10. Oktober 2019
Freizeit & Gesundheit

„Der schlechte Ruf färbt auf die Branche ab“

Kino-Unternehmer Hans-Joachim Flebbe im Interview

Hans-Joachim Flebbe im C1 vor dem Umbau. Foto: Stephanie Joedicke

Im Kinosaal 8 riecht es nach Neuwagen – ein Mix aus verschiedenen Kunststoffen und Leder. Letzteres ausgelöst durch die breiten Ledersitze, die dort neuerdings verbaut sind. Denn Braunschweigs größtes Kino erfindet sich neu. Dazu gehören auch ein neues Leinwandkonzept, Lichteffekte und Dolby Atmos Sound – das sei wie 3D für die Ohren, sagt Kinobetreiber Hans-Joachim Flebbe. Rund acht Millionen Euro soll die Komplettrenovierung kosten. Ab dem 10. Oktober firmiert das ehemalige C1 unter neuem Namen: Als Astor Filmtheater soll der Imagewandel auch nach außen hin sichtbar werden. Bei Fingerfood, das zum neuen kulinarischen Angebot des Kinos gehört, sprach Standort38 mit dem Kinomogul über Dumpingpreise, eine krankende Branche und Standing Ovations.

Herr Flebbe, seit einigen Jahren hat das Kino Konkurrenz bekommen, denn Streaming-Anbieter wie Netflix, Amazon und Co. ermöglichen Heimkino zu niedrigen Preisen – und das unabhängig von Ort und Zeit. Hat das Kino ein prognostizierbares Sterbedatum?

Das Kino ist schon öfter totgesagt worden – gestorben ist es nie …

In den vergangenen Jahren sind die Besucherzahlen branchenweit gesunken – letztes Jahr wurden 14 Prozent weniger Besucher verzeichnet …

Das war das schlechteste Ergebnis seit Anfang der 90er Jahre. Das erste Halbjahr 2019 lief jetzt etwas besser, aber nicht wesentlich. Das Problem ist, dass jüngere Filmfans nur noch äußerst selten ins Kino gehen – dabei waren sie bis vor einigen Jahren die Hauptzielgruppe. Es fehlt eine ganze Generation der zwischen 15- und 25-Jährigen, die sich lieber ihren Serien widmen. Da müssen sich die Kinos sehr bemühen, diese Besucher wieder zurückzugewinnen.

Wird Ihnen das mit dem neuen Konzept des C1 gelingen?

Für uns birgt dieser Wandel natürlich auch ein Risiko, weil wir nicht wissen, ob es funktioniert oder die Braunschweiger das neue Konzept annehmen. Natürlich ist es bequemer, zuhause Netflix einzuschalten und die neusten Filme und Serien zu streamen – man muss keine Vorführzeiten beachten, nirgendwo hinfahren, keinen Eintritt zahlen … Aber wir wollen Kino wieder so attraktiv und einmalig machen, dass sich der „Aufwand“ seitens der Kunden lohnt. Und die Besucher merken, dass das Kino der Ort ist, an dem man Filme richtig genießen kann. Am Ende hängt es natürlich auch von den Filmen ab, die produziert werden. Wir können ja nur die Infrastruktur dafür bereitstellen.

Im Logenbereich wird der Kinobesucher jetzt auch am Platz bedient. Wandelt sich das Kino vom reinen Entertainer zum Dienstleister?

Es wird zukünftig nicht mehr nur optisch konsumiert, sondern auch kulinarisch. Das stellt unsere Mitarbeiter sicherlich vor neue Herausforderungen und erfordert mehr Service. Aber die Zufriedenheit der Kunden wiegt diesen Mehraufwand wieder auf. In meinem Kino in Hannover wurde nach der Vorstellung von Bohemian Rapsody vor Begeisterung Beifall geklatscht. Wie oft hat man das. So ein Publikum lieben wir natürlich und das motiviert uns.

Ist das die Zukunft der Kinos?

Für die nächsten Jahre ist es ein sehr ansprechendes Angebot: Komfort, Qualität, Service. Aber es geht immer irgendwie weiter. Vor zwanzig Jahren hätte ich auch gesagt, dass das Cinemaxx nicht zu toppen ist, wie wir es damals gebaut haben.

Hätten Sie gedacht, dass Sie einmal so viel aufwenden müssen, um Gäste ins Kino zu locken?

Nein, der Anspruch der Besucher hat sich enorm verändert. Ich bin mittlerweile seit 40 Jahren im Geschäft. Früher waren die Besucher zufrieden, wenn der Film gut war – heute müssen auch Technik, Service und Komfort stimmen, damit ein Kinobesuch wieder zum Erlebnis wird.

Trägt sich das C1 aktuell finanziell?

Die Immobilie gehört meiner Familie, deswegen können wir auch schlechtere Zeiten gut überstehen. Aber von den Glanzzeiten, als wir 800.000 oder 900.000 Besucher hatten, sind wir doch einiges entfernt. Letztes Jahr kamen 550.000 Besucher – das ist ok für eine Stadt wie Braunschweig, aber ich hoffe, dass wir die Zahlen mit dem neuen Komfortkino steigern können.

Wie werden sich die Eintrittspreise mit dem neuen Konzept entwickeln?

Sie werden steigen, weil wir durch die neuen Sitze weniger Plätze haben. Das wird aber moderat passieren, sodass man noch immer unter zehn Euro ins Kino gehen kann. Im Logenbereich werden die Preise bei etwa 12 Euro liegen, was ich aber völlig gerechtfertigt finde.

Wird Kino dadurch exklusiv?

Nein, genau das wollen wir nicht, Kino muss für alle Besucherschichten attraktiv bleiben. Aber man muss auch die Verhältnisse sehen, für eine gute Currywurst zahlt man mittlerweile fast sechs Euro. Der Aufwand, den wir hier betreiben, rechtfertigt die steigenden Preise.

Das ist nicht das erste Kino, das Sie zum Premium-Kino umbauen. Wann ist dieser Markt gesättigt?

Premium-Kinos sind im Grunde noch in der Minderheit. Zukünftig wird es sie sicherlich in allen Großstädten geben. Ich habe damit vor zehn Jahren angefangen und wir haben jetzt eine ganze Menge Nachahmer gefunden, die auch mit bequemen Sesseln und Service arbeiten.

Sie haben sich auch bewusst entschieden, eine andere Richtung als die Cinemaxx-Kette einzuschlagen. Anstelle von Dumpingpreisen, setzen Sie auf Luxus und Komfort. Warum? 

Dumpingpreise bedeuten meiner Meinung nach das Ende der Kinokultur. Die kann man sich ja nur erlauben, wenn man an anderer Stelle spart. Das ist eine logische Rechnung: Wenn man weniger einnimmt, kann man auch weniger ausgeben. Was Cinemaxx und Cinestar da tun, ist auf kurzfristigen Erfolg ausgelegt – letztendlich ist das eine Teufelsspirale.

Inwiefern?

Wenn ich nichts mehr investieren kann, weil meine Margen kleiner werden, verschrecke ich die Kunden. Denn niemand hat heute noch Lust, in engen Reihen auf verpekten Stühlen zu sitzen, auf denen vielleicht noch die Nacho-Sauce klebt und wo das Personal fehlt, um die Säle zwischen den Vorstellungen zu reinigen. Dann kommen die Besucher, weil es schön günstig ist, und werden verschreckt durch die Sauberkeits- und Servicemängel. Und bleiben dann doch lieber zuhause vor ihrem TV-Gerät. Der schlechte Ruf färbt dann auf die gesamte Kinobranche ab. Deshalb kämpfe ich dagegen an. Am Ende wird sich das Dumping-Preismodell totlaufen, aber aktuell …

… geht das Konzept auf?

Leider. In Hannover wandern Teile des Publikums vom ASTOR Grand Cinema zum Cinemaxx ab. Aber es gehen nicht mehr Menschen in die Kinos, also die Gesamtzahl wächst nicht, es findet bloß eine Umverteilung statt. Das finde ich natürlich schade, denke mir aber auch, dass man ja nicht immer zu McDonalds gehen wird, um zu essen. Irgendwann möchte man sich wieder etwas Ordentliches gönnen.

Erst Programm-, dann Großkinos und jetzt Edel-Kinos – was planen Sie als nächstes?

Das weiß ich auch nicht – wahrscheinlich nichts mehr. Ich bin ja auch schon in einem gewissen Alter (lacht), aber noch macht es mir Spaß. Ich sage jetzt mal uneitel, wir haben immer Trends gesetzt. Mit den Programm- und später Multiplexkinos waren wir immer eine der ersten Gruppen und jetzt mit den Edel-Kinos sind wir das auch. Ich weiß aber nicht, was danach noch kommt. Das wusste ich allerdings damals auch nicht.

Haben Sie einen Filmtipp für uns?

Es gibt unglaublich viele Filme, die sehenswert sind, aber leider nicht so viel Marketing und Aufmerksamkeit bekommen und deshalb am Publikum vorbeigehen. Die großen Blockbuster wie Star Wars und The Avengers kennt jeder, aber es gibt immer etwas zu entdecken. Mein Tipp wäre Yesterday – und immer wieder Bohemian Rhapsody.

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