Paul Kohlhoff hat auf seiner Road to Tokyo in Braunschweig Halt gemacht. Zusammen mit Alica Stuhlemmer bildet er das jüngste Team in der Weltspitze und will nächstes Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokyo eine Medaille in der neuen Segelklasse Nacra 17 gewinnen. Vom Fliegen auf dem Wasser, den Herausforderungen eines kleinen Rennsportteams und einem ganz persönlichen Rückschlag, erzählte er uns am Rande des 30. Geburtstages von Hauptsponsor M&P …
Paul, euer Ziel ist eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Tokyo. Wie optimistisch bist du, dass euch das gelingt?
Wir haben gerade im Olympiarevier trainiert und sind dort ein Testevent gesegelt, das wir als sechster mit wenigen Punkten Abstand vom Podium beendet haben. Insofern sind wir zuversichtlich, dass wir uns zunächst qualifizieren und dann bei den Spielen selbst eine Medaille gewinnen können.
Nacra 17 ist die jüngste Segeldisziplin bei Olympia. Macht es das leichter oder schwerer?
Sowohl als auch. Der Nacra 17 ist ein Katamaran, der mittlerweile einen großen Teil des Rennens komplett fliegt und bis zu 30 Knoten erreicht.
Geht es bei Olympia schneller?
Nein, es ist mit großem Abstand die schnellste Bootsklasse. Das macht ehrlicherweise süchtig und jeder Segler, der das einmal erlebt hat, möchte ungern wieder mit einem normalen Verdränger unterwegs sein. Das Boot erfordert aber auch viel Athletik von uns und gerade die Mixed-Komponente macht es besonders anspruchsvoll.
Im Wirtschaftskontext gelten diverse Teams als Zukunftsmodell. Wie ist das im Sport?
Natürlich sind die körperlichen Voraussetzungen unterschiedlich, aber auch dass wir als Team zusammenwachsen ist nicht selbstverständlich. Wo außerhalb von einer Liebesbeziehung verbringen Mann und Frau denn so viel Zeit miteinander?
Wie würdest du das Verhältnis von euch beschreiben?
Alica ist etwas jünger als ich und kam direkt aus der Jugendklasse ins Olympische Segeln. Sie hat dadurch in sehr kurzer Zeit einen riesigen Sprung nach vorn gemacht. Unsere Sportbeziehung ist besonders, einfach weil wir 250 bis 300 Tage im Jahr gemeinsam verbringen. Deshalb haben wir uns von Anfang an auf völlige Transparenz geeinigt. Wir sind komplett ehrlich zueinander und besprechen jedes Problem direkt, wenn es auftritt. Das klappt bisher wunderbar.
Würdest du sagen, dass man eure Erfahrungen auf Teams in Unternehmen übertragen kann?
Davon bin ich absolut überzeugt. Für uns gilt, dass es keine Probleme gibt, solange sie nicht angesprochen werden. Wenn man das schafft, hilft es in jeder Beziehung zwischen Menschen – ganz egal ob im Sport, im Unternehmen oder im privaten Umfeld. Wer eine gemeinsame Mission hat, muss zusammenwachsen, um erfolgreich zu sein.
Beim Training in Japan seid ihr im August mit einem Hai zusammengestoßen. Wie gefährlich ist so etwas?
Das Problem ist, dass das Boot in so einem Fall sehr plötzlich stoppt. Das kann man sich wie ein Auto vorstellen, das gegen eine Mauer fährt, nur dass unsere Körper im Trapez außen am Boot stehen und wir uns nicht halten können. Wir sind also ordentlich geflogen, aber es ist glimpflich ausgegangen.
Im Dezember 2017 hat dich eine Hirnblutung und anschließende Operation aus der Bahn geworfen. Wie geht es dir heute?
Es hat uns im Training natürlich stark zurückgeworfen, aber mir war sehr schnell klar, dass ich wieder segeln werde, wenn ich die Operation überlebe. Die Situation war kritisch, aber jetzt bin ich wieder voll da.
Wie hat deine Sportpartnerin reagiert?
Es hat uns extrem zusammengeschweißt, weil sie die gesamte Kampagne übernommen hat. Alica hat das Ruder voll übernommen und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie ein Mensch das besser hätte managen können.
Für alle Nicht-Segler: Was heißt in diesem Fall Kampagne?
Wir sind wie ein kleines Rennsportteam, nur eben auf dem Wasser. Unser Material muss von Schlüsselevent zu Schlüsselevent transportiert werden, meist in Übersee und auch wir reisen natürlich hinterher. Wir machen unsere Pressearbeit selbst, gewinnen Sponsoren und organisieren unser Training. Es gibt also eine sportliche und eine unternehmerische Komponente in unserem Alltag als Athleten.
Ihr seid beide Sportsoldaten …
… genau, und vom militärischen Dienst freigestellt, um Deutschland international zu vertreten. Wir müssen uns aber regelmäßig neu auf einen der wenigen Plätze bewerben.
Wie groß ist der Druck?
Schon enorm, weil letztendlich unsere wirtschaftliche Existenz davon abhängt. Dabei genügen der Sold und die Sportförderung nicht, um unsere Kampagne zu finanzieren. Diese kostet mehr als 100.000 Euro pro Jahr.
Wie schwer ist es, Sponsoren zu finden?
Wenn man sich für Unternehmertum interessiert und so stark hinter seinem Ziel steht, wie wir es tun, ist es durchaus möglich segelenthusiastische Förderer zu finden …
… zum Beispiel die Braunschweiger M&P-Gruppe. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Wir sind zusammen bei einem BMW-Event gesegelt und haben uns dort kennengelernt. Es stellte sich heraus, dass sich unsere Kampagne sehr gut mit den Unternehmenszielen von M&P verknüpfen lässt: Mixed-Segeln, ein technologisch sehr weit fortgeschrittener Katamaran, die aufregendste olympische Bootsklasse …
Was – außer einem Logo auf eurem Segel – hat ein Sponsor von seinem Engagement?
Wir sind das sportliche Gesicht des Unternehmens, treten zum Beispiel bei Firmen- oder Kundenveranstaltungen auf und halten dort Vorträge über unsere Motivation oder die Herausforderungen eines Mixed-Teams. Natürlich segeln wir auch mit unserern Sponsoren (lacht).
Wie würdest du die Sportförderung in Deutschland bewerten?
Im Segeln haben es Athleten aus anderen Ländern leichter, zum Beispiel aus England. Ohne privatwirtschaftliche Förderer wären wir nicht konkurrenzfähig, aber ich möchte mich wirklich nicht beschweren.
„No excuse to lose“ lautet das Motto von Alica, deines „keine halben Sachen“. Wie ernst meint ihr das?
Absolut ernst, wir wollen nicht einfach nur dabei, sondern die Besten sein. Das sagt „No excuse to loose“ aus. Ich glaube, dass ambitionierte Ziele in Deutschland oft viel zu kritisch gesehen werden. Was ist im Sport unmöglich? Fast gar nichts.
Gibt es Zweifler?
Natürlich, wir sind eines der kombiniert jüngsten Teams mit einem sehr hohen Anspruch an unsere Leistung. Unsere Konkurrenz macht teilweise seit 15 Jahren nichts Anderes als Segeln. Genau darauf zielte die Kritik oft ab: Warum solltet ihr Leute mit dieser Erfahrung schlagen können?
Und?
Weil wir an uns glauben und hart dafür arbeiten. Unsere Platzierungen in der Vorbereitung zeigen, dass wir keine Träumer sind. Wir sind im Favoritenkreis um die Medaillen und wenn wir es nächstes Jahr nicht schaffen, dann eben in fünf oder neun Jahren. Ehrlicherweise spielt bei der Formulierung solcher Ziele mein Ausfall Ende 2017 eine große Rolle.
Jetzt erst recht?
Ja. Ich war 22 und kannte es nicht anders, als dass ich meinem Körper voll vertrauen konnte. Man fühlt sich fast ein bisschen unsterblich. Durch die Operation wurde mir plötzlich klar, dass ich alles, was ich irgendwann einmal machen wollte, genau jetzt tun sollte, weil es einfach keinen Grund gibt, es später zu tun. Deshalb gebe ich wirklich alles, um unser Ziel zu erreichen.
Das so zu sagen, ist einfach, aber es im Trainingsalltag zu leben, etwas anderes …
Richtig. Natürlich gibt es dafür psychologische Tricks, aber am Ende muss man einen solchen Satz eben wirklich in sich tragen. Alles, was ich tue, jede Trainingseinheit, jeder Termin, zahlt auf unsere Mission ein.
Wie angenehm ist es, das eigene Leben auf ein Ziel zu fokussieren und keine Kompromisse eingehen zu müssen?
Es ist einerseits toll, weil der Fortschritt entsprechend groß ist, aber wir zahlen natürlich auch einen Preis. Denn unser Privatleben verschwimmt vollständig mit der Kampagne – alles ist eins.