0,7-Liter-Flaschen können eine gängige Maßeinheit sein. Für das Geschäftsjahr 2019 lag der weltweite Absatz der Mast-Jägermeister SE umgerechnet bei über 100 Millionen der charakteristischen Flaschen mit dem Hirsch im Logo. Eine 13-prozentige Absatz-Steigerung im Vergleich zu 2018, die 100er-Marke geknackt, den Schwung mit in das Jahr 2020 genommen – und dann kam Corona. Ab dem zweiten Quartal machten sich die globalen Eindämmungsmaßnahmen wie Lockdowns oder Alkoholverbote nach Angaben des Unternehmens auch im Geschäft spürbar.
Rund 450 der weltweit circa 1.000 Mitarbeitenden arbeiten sonst für das Traditionsunternehmen am Standort Wolfenbüttel, zum Teil in der Produktion im Stadtteil Linden. Und die lief, genauso wie im Werk im sächsischen Kamenz, mit einem etwas entzerrten Schichtplan weiter. Die Abfüllung wurde erst vor kurzem in Linden gebündelt, von zwei auf vier Linien erweitert und modernisiert. Rund zwei Drittel der gesamten Jägermeister-Produktion kommen aus Wolfenbüttel. Alle anderen Unternehmensbereiche, soweit möglich, zogen für längere Zeit ins Homeoffice. Für einige der Mitarbeitenden war das keine große Umstellung, den ortsunabhängiges Arbeiten gehört für das Unternehmen seit Jahren zur Kultur. Die Kommunikation und der Austausch untereinander läuft per Outlook, Zoom, Slack und dem eigenen Social Intranet.

0,7-Liter-Flaschen. 2020 drücken Maßnahmen zur Eindämmung der Covid19-Pandemie den Umsatz. Foto: Mast Jägermeister.
Zum Jahrtausendwechsel hatte der Spirituosenhersteller einem Imagewandel vollzogen und junge Menschen als neue Zielgruppe erschlossen. Mit dem Erliegen des Nachtlebens und der Absage von Festivals ging der Absatz deutlich zurück. Aber statt mit schnellen Entlassungen, Kurzarbeit oder anderen Sparmaßnahmen in den Medien aufzutauchen, initiierte das Unternehmen die Aktion #SaveTheNight um beide Seiten des Nachtlebens zu unterstützen: Auf der einen Seite diejenigen, die sonst ihren Lebensunterhalt in der Gastronomie und Unterhaltungsbranche verdienen, auf der anderen jene, die Zuhause blieben, statt sich mit Freunden in Clubs oder Bars zu treffen. Dazu gehören Online-Unterhaltungsangebote, die von Jägermeister konzipiert und angeboten werden und finanzielle Hilfen für Künstler, Kreative und Barkeeper. Zusätzlich spendete die Unternehmerfamilie Mast 50.000 Liter Alkohol. Dieser wurde mit Unterstützung der Feuerwehr Braunschweig zur Apotheke des Städtischen Klinikums Braunschweig gebracht, wo daraus Desinfektionsmittel für die Krankenhäuser der Region produziert wurde. Bereits Anfang März lieferte die Jägermeister SE als eine Art Nachbarschaftshilfe einige Liter Alkohol an Wolfenbütteler Apotheker, die daraus Desinfektionsmittel für ihre Kunden herstellten.

Auch M-Venture, die zu Jägermeister gehörende Beteiligungsgesellschaft, musste sich mit der Pandemie umstellen. Sonst ist es das Ziel, durch die Förderung von Start-ups und passenden Unternehmen, jungen Menschen die besten Nächte ihres Lebens zu geben. Die bestehenden Start-ups mussten ihre Geschäftsmodelle umstellen. Ein Beispiel dafür ist die Firma ArtNight, die für ihre Marken ArtNight, BakeNight, ShakeNight & PlantNight alle Events absagen musste – und sie stattdessen digitalisierte. Aktuell gibt es Weihnachtsfeier Backevents, bei denen alle Zutaten vorher per Post versendet werden und die Teilnehmer per Videokamera zusammenkommen.
Da sich das Ausgehverhalten verändert, beobachtet M-Venture welche neuen Geschäftsmodelle sie in Zukunft gestalten könnten. Mit dem dänischen Lautsprecherhersteller Soundboks erfolgte exemplarisch ein Investment in eine Firma, die mit ihrem Produkt Micro-Events an beliebigen Orten ermöglicht.
Technik aus Wolfenbüttel für den BER

Zu den Dauerbrennern der Wolfenbütteler Wirtschaft in puncto Außenwirkung gehört Udo Borgmann. In diesem Jahr wurde er mit seiner Firma Pan Acoustics bereits zum dritten Mal nach 2014 und 2017 für den Niedersächsischen Außenwirtschaftspreis nominiert. „Diesmal haben wir wieder einen der vordersten Plätze in der Kategorie klein- und mittelständische Unternehmen belegt“, berichtet der Akustik-Experte, dem das tatsächliche Ranking aber egal ist: „Ich habe mich schon riesig allein über die Nominierung und die persönliche Urkunde gefreut, denn die empfinde ich wie eine Oscar-Nominierung. Wir haben dabei andere starke Marktteilnehmer aus ganz Niedersachsen weit hinter uns gelassen.“
Borgmann investiert derzeit an der östlichen Stadtgrenze in einen Neubau. Am künftigen Firmensitz werden nicht nur Verwaltung und Produktion ganz neu gegliedert. Vielmehr gibt es bald ausreichend Fläche für den Bereich Forschung und Entwicklung. Der Nachrichtentechnik-Ingenieur Borgmann setzt auf auf Beschallung, Digital-Elektronik, Wireless 5G und vernetzte Steuerungssysteme. All dieses kommt in den eigenen elektronischen Lautsprechern, die am Standort Wolfenbüttel produziert werden, zum Einsatz. Nicht ohne Grund ist er mit seinen Vetriebspartnern in 24 Ländern der Welt vertreten und hat eine Reihe Renommierbauten ausgestattet, vom Hauptbahnhof Paris, dem Flughafen BER bis hin zum Nationalmuseum in Katar.
Sein Neubau hat gleich mehrere technische Schmankerl zu bieten: Neben modernster technischer Infrastruktur gibt es einen Vorführraum, in dem die Hightech-Lautsprechersysteme vorgeführt werden können. Eine weitere große Räumlichkeit für Akustik-Experimente ist in Vorbereitung. Und in 2021 soll das Lieblingsprojekt des Firmengründers endlich von der Idee in die Tat umgesetzt werden – ein Amphitheater für Classic-Open-Air-Veranstaltungen. Bis dahin dürfte auch die Mitarbeiterzahl von derzeit 25 nochmal wachsen.
„Unser Geschäft ist nach der ersten Coronawelle zum Glück wieder angesprungen“, berichtet Borgmann. „Im Ausland hat unser Slogan ‚Made in Germany‘ einen sehr guten Klang – im wahrsten Sinne des Wortes“, lacht der 58-Jährige. Überhaupt habe der Export einen stattlichen Anteil, inzwischen von 70 bis 75 Prozent des Umsatzes. Der Firmengründer führt seine stabilen Kundenbeziehungen vor allem auf Liefertreue und verlässliche Qualität zurück: „Wir behandeln unsere Lieferanten und Kunden stets fair und nachhaltig.“ Die Verleihung des Außenwirtschaftspreises sollte eigentlich im Rahmen der Hannover-Messe erfolgen. Diese Veranstaltung wurde aber aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt.
Kleine Karte für die Spar-Effekt

Obwohl sich Jennifer O’Brien und Christian Struckmann mit ihrem Start-up Weddify in einer Branche bewegen, die stark von den Eindämmungsmaßnahmen betroffen war und ist, sind die Auswirkungen auf ihr Unternehmen begrenzt. „Da wir bisher nur zu zweit sind und kaum laufende Kosten haben, haben wir eine überschaubare Struktur. Noch dazu ist es nicht unser Hauptjob“, erzählt Struckmann. Über seine Frau, die regelmäßig als Sängerin für Hochzeiten gebucht wird, lernte der in Wolfenbüttel lebende Betriebswissenschaftler vor einigen Jahren die Mediendesignerin O’Brien kennen, welche auch die Hochzeitsmesse in der Braunschweiger Stadthalle organisiert. Über das gemeinsame Thema und die Leidenschaft, immer wieder neue Geschäftsideen zu entwickeln, entstand Ende 2017 die Idee für eine Gutschein- und Rabattkarte für Heiratswillige. „Gutscheinhefte, die es ja immer mal wieder gibt, haben den Nachteil, dass sie immer nur die Rabatte enthalten, die in ihnen abgedruckt sind. Eine Karte ist da viel flexibler“, erklärt Struckmann. Da er sich auch in seinem Job als Einkäufer bei
BS|Energy mit den Thmenen IT und Digitalisierung beschäftigt, lag für ihn ein modernere Umsetzung auf der Hand. Innerhalb weniger Wochen stellten die beiden ihr Konzept zusammen und warben Partnerunternehmen. Das Prinzip hinter den Karten: Mit der einmal gekauften Karte erhält der Kunde bei Juwelieren, Brautmodegeschäften und Herrenausstattern, Hochzeitsfotografen und Dienstleistern rund um den schönsten Tag des Lebens Rabatte. Rund 500 Unternehmen deutschlandweit seien mittlerweile dabei, darunter auch größere Ketten wie der Juwelier Christ oder Peek & Cloppenburg. Ungefähr 2000 Karten sind nach Angaben von Struckmann seit 2018 verkauft worden.
„Wir wissen, dass weder das Vermarkten von Rabatten noch die Spezialisierung auf heiratswillige Paare neu ist. Aber durch die Kombination von uns beiden, unserem Vorwissen, konnten wir das ganze Thema modern aufbereiten und ohne größere externe Kosten aufstellen“, reflektiert Struckmann einen Teil des Erfolgs. Von früheren Start-up-Gründungen weiß er, dass besonders am Anfang vieles aus Kostengründen selbst erledigt werden sollte – aber auf mehrere Schultern verteilt. Außerdem sei der Aufwand für ein Projekt wie Weddify sowohl gut skalierbar, als auch risikoarm: „Auch wenn wir ein paar Tage nichts machen, läuft Weddify weiter. Aber ich kümmere mich immer weiter um neue Partner und wir können uns vorstellen, das Modell auch auf andere Themen – wie Arbeitskleidung – anzuwenden.“
Sichere Telefonie kommt vom Land

Ähnlich wie die Mitarbeitenden von Jägermeister ist auch die Verwaltung, der Vertrieb und die Marketingabteilung der Auerswald GmbH & Co. KG im März 2020 ins Homeoffice gezogen. „In Summe sind wir etwa 160 Mitarbeitende, von denen die Kollegen aus der Produktion und der Warenannahme weiter vor Ort sind. Der Rest ist weitestgehend zuhause. Langsam merken wir, dass es auch Auswirkungen auf unsere Unternehmenskultur hat“, berichtet Regina Dettmer von der Auerswald-Marketingabteilung. Beispielsweise sei die Einarbeitung von Neuen im Team weder ein technisches Problem, noch leide die Arbeit qualitativ im Homeoffice. Aber die sozialen Kontakte, der Austausch untereinander, fehle: „Sonst arbeiten wir alle mit Blick auf den Elm, mitten im Grünen. Und durch die dörfliche Lage von Auerswald sind wir als antizyklische Pendler auch eher entspannt unterwegs – aber auch ganz schnell in Braunschweig oder auf der Autobahn und ziemlich in der Mitte von Deutschland.“
Seit mehr als 60 Jahren und mittlerweile in vierter Generation produziert das Unternehmen in Schandelah, im nördlichsten Zipfel des Landkreises, Elektrogeräte. Seit den 1980er-Jahren und dem Einstieg von Gerhard Auerswald hat sich die Firma auf die Herstellung von Telefonen und Telefonanlagen spezialisiert, mittlerweile liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung, Produktion und Vermarktung von VoIP-Appliances sowie schnurgebundenen SIP-Desktoptelefonen für Business-Telefonie. Ergänzt wird das Portfolio durch IP-DECT Multizellensysteme, einem eigenen SIP-Trunk mit Audio-Konferenzraum, Smartphone-Apps für die mobile Kommunikation sowie Headsets und Produkten für die Türkommunikation. „Büros werden immer digitaler, darauf sind unsere Produkte ausgerichtet. Die Krise hat das nur etwas beschleunigt. Und unsere Distributionspartner haben dieses Jahr vermehrt Produkte angefragt, die das Arbeiten im Homeoffice komfortabler machen – und sicherer. Durch die Nachfragen haben wir aber auch bemerkt, dass es besonders im Sicherheitsbereich einigen Beratungsbedarf gibt. Viele kleine und mittelständischen Unternehmen wissen nicht, dass sie für ihre Digitalisierung Fördermittel beantragen können. Daher haben wir die in unserem Blog zusammengetragen“, berichtet Dettmer. 2019 ist Christian Auerswald, der Sohn von Gerhard Auerswald, mit in die Geschäftsführung eingestiegen.
Kurze Wege sind ein Pluspunkt

Im Nordosten der Stadt Wolfenbüttel lässt sich ein gelungenes Beispiel für Konversion besichtigen: Dort wandelte sich die ehemalige Kaserne am Exer innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten in ein dynamisches Areal für Studenten, Start-ups und Jungunternehmer. Nur noch wenige Arbeiten sind nötig, und das Gelände wurde auch optisch einmal runderneuert.
Ein Antreiber bei dieser Umwandlung ist das Technische Innovationszentrum Wolfenbüttel (tiw), das in diesem Herbst sein 25-jähriges Bestehen feierte. Gemeinsam mit der Stadt, der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften und privaten Investoren übernahm der gemeinnützige Verein einen Großteil der zuletzt englischen Militäreinrichtung und sanierte die Mannschaftsquartiere und Panzerhallen. In der zivilen Nutzung wurden daraus Werkstätten, Labore, Büros und Lagerhallen für viele Gründer, Jungunternehmer und Ostfalia-Einrichtungen.
„Unser satzungsmäßiges Ziel ist die Förderung von Forschung, Lehre, Bildung, Denkmalschutz und Innovationen“, erzählt Carola Weitner-Kehl, die Geschäftsführerin des Vereins. Offenbar trifft dieses Angebot genau den Markt: „Der Auslastungsgrad unserer Gebäude liegt permanent oberhalb von 95 Prozent“, erzählt sie stolz.

Jüngste Ansiedlung ist das Institut von Barbara Bosch & Kollegen. Im Zuge einer Unternehmensnachfolge hatte Ines Lindner-Klaeden das Geschäft am 1. Januar 2019 von der Gründerin übernommen – nun zog sie mit ihrer „systemischen Organisationsberatung, Coaching und Therapie“ in die Wolfenbütteler Peripherie. „Die Situation hier am Exer ist ideal“, schwärmt Ines Lindner-Klaeden. „Es ist viel ruhiger als in der Stadt, die Parkplätze sind direkt vor der Tür, und die Anbindung zur Autobahn ist kurz.“ Die tiw-Geschäftsführerin freut sich ebenfalls über die Ansiedlung: „Coaching und Personalentwicklung hatten wir noch nicht am Exer“, sagt Carola Weitner-Kehl. „Das neue Büro erweitert unsere Vielfalt und kann gerade für unsere Gründer eine wichtige Ergänzung und Hilfe werden.“
Aufgrund der anhaltenden Nachfrage plant ihr Verein derzeit den Bau einer neuen Gewerbehalle mit rund 1.000 Quadratmetern hochwertiger Nutzfläche zur Vermietung an mehrere Nutzer.
„Viele unserer Gewerbemieter wollen aus unterschiedlichen Gründen bewusst an diesem Standort in Wolfenbüttel wirtschaftlich wachsen – im Moment können wir ihnen aber keine Expansionsflächen dafür anbieten“, sagt die Geschäftsführerin. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Büroflächen. Das soll sich ändern.