Es gab Zeiten, da waren Bahnhöfe vor allem Orte zur Weiterfahrt. Dunkel, zugig – nicht zu vergessen das „Bahnhofsklo“ und der Geruch, für den es berüchtigt war. Ankommen, umsteigen, abfahren – aber ganz sicher nicht länger bleiben, als nötig. An diesem Mittag im Winter verwandeln Klavierklänge die Eingangshalle des Braunschweiger Hauptbahnhofs in einen Konzertsaal. Menschen bleiben interessiert stehen, lauschen – einige nutzen selbst die Chance und hauen in die Tasten. Es herrscht geschäftiges Treiben, aber gerade ist keine Rush Hour.
117 Bahnhöfe von Kassel bis Lüneburg
Willkommen im Schlott-Land oder besser in dessen Zentrum. Denn vom Braunschweiger Hauptbahnhof aus betreut Bahnhofsmanager Marco Schlott mit seinem Team aus knapp 90 Mitarbeitern 117 Stationen. Manche von ihnen bestehen aus nicht viel mehr als einem gläsernen Wartehäuschen mit Beleuchtung und einem Aushangkasten. Der Bahnhof in Lödingsen bei Göttingen ist ein Beispiel dafür und mit 25 Ein- und Ausstiegen pro Tag der kleinste in Schlotts Verantwortungsbereich. Den Braunschweiger Hauptbahnhof dagegen besuchen täglich rund 38.000 Menschen. Er gehört neben Göttingen, Uelzen, Wolfsburg und Hildesheim zur so genannten Kategorie 2 und bietet umfangreichere Services vom DB Reisezentrum bis zu gastronomischen Angeboten oder Einkaufsmöglichkeiten. „Mit den daraus resultierenden Mieteinnahmen müssen wir die Empfangsgebäude eigenwirtschaftlich betreiben.“ Und wenn das nicht gelingt? „Wir haben in den letzten Jahre viele Gebäude verkauft.“ Fast eineinhalb Stunden braucht es mit dem ICE, um das Gebiet des Braunschweiger Bahnhofsmanagements zu durchreisen – „es reicht von der Stadtgrenze Kassels bis kurz vor Lüneburg“, sagt der 48-Jährige und schiebt mit einem Lächeln nach: „Bevor die Frage kommt, für die Verspätungen können wir nichts.“ Denn sein Team betreibt zwar die Bahnhöfe, ist aber nicht für das verantwortlich, was auf den Gleisen passiert. Im Zuge des Eisenbahnneuordnungsgesetzes entstanden 1994 unter dem Dach der Deutschen Bahn fünf Aktiengesellschaften – die DB Netz AG ist für die Gleise zuständig, die DB Cargo AG für den Frachtverkehr, die DB Fernverkehr AG für ICEs und Intercitys, die DB Regio AG für den Nahverkehr und die DB Station&Service AG eben für die Bahnhöfe.
„Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, aber wir könnten noch deutlich schlanker und effizienter agieren.“
Der Staatskonzern ist Geschichte
„Unser Zuständigkeitsbereich beginnt an der Bahnsteigkante und endet, wenn Sie den Bahnhof oder dessen Vorplatz verlassen“, erklärt Schlott. „Und diese Infrastruktur stellen wird allen Eisenbahnverkehrsunternehmen diskriminierungsfrei zur Verfügung.“ Dafür müssen die Unternehmen pro Halt und Bahnhof Nutzungsentgelte bezahlen, ähnlich wie bei einem Flughafen. Neben dem Gebäude selbst gehören die Service-Mitarbeiter und die Menschen hinter den Lautsprecherdurchsagen zum Team. Sie sitzen in zwei Ansagezentren in Göttingen und Braunschweig. Außerdem betreibt Schlott zusammen mit Kollegen aus Hannover eine telefonisch rund um die Uhr erreichbare 3-S-Zentrale. 3-S, das ist so etwas wie das Kerngeschäft eines Bahnhofsmanagers – Service, Sicherheit und Sauberkeit. In Braunschweig ist man damit „ganz zufrieden, aber es gibt immer Luft nach oben. Wir hinterfragen uns ständig.“ Wer Marco Schlott in seinem Büro hoch oben in dem denkmalgeschützten und vom Architekten Erwin Dürkop nach Vorbild des Bahnhofs Roma Termini entworfenen Gebäude reden hört, merkt schnell, dass hier der frühere Staatskonzern wirklich Geschichte ist. „Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, aber wir könnten noch deutlich schlanker und effizienter agieren.“