16. März 2020
Portraits

Die Egoistin

Imke Byl ist die jüngste Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags

Imke Byl ist die jüngste Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags. Foto: Stephanie Joedicke.

Im März 1979 wird eine „Sonstige Politische Vereinigung“ gegründet, die sich „Die Grünen“ nennt. Sie ist ein Produkt der Bürgerbewegungen, die sich gegen geplante Atomlager und für den Schutz der Umwelt einsetzen. Eines der damaligen Gründungsmitglieder ist Lis Wandel. 34 Jahre später tritt ihre Tochter der inzwischen etablierten Partei Bündnis90/Die Grünen bei. Sie ist damals neunzehn Jahre alt und möchte etwas bewegen – die Gesetze, innerhalb derer sie sich bewegt, mitentscheiden können. Heute ist Imke Byl mit 26 Jahren die jüngste Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags und Sprecherin für Umwelt, Energie, Klimaschutz und Frauenpolitik. Ein Karriereweg, der vorbestimmt war? „Sicherlich nicht“, sagt Byl und lacht. „Ich habe schon früh viel und gerne mit meiner Mutter über politische Inhalte gestritten. Das Einzige, worauf wir uns einigen konnten, war: Atomkraft ist schlecht.“
Wir treffen die gebürtige Gifhornerin in ihrem Büro gegenüber des Landtags in Hannover, das sie sich mit einer Parteikollegin teilt. Mit knapp vier Quadratmetern ist es recht beengend und so wundert es nicht, dass das braune Sofa auf der rechten Seite als zusätzliche Ablage für Papierberge dient. „Das glamouröse Leben einer Landtagsabgeordneten“, sagt Byl mit einem Augenzwinkern. Nach zwei Jahren im Hamsterrad der Landespolitik, wie sie es scherzhaft nennt, wirkt die 26-Jährige gelassen. Die ersten Monate nach der Wahl habe das noch ganz anders ausgesehen. „Jeden Morgen nach dem Aufstehen dachte ich nur: Ach du scheiße, wie willst du dieser Verantwortung nur gerecht werden?“

Graue Haare und Anzug
Byls anfänglich noch blonden Haare sind inzwischen rot gefärbt, die beiden Piercings an der Unterlippe verschwunden. „Das hat sich einfach nicht mehr authentisch angefühlt“, sagt sie. Unter den 136 weiteren Abgeordneten des Landtags sticht Byl dennoch hervor, denn sie ist nicht nur die Jüngste, sondern eine von insgesamt nur 40 Frauen. „Der durchschnittliche Abgeordnete ist Mitte 50 bis 60 Jahre alt, weiß und männlich. Er trägt graue Haare und einen Anzug“, sagt Byl. Oft habe sie in dieser Männerdomäne das Gefühl, sich unter Beweis stellen zu müssen. „Meistens sind es auf der Straße am Wahlkampfstand gerade die älteren Männer, die mit mir sprechen, als wäre ich erst 13 Jahre alt. Das finde ich schräg, nehme es aber mittlerweile mit Humor und versuche, mich nicht darüber aufzuregen“, tut sie mit einem Schulterzucken ab – von Ärger keine Spur. Doch leicht falle ihr das nicht immer. „Ich hatte auch schon Momente, in denen ich dachte, es wäre einfacher, in der Masse unterzugehen. Ein Anzug vermittelt ganz klar, mein Aussehen tut hier nichts zur Sache, ich trage eine Uniform wie alle anderen auch. Für Frauen gibt es aber nur wenig Kleidung, die genauso funktioniert.“
Auch an anderer Stelle stößt Byl durchaus auf Vorurteile. Das sei nicht nur eine Generationenfrage, sondern auch stark themenabhängig. „Wenn ich mich in der Presse zu VW äußere, kann ich die Uhr danach stellen, wann im Internet Kommentare auftauchen, die fragen, was die kleine Zicke zu sagen hat. Fordere ich mehr Plätze in Frauenhäusern, gibt es keinen Aufschrei.“ Mittlerweile sei sie besser auf diese Folgen vorbereitet – und ignoriert die Kommentare.

Der neue Niedersächsische Landtag in Hannover. Foto: Ra Boe/ Wikimedia.

Lobbyistin einer Generation
Byl verkörpert das Bild einer neuen Generation von Politikern – ganz im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegungen. Ihr Antrieb ist idealistisch – mehr noch eigennützig: „Ganz ehrlich: Das, was ich täglich mache, ist eigentlich egoistisch. Ich möchte eine Zukunft haben. All das, worüber hier im Landtag oder auf Bundesebene gesprochen wird, betrifft mich ganz direkt. Ich bin Lobbyistin für meine Generation und sage: Leute, wenn wir so weitermachen, habe ich keine gute Zukunft mehr.“ Die Parteienverdrossenheit vieler Menschen kann sie deshalb nicht nachvollziehen. Sie wünscht sich mehr Engagement der Gesellschaft in den Parteien. „Es nützt doch nichts, sich nur auf Punkte zu fokussieren, in denen man nicht mit einer Partei übereinstimmt. Eine Partei ist die Summe ihrer Mitglieder und ich kann sie verändern, wenn ich mich engagiere.“ Reibungspunkte mit ihrer Parteispitze habe sie aktuell nicht. Allgemein herrsche bei den Grünen eine große Konsenskultur, denn die zu bewältigenden Krisen seien für jeden deutlich sichtbar.
Den Vorwurf einer populistischen Politikmache, der zuletzt insbesondere von anderen Parteien wie der SPD anklingt, kann die Umweltwissenschaftlerin deshalb nicht verstehen. „Es ist interessant, wie schnell einem Populismus vorgeworfen wird, wenn man Fakten benennt. Wir steuern auf eine Klimakrise zu und die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Es ist schon fünf vor Zwölf und wenn wir noch länger warten, fährt der Zug an uns vorbei und wir können uns nur noch hinterherschmeißen.“

Windenergie­branche im Fall
Erst heute Morgen hatte sie wieder einen Termin, in der es um den mangelnden Ausbau der Windenergie ging. Eigentlich sei diese eine Riesenchance für das Land Niedersachsen, die Region Braunschweig und auch ihren Landkreis Gifhorn, eine Vorreiterrolle in der Energiewende einzunehmen. Doch aktuell befürchtet Byl eine ähnliche Entwicklung wie in der Solarindustrie, die inzwischen von China dominiert wird. „Unternehmen wie Enercon und Co. bauen bereits Arbeitsplätze ab, weil die Marktsituation so schwierig ist. Man kann sich nur die Haare raufen, wenn man nun die Debatte um die pauschale 1.000-Meter-Abstandsregelung sieht. Das bringt, umgesetzt in ganz Deutschland, die Deutsche Windenergiebranche endgültig zu Boden. Gute Energiepolitik ist auch wertvolle Industriepolitik. Doch viele in der CDU und SPD haben offensichtlich kein Interesse daran, dass es zu einer echten Energiewende kommt.“ Byls Worte sind direkt und unverblümt. Sie möchte ehrlich sein, auch wenn das beizeiten unangenehm sein kann. Das erwarte man auch von ihr als jüngste Abgeordnete, sagt sie. So bringt sie weiterhin die ihr wichtigen Themen aufs Parkett, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung gering sei, denn die Opposition im Niedersächsischen Landtag zählt nur 32 Mitglieder. „Man spürt oft die Arroganz der Macht. Vorschläge von der anderen Seite werden einfach weggewischt. Mein Ziel ist es trotzdem, dass CDU und SPD andere Entscheidungen treffen, als sie es ohne mich täten.“

Politikmaschine
Einem Großteil der Gesellschaft sei heutzutage nicht bewusst, was es bedeutet, Politikerin zu sein. „Wir werden oft als Maschinen wahrgenommen. Das ist auch eine der Ursachen, warum wir mit so vielen Anfeindungen zu kämpfen haben“, sagt Byl. Der Politiker, der isst und schläft und beizeiten Fehler macht – ein ganz normaler Mensch, auch wenn das Wohl der Gesellschaft an erster Stelle steht. Byl versucht gegen das vorherrschende Trugbild anzugehen, indem über ihre Sozialen Kanäle einen Einblick in ihr Berufsleben gibt. Sie trennt bewusst nicht zwischen Beruflichem und Privatem. „Im Prinzip ist es aber ein Teufelskreis. Ich zeige mich als Mensch mit Nöten und Sorgen. Gleichzeitig versucht man keine Schwäche zu zeigen, weil andere die Situation sonst ausnutzen und am Ende behaupten, ich sei nicht geeignet für meinen Job.“

Zwischen Erholung und schlechtem Gewissen
In zweieinhalb Jahren wird sich die 26-Jährige wieder zur Wahl stellen. Weiter als das plane sie hingegen nicht. „Als Politikerin ist es naiv, sich einen Lebensplan zu machen. Im Gegensatz zu einer Wirtschaftskarriere ist hier alles sehr fragil. Politik macht man nicht, um Karriere zu machen. Und Menschen, die in der Politik groß rauskommen wollen, sollten sich das zweimal überlegen, denn sie ist hart und anstrengend.“ Davon zeugen auch die Müsliriegel auf ihrem Schreibtisch. Zwischen Ausschuss-, Fraktions- und Landtagssitzungen bleibt oft keine Zeit für ausgiebige Mittagspausen. Abends folgen Parteitermine und Veranstaltungen. Am Wochenende trifft sie sich mit Ehrenamtlichen, die werktags keine Zeit haben. Eine Sieben-Tage-Woche. „Wir sind zu zwölft in der grünen Fraktion für ganz Niedersachsen. Der Workload ist enorm. Wenn ich nicht aufpasse, bleibt mir gar keine Freizeit. Man sagt ja auch keinen Termin ab, um frei zu haben – sonst hat man ein schlechtes Gewissen.“
Wenn sie doch einmal Freizeit hat, fahre sie gerne an die Nordseeküste. Sie sei schon manchmal anstrengend grün, kommentiert sie lachend. Einen langfristigen Wunsch
verrät sie dann auch noch: „Ich möchte, wenn ich irgendwann nochmal etwas mehr Zeit habe, einen Motorradführer­schein machen.“ Das sei im Übrigen auch die Antwort auf die Frage, wann sie einmal nicht korrekt „grün“ ist …

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