und
1. August 2019
Entscheider

„Niedersachsen ist Energie­wende-Land“

Marten Bunnemann, Vorstandsvorsitzender der Avacon AG, über die Sektorenkopplung, die Digitalisierung der Netze und die Chance, das Leben der eigenen Kinder zu prägen …

Foto: Holger Isermann

Verändert der Wandel Ihr Unternehmen auch von innen? Sie tragen keine Krawatte, duzen sich …

Absolut, die Energiewende ist ein kulturelles Thema und muss in den Köpfen anfangen. Natürlich beschäftigen wir uns mit der Digitalisierung auf Produkt- und Prozessseite oder setzen in ersten Bereichen bereits konsequent Künstliche Intelligenz und Virtual Reality ein, aber ohne die dazugehörige Unternehmenskultur, werden wir nicht erfolgreich sein. Daran arbeiten wir sehr intensiv.

Wie sehr hängt das mit Ihnen zusammen?

Ich versuche natürlich Impulse zu setzen, bin aber nur Teil eines starken Teams, welches wir in den letzten zwei Jahren deutlich verjüngt haben. Wir haben rund ein Viertel der Führungsebene ausgetauscht und in neue Positionen gebracht und insbesondere weibliche Führungskräfte stark gefördert. Wir haben bewusst auch Leute von außerhalb der Energiewirtschaft dazugeholt. Die größten Hemmnisse für eine positive Entwicklung sind starke Hierarchien und wenig Vernetzung zwischen den Bereichen. Das versuchen wir aufzubrechen.

Wie modern ist Avacon heute?

Wir kommen voran, und in manchen Bereichen, wie der Digitalisierung der Energieinfrastrukturen, der Sektorenkopplung und innovativen Zukunftsthemen, wie Power-to-Gas, sind wir im Vergleich sicherlich ganz vorne mit dabei. Aber es bleibt noch viel Raum, um uns weiterzuentwickeln, und der Wettbewerb durch traditionelle Energieunternehmen und neue Start-ups schläft nicht.

Im Interview zum 15. Mitteldeutschen Energiegespräch vor ziemlich genau einem Jahr sagten Sie, dass im Koalitionsvertrag einige positive Ansätze zu erkennen sind, die die Energieinfrastruktur betreffen. Es hapere aber an der konkreten Umsetzung. Wie sieht das mittlerweile aus?

Der eingeschlagene Weg ist richtig, auch weil es dazu einen breiten Konsens in der Gesellschaft gibt. Wenn man in die Details geht, bin ich nicht zufriedener als vor einem Jahr. Denn politisch tut sich einfach zu wenig und wenn dann ist es teilweise inkonsistent.

Was würden Sie sich denn wünschen?

Wir sind – wenn auch unter erheblichen Kosten – sehr weit bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. In unseren eher ländlich geprägten Versorgungsgebieten in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt haben wir mittlerweile im Jahresdurchschnitt eine so genannte „Grünstrom-Quote“ von weit über 150 Prozent. Das heißt, es wird deutlich mehr Energie aus erneuerbaren Energien produziert als verbraucht wird.  Wenn wir aber in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen wir aus der Strom- auch eine Wärme- und Mobilitätswende machen – das Stichwort ist Sektorenkopplung. CO2-belastete Energie muss bei allen Einsatzformen gleichmäßig belastet werden und „grüner“ Strom muss entlastet werden. Man kann nicht nur einen Sektor belasten und die anderen nicht. Das ist aber der Ist-Zustand und die Politik könnte konsequenter und schneller etwas daran ändern.

Überfordert ein paralleler Kohle- und Atomausstieg die Branche?

Netzseitig bekommen wir das hin, aber ob uns als Volkswirtschaft der Prozess überfordert, ist eine ganz andere Frage. Die damit verbundenen Kosten sind bereits heute hoch und wenn wir diesen Weg konsequent zu Ende gehen, wird es noch mehr Geld kosten. Das ist ein politisches Thema und sollte transparent diskutiert werden. Es ist letztlich auch eine soziale Frage. Wir brauchen weiterhin gut bezahlte, international wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und müssen insbesondere auch auf Pendler und den ländlichen Raum Rücksicht nehmen.

Wie sehr ist das heute Realität?

Im Augenblick haben wir eine Privilegierung von energieintensiven Großindustrien. Unternehmen wie die Salzgitter AG sind beispielsweise für die Stahlproduktion von der EEG-Umlage befreit. Das hat gute Gründe, weil derartige Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen, und wir hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland behalten wollen. Es führt aber auch dazu, dass Endkunden immer stärker belastet werden. Das ist ein Spannungsverhältnis. Wir müssen für die Zukunft darauf achten, dass die Lasten der Energiewende gleichmässiger verteilt werden.

Was bedeutet der doppelte Ausstieg für die Versorgungssicherheit?

Bis Mitte der 2020er Jahre steigen wir aus der Kernenergie und aus der Kohle bis 2038 aus. Die Übergangszeit sollten wir nutzen, um alternative Systeme aufzubauen. Das sollte klappen, wenn wir es klug managen. Niedersachsen ist Energiewende-Land und hat viele Voraussetzungen um den Umbau erfolgreich zu bewältigen.

Halten Sie die aktuellen Klimaziele für realistisch?

Sie sind richtig ambitioniert und wir werden sie nur in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens erreichen. Dabei stellt sich auch immer die Frage, welchen Einfluss Deutschland international überhaupt hat.

Wie bewerten Sie die mit der Wende zusammenhängende „Demokratisierung der Energieerzeugung“ und wie wird sie Ihre Branche verändern?

Wir sprechen von drei Megatrends: Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Früher musste ich eine Milliarde in die Hand nehmen, um ein Kraftwerk zu bauen. Heute kann ich mir für 1.000 Euro eine PV-Anlage aufs Dach bauen. Das zeigt, wie sehr sich die Tektonik in der Energiewirtschaft verändert und was unsere Herausforderungen sind: Denn ohne eine konsequente Digitalisierung der Energieinfrastruktur und insbesondere Stromnetze, können wir diese Kleinteiligkeit gar nicht mehr managen.

Inwieweit ist Energieversorgung eigentlich noch planbar?

In Salzgitter haben wir seit letztem Jahr als erster Energieversorger in Deutschland eine vollkommen digitalisierte Netzleitstelle, aus der wir über 86.000 Kilometer Energienetze, die wir in Nord- und Ostdeutschland betreiben, managen. Das ist noch nicht das Ende der Reise – aber dort bekommt man ein Gefühl für die Zukunft. Auf Bildschirmen sieht man, wie der Wind über die Nordsee kommt, wie sich die Windparks in Ostfriesland hochziehen, und auch wann man sie abriegeln muss, weil zu viel Strom durch die Leitungen geht.

Menschen haben heute oft Vorbehalte gegenüber größeren Bauprojekten, es regt sich immer häufiger Widerstand – zum Beispiel auch gegen Stromtrassen. Können Sie das verstehen?

Ja, das kann ich. Die Herausforderung für uns als Vertreter der Energiewirtschaft ist es, gesellschaftlich breit für Lösungsoptionen zu werben, aber auch klar Position zu beziehen und Spannungskonflikte, die naturgemäß existieren, wo möglich auszugleichen. Das wird nur gelingen, wenn wir alle bereit sind, Kompromisse einzugehen.

Stoßen Sie einen Dialogprozess an, bevor Sie bauen?

Ja. Akzeptanz-Werbung zu betreiben, ist ein ganz wichtiges Thema. Jenseits von den formalen Genehmigungsprozessen – die auch immer aufwendiger werden – ist das Thema Bürgerakzeptanzerzeugung eine Riesenherausforderung.

Wie oft kommt es vor, dass Sie sich Ihre Zähne ausbeißen, weil Sie eine sinnvolle Investition tätigen wollen, aber die Menschen dies nicht akzeptieren?

Dass wir wirklich wegen fehlender Bürgerakzeptanz nicht in energiewirtschaftlich erforderliche Projekte investieren konnten, ist bis jetzt noch nicht passiert – jedenfalls nicht seitdem ich hier bin. Manchmal setzen wir als Kompromiss auf die Erdverkabelung, aber damit steigen natürlich auch die Kosten der Energiewende. Das ist immer ein Spannungsverhältnis.

Können wir allen Herausforderungen durch intelligente Lösungen begegnen oder müssen wir uns auch in Verzicht üben und einfach weniger Energie verbrauchen?

Ich glaube, dass der Kunde in dieser Entwicklung im Mittelpunkt steht und er sie prägen wird – je nachdem, was seine Bedürfnisse sind. An Verbote und Reglementierung des Einzelnen glaube ich nicht. Es ist nicht das Thema, dass wir zu viel Energie verbrauchen.

„Der Mensch im Mittelpunkt“ – das ist Ihr Mindset …

Ja, der Kunde steht im Mittelpunkt. Und er wird am Ende darüber entscheiden, ob er E-Mobilität haben will. Die ist ja auch nicht per se umweltfreundlich. Es kommt ja drauf an, wie das Auto und der Strom produziert werden. Der Kunde wird entscheiden, was wir für eine CO2-freie Zukunft bezahlen. Es wird immer politische Impulse und Rahmenbedingungen geben, aber ich glaube daran, dass der Prozess vom Bürger angetrieben wird.

Der Zusammenhang zwischen Mobilitäts- und Energiewende ist offensichtlich. Bietet das Chancen für eine „Mobilitätsreferenzregion“ zwischen Harz und Heide?

Mit VW haben wir einen großen Taktgeber. Wenn der seinen Takt ändert und auf E-Mobilität umsteigt, dann hat das auch Konsequenzen für uns. Das wird ein deutlich größeres Bedürfnis für Ladestruktur mit sich bringen. Das sehen wir zurzeit in der konkreten Nachfrage noch nicht, aber in den politischen Diskussionen ist das Thema allgegenwärtig. Denn die E-Mobilität hat für uns als Energiewirtschaft verschiedene Bedeutungen: Das eine ist, den Strom zu produzieren. Viel wichtiger ist aber die Frage, wie wir unsere Netzinfrastruktur ertüchtigen, damit sie diesen Wandel mittragen kann.

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