Besucher der Movimentos Festwochen wissen: Hier geht es immer ein wenig hochwertiger, ja auch hochmütiger, anspruchsvoller und auch abgehobener als bei anderen Tanzfestivals zu. Und das ist durchaus positiv gemeint. Die 16te Auflage des Spektakels in der Autostadt in Wolfsburg versammelt einmal mehr internationale Künstler aus den Bereichen zeitgenössischer Tanz, Jazz, klassische Musik sowie deutsche Schauspielgrößen bei szenischen, teilweise musikalischen Lesungen. Das Ganze wieder zusammengehalten von einer inhaltlichen Klammer, beziehungsweise einem großen Wort: Würde.
„Die Würde des Virtuosen beruht daher lediglich auf der Würde, welche er der schaffenden Kunst zu erhalten weiß: Vermag er mit dieser zu tändeln und zu spielen, so wirft er seine eigene Ehre fort“, erklärte der große europäische Musikdramatiker Richard Wagner einst zu diesem Thema. Und Virtuosen auf verschiedensten künstlerischen Gebieten sind vom 4. April bis zum 6. Mai 2018 in der Autostadt, im Volkswagen Kraftwerk sowie in Kulturräumen der Stadt Wolfsburg und Braunschweig reichlich zu erleben. Weltbekannte Jazz-Stars wie der italienische Jazz-Bariton Mario Biondi und die amerikanische Soul-Sängerin Indra Rios treten im ZeitHaus der Autostadt auf. Aus Finnland reist das Emil Brandqvist Trio an, und in einem Doppelkonzert sind Laura Jurd und ihre Band Dinosaurs sowie Dominic J. Marshall mit seinem Trio zu erleben. Bereits im Jahr 2014 zu Gast, und erneut dabei, ist Gregory Porter.
Der derzeit erfolgreichste Jazz- und Gospelsänger füllt große Konzerthallen und ist hier in einem intimen Rahmen zu hören. Doch die Tickets für das Konzert mit dem Zwei-Meter-Mützen-Mann, der mit seinem warmen, souligen Bariton wie ein kuscheliger Brummbär wirkt, waren bereits wenige Minuten nach dem Verkaufsstart ausverkauft. Das sollte allen Interessierten eine Lehre für das nächste Jahr sein, sich frühzeitig um Karten zu bemühen – denn auch weitere Movimentos-Veranstaltungen sind 2018 bereits ausverkauft.
Das dürfte Roland Clement, seit Anfang September 2017 Vorsitzender der Auto- stadt Geschäftsführung, nur recht sein. Zuvor war er als Leiter Vertrieb und Marketing der Porsche Leipzig GmbH tätig, nimmt nun aber auch in Wolfsburg richtig Fahrt auf: „Als Geschäftsführer der Autostadt freue ich mich sehr auf meine ersten Movimentos Festwochen. Das Festival lebt von der Idee, hochkarätige Kunst in kleinen und großen Formaten zu zeigen, um Räume der Auseinandersetzung und des Erlebens zu schaffen und damit der Kultur Raum zu geben. Claudius Colsman und ich stehen hinter dem kulturellen Engagement der Auto-stadt und wir freuen uns darauf, es aktiv weiterzuentwickeln.“ Der 49-jährige Vertriebs- und Marketingfachmann tritt zusammen mit dem 48-jährigen Kommunikationsprofi Colsman, einem weiteren Mitglied der Geschäftsführung, das schwere Erbe von Otto F. Wachs an, der drei Jahrzehnte lang mit seiner Arbeit den Volkswagen Konzern prägte, und Ende August 2017 den Autobauer verließ.
Welchen Weg das neue Wolfsburger Duo einschlagen wird, welchen Spielraum sie erhalten und wie die Weiterentwicklung konkret aussieht, wird sich wohl erst in den nächsten Jahren zeigen. Das Programm der 16. Movimentos Festwochen trägt noch die Handschrift des langjährigen künstlerischen Leiters Bernd Kauffmann, der seit dem Jahr 2003 mit dabei ist. Zum diesjährigen Thema erklärte er im Rahmen der Pressekonferenz: „Wir leben in Zeiten der Würdelosigkeit. Dabei kann man Würde nicht erwerben, man hat sie mit der Geburt. Sie steht jedem zu und ist mit unserer Existenz verbunden.“ Ihn freut es besonders, dass Movimentos offen für alle ist, ein Programm für alle Altersklassen präsentiert. „Es ist ein total gemischtes Publikum. Sie haben oben 15-Jährige sitzen, die toben wie unten die älteren Herrschaften“, erzählt er lachend. Bester Beweis sind die jungen, motivierten Teilnehmer der Movimentos Akademie Tanzklasse, die zum Auftakt der Veranstaltungsreihe eine selbst erarbeitete Choreografie zum Thema „Würde“ aufführen werden.
Aber natürlich sind auch wieder viele ältere, internationale und innovative Tanzprofis dabei. Im Kraftwerk werden diesmal sieben Compagnien mit aktuellen Produktionen auftreten, das sind nach den Reduktionen der vergangenen Jahre so viele wie lange nicht. Erstmals in Deutschland ist Ballet BC aus dem kanadischen Vancouver. Mit drei Choreografien von Crystal Pite, Sharon Eyal und mit der Deutschlandpremiere von Evelyn Molnars „16+ a room“ eröffnet die Company das Tanzprogramm. Zu den weiteren hochkarätigen, regelmäßig in Wolfsburg eingeladenen Gruppen, zählen die Company Wayne McGregor, das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan, die Compagnie DCA/Philippe Decouflé, die brasilianische Grupo Corpo, die Sydney Dance Company und Zero Visibility Corp. aus Norwegen.
Neben spektakulären tänzerischen Darbietungen gibt es acht szenische bzw. teilweise musikalische Lesungen. Diese setzen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema „Würde“ auseinander. So wird unter anderem aus Yasmina Rezas neuem Roman „Babylon“, Daniel Kehlmanns Stück „Heilig Abend“ sowie der Offenbarung des Johannes gelesen und eine Neu-Interpretation von Schillers Balladen zu erleben sein. Zu Gast sind prominente Schauspieler wie Iris Berben, Sophie Rois, Thomas Thieme, Burghart Klaußner, Alexander Scheer, Claudia Michelsen, Wolfram Koch, Maren Kroyman, Sylvester Groth, Philipp Hochmair, Caroline Peters und Samuel Finzi. Boris Aljinovic ist aus Anlass von Karl Marx’ 200. Geburtstag in Howard Zinns Stück „Marx in Soho“ zu erleben. Der künstlerische Leiter Bernd Kauffmann setzt mit seinem vielfältigen Programm aber nicht nur auf Schaueffekte, sondern möchte „in Zeiten der Würdelosigkeit“ Werte wiederbeleben und uns auch zum Innehalten zwingen. Damit wir vielleicht öfter darüber nachdenken, „was uns fehlt, wenn wir alles zu haben meinen“.