
Wie wird Wissenschaft heute im öffentlichen Diskurs kommuniziert?
Wir merken, dass der Wissenschaftsjournalismus in der Printkrise starken Herausforderungen unterworfen ist. Wissenschaftsjournalisten gibt es häufig gar nicht mehr, wodurch viel Know-how in den Redaktionen verschwunden ist. Jüngere Generationen erreichen wir natürlich über soziale Medien und auch Podcasts haben eine hohe Reichweite.
Werden alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen in den Wissenschaftsdiskurs eingebunden?
Das sollte so sein, ist es aber leider nicht. Auch wir fragen uns, was wir mit der Bevölkerung machen, die erst einmal meint, nicht interessiert zu sein. Wie erreichen wir zum Beispiel ein bildungsfernes Publikum? Das ist die größte Herausforderung und ein langfristiger Prozess. Wir brauchen Netzwerke und neue Zugänge, um in diese Gesellschaftsschichten und –kreise vorzudringen.
Was war das letzte kontroverse Thema, das Sie in Ihrem Haus diskutiert haben?
Pränataldiagnostik. Da ist aufgrund ethischer Fragen viel Reibung im Spiel und eine konstruktive Debattenkultur schwer zu etablieren, weil die Fronten sehr verhärtet sind. Auch innerhalb der Wissenschaften sind die Perspektiven divers. Genau dort setzen wir an und kehren die innerwissenschaftliche Debatte nach außen. Es gibt nicht die eine Stimme der Wissenschaft.
Wie bauen Sie Vorbehalte gegenüber diesen Themen ab?
Wir versuchen, zu versachlichen und schaffen Zugänge, sei es durch kreative Lösungen oder Diskussionsplattformen. Gerade in Anbetracht der heutigen Debattenkultur ist es wichtig, dass es solche Räume gibt – um sich über die eigene Filterblase hinaus austauschen.
Hat sich die Debattenkultur im Zuge der Digitalisierung verändert?
Ich denke, da muss man vorsichtig sein. Die Filterbubble-Kultur ist kein neues Phänomen oder erst durch Soziale Medien aufgekommen. Früher gab es auch den FAZ- und den Bild-Leser. Viele Studien zeigen, dass das durch die vielfältigen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten auch aufgelöst werden kann. In der Web 2.0-Kultur kann sich jeder außerhalb der eigenen Filterblase bewegen.
Welche Rolle spielt das Haus der Wissenschaft in der Region 38?
In der Region sind wir eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Dieser Austausch ist enorm wichtig und herausfordernd. Denn eine One-size-fits-all-Lösung, in die wir alle Themen und Zielgruppen integrieren können, gibt es nicht. So divers die Akteure und Themen, so vielfältig müssen auch die Angebote sein.
Wie gut funktioniert der Austausch zwischen Wissenschaft und der hiesigen Wirtschaft?
Es gibt die Transferstellen wie den neu gegründeten Transfer-Hub oder auch Gesprächskreise. Aber auch der Austausch zwischen Akteuren untereinander ist sehr wichtig. Da fehlt es leider an Angeboten, die dem gegenseitigen Kennenlernen dienen. Häufig trifft man bei Veranstaltungen doch auf die gleichen Gesichter. Hier setzen wir unter anderem mit unserem neuen Format, dem Digitalen Marktplatz an.
Wie finanziert sich Ihr Unternehmen?
Wir arbeiten nicht profitorientiert und finanzieren uns über Gesellschaftereinlagen, Projektförderungen, Sponsorings und Kooperationen, die wir als Dienstleister mit unseren Veranstaltungen oder Raumvermietungen machen.
Welchen Umsatz können Sie so jährlich generieren?
Wir liegen knapp unter 500.000 Euro. Natürlich sind wir auch Schwankungen unterworfen, denn wir haben viele Jahresfinanzierungen.
Aufgrund der Nähe wird das Haus der Wissenschaft oftmals der TU Braunschweig zugeschrieben …
Das stimmt. Die TU ist ein wichtiger Gesellschafter und die Präsidentin Anke Kaysser-Pyzalla Vorsitzende der Gesellschafterversammlung unseres Hauses. Aber wir sind nicht die TU und haben mit der Stadt Braunschweig, dem Arbeitgeberverband Region Braunschweig e.V., der ForschungRegion Braunschweig e.V. und der UNION Kaufmännischer Verein von 1818 e.V. weitere wichtige Akteure aus der Region als Gesellschafter.

Die Haus der Wissenschaft GmbH
Mit der „Ideenküche“ konnte Braunschweig 2007 den Titel „Stadt der Wissenschaft“ erringen. Im Oktober desselben Jahres wurde in Folge die Haus der Wissenschaft GmbH als nicht profitorientiertes Unternehmen gegründet. Ihr Ziel ist es, den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit zu fördern. Der Zusammenschluss von Hochschulen, Forschung, Wirtschaft und Stadt in einer Gesellschafterstruktur ist bundesweit einzigartig. Getragen wird das Unternehmen von der TU Braunschweig, dem Braunschweig Stadtmarketing, dem Arbeitgeberverband Region Braunschweig, der ForschungRegion Braunschweig und der Union Kaufmännischer Verein von 1818. Um die Forschungsstärke der Region nach außen zu tragen, ist das Haus der Wissenschaft auch bundesweit mit Veranstaltungen unterwegs. Meilensteine waren u.a. 2008 der erste Science Slam sowie 2010 die bundesweit erste Science Slam-Veranstaltungsreihe, die European Researchers‘ Night 2014, die ersten Hackathons 2018 sowie der erste Digitale Marktplatz in 2019. Zum zehnjährigen Jubiläum des Haus der Wissenschaft wurde 2017 der Giant Science Slam mit 2.000 Zuschauern ausgetragen.