Hey, ich wäre vor Ort...
Wunderbar & guten Tag. Ich bin auch soweit. Sie haben ein sehr schönes Instagram-Profil. Fotografieren Sie selber?
Gegenfrage: Sind wir schon mitten im Social Recruiting?
Das würde ich eher Interesse am Gegenüber nennen. Für einen Fotografen wäre es aber ein denkbarer Weg.
Ihr Vortrag beim CrunchLunch trägt den Titel "Dein Chef ist ein Arschloch & deine Kollegen sind kacke". Ist das nur laut oder steckt auch mehr dahinter?
Beides.
Inwiefern?
Heutzutage ist es sehr häufig so, dass Unternehmer sehr laut sein müssen, um gute Leute auf sich aufmerksam zu machen. Vor allem die guten Leute haben einen Job, in dem sie vermeintlich glücklich sind. Beispielsweise habe ich noch nie einen guten Vertriebler oder Webentwickler gesehen, der arbeitslos ist.
Und wer nicht arbeitssuchend ist, sucht auch nicht?
Grundsätzlich kann man das so sagen. Genauer würde ich es so beschreiben; die Leute warten nicht. Denn sie wissen noch nicht, dass sie einen viel besseren Job haben könnten. Gerne nehme ich als Beispiel die "Generation Y" ...
...weil diese mehr sucht, als einen sicheren Arbeitsplatz mit gutem Gehalt?
Genau. Der Job muss das Leben unterstreichen, genügend Freiräume für die Work-Life-Balance bieten und dabei vor allem Spaß machen. Die Zielgruppe möchte etwas reißen und erfolgreich sein. Mitwirken. Anpacken. Begeistern. Häufig ist sie in einem Job gefangen und hat es selber noch nicht gemerkt. Wenn man sie aber nun gezielt provokant anspricht und eventuell auch einmal "Dein Chef ist ein Arschloch und deine Kollegen sind kacke" fallen lässt, fangen sie an, sich Gedanken zu machen. Dies kann dann der erste Schritt sein, über einen Jobwechsel nachzudenken.
Bisher galten die sozialen Medien vor allem als Stolperfalle im Bewerbungsprozess. Jetzt sollen sie der Ort sein, wo Arbeitgeber und -nehmer sich treffen. Wie kommt’s?
Das stimmt. Für viele Nutzer ist es noch immer eine Stolperfalle, weil Bewerber vergessen, ihr Erscheinungsbild in den sozialen Netzen "arbeitgeberfreundlich" zu gestalten. Warum es zu dem Wechsel kommt, liegt aus meiner Sicht daran, dass die gesamte Kommunikation viel schneller geworden ist. Es wird mittlerweile auch auf Augenhöhe kommuniziert. Dazu bietet sich Social Media an.
Kann man überhaupt zwischen einem privaten und öffentlichen Gesicht im Netz unterscheiden?
Das würde ich Nutzern nicht raten. Sie sollen ja auch authentisch sein. Aber es gibt ein paar Dinge, auf die der Kandidat achten sollte. Beispielsweise sollten die Partyfotos vom letzten Malle-Urlaub nicht unbedingt das öffentliche Titelbild schmücken.
Ein Hoch auf die Privatsphäre-Einstellungen. Wissen zu wenige Nutzer, was das ist?
Viele regen sich regelmäßig über die Privatsphäre auf Facebook auf – haben aber in vielen Fällen noch nie in die Privatsphäre-Einstellungen geklickt. Ein Fehler!
Findet Social Recruiting nur bei Xing und LinkedIn oder auch bei Facebook und Instagram statt?
Auf allen Kanälen!
Wie sieht so ein Prozess konkret aus?
Eine Schubladen-Lösung für jedes Unternehmen gibt es nicht. Die Kampagne muss auf den entsprechenden Job angepasst sein. Die Zielgruppe bestimmt dann häufig den Kanal.
Ok. Wie finden Sie Ihren nächsten Mitarbeiter?
Gerne gebe ich Ihnen ein Beispiel für meinen nächsten und auch für drei von vier meiner aktuellen Mitarbeiter. Ich setze eine knackige Anzeige, die bewusst nicht jeden anspricht, aber eben genau die Person, von der ich glaube, dass sie zu uns passt. Diese streue ich dann in allen sozialen Netzen. Bisher hatte ich immer sehr großes Glück, dass ich darüber bereits von unglaublich tollen Bewerbungen überhäuft wurde. Leider ist das in unseren Kundenprojekten nicht immer so einfach. Dieses liegt vorrangig daran, dass unser Arbeitsplatz genau dieses Umfeld ist.
Können Sie ein Motiv zeigen?
Gern, sogar zwei!
Laut, in der Tat. Kommt es nicht auf die Branche an? Mit so einer Kampagne dürfte man den einen oder anderen Ingenieur vielleicht verschrecken…
Da haben Sie voll und ganz Recht. Um einen Ingenieur zu rekrutieren, sollte man über eine andere tolle Kampagne nachdenken.
Sie werben für mehr Offenheit mit Bewerbern. Warum sollte ich mich und mein Unternehmen nicht von der schönsten Seite zeigen?
Das klingt, als ob ein Unternehmen keine schönen Seiten hat?
Schön vielleicht, aber etwas Aufhübschen muss doch erlaubt sein, oder?
Sehen Sie, selbstverständlich soll ein Unternehmen seine schöne Seite herausstellen. Ein Bewerber möchte ja auch wissen, dass er an einem sicheren Ort ist. Ich zeige mein Unternehmen auch von der schönen Seite. Aber ich bin zu jedem Bewerber ehrlich.
Noch ein Rat von Ihnen: Löschen Sie, was Bewerber nicht interessiert. Haben Sie ein paar Beispiele?
Sprechen Sie unsere Abteilung HUMAN RESOURCES an. Versuchen Sie es mit „Frau Schwerdtfeger ist gerne für Fragen & Ideen da.“
Also alles weg, was gelernt aber überflüssig ist…?
Das würde ich so pauschal nicht unterschreiben. Es gibt viele Themen, die für einen Bewerber sehr wichtig sind und das Unternehmen auszeichnen. Dieses darf und soll so beständig bleiben. Ich plädiere einfach zu mehr Ehrlichkeit und Menschlichkeit.
Das alles klingt nach einem Kulturwandel im Bewerbungsprozess. An der Spitze des Wandels ist es in der Regel anstrengend. Warum also nicht abwarten und weiter klassische Stellenanzeigen schalten?
Es herrscht definitiv ein Wandel. Ein Unternehmer der abwartet, verpasst den Anschluss. Und erst, wenn es anstrengend wird, weiß man doch, dass das Ziel näher rückt.
Wie verbreitet ist Social Recruiting heute?
Es verbreitet sich gemächlich, aber mittlerweile ganz gut. In den Momenten, wo Stellenanzeigen im Print nicht mehr funktionieren, setzen viele erst einmal auf Onlineportale, wie beispielsweise monster.de. Wenn auch hier der Erfolg ausbleibt, klingelt mein Telefon. Wer einmal einen Mitarbeiter über Social Recruiting gefunden hat, tut es immer wieder auf diesem Wege. Eine Kampagne kann hier aber auch crossmedial aufgebaut sein.
Erfolgsquote?
74 Prozent. Spaßfaktor 100 Prozent.
Der Fachkräftemangel dürfte das Thema befeuern, oder?
Extrem.
Welche Zukunft sehen Sie für monster, Stepstone und Co.?
Onlineportale werden sich noch einige Zeit halten. Wenn ich die Zahl korrekt im Kopf gespeichert habe, lagen wir letztes Jahr bei einem Rücklauf von elf Prozent.
Social Recruiting ist für die Arbeitgeber aufwendiger, als eine klassische Anzeige, oder?
Nicht unbedingt. Die meisten Arbeitgeber haben zuvor eine Werbeagentur (oder Ihr eigenes Marketing) mit einer Stellenanzeige beauftragt und anschließend Kosten für die Veröffentlichung gehabt. Jetzt liegt der Aufwand komplett bei Agenturen (wie uns). Ich denke, die Kostenverteilung ist einfach anders.
Können wir über Preise sprechen?
Nein. Das liegt aber an der großen Differenz zwischen den Kampagnen.
Ok, letzte Frage. Was ist mit all den klugen Köpfen, die lieber Bücher lesen, als die Feeds von flüchtigen Bekannten. Wie erreiche ich die?
Da machen wir ein extrem tolles Lesezeichen, das als erstes den Familien und Bekannten in den sozialen Netzen auffällt. Diese kaufen es dann netterweise für die Leseratte. #crossmedial
Klingt kreativ! Kriegen Sie alle?
Nein, bisher 74 Prozent. Ich lasse aber nichts unversucht.