2. März 2015
IT & Medien

Ständig neu erfinden

Christoph Keese, Autor und Executive Vice President Axel Springer SE, im Interview

Ein halbes Jahr lang lebte der Journalist und Wirtschaftswissenschaftler Christoph Keese 2013 als Visiting Fellow im Silicon Valley. (Foto: Christoph Dannemann)

Ein halbes Jahr lang lebte der Journalist und Wirtschaftswissenschaftler Christoph Keese 2013 als Visiting Fellow im Silicon Valley. Er traf dort Erfinder, Gründer, Wagniskapitalgeber und Professoren in Stanford und Berkeley auf der Suche nach Erfolgsmustern und Treibern der boomenden Internetwirtschaft. In seinem Buch „Silicon Valley“ (Knaus Verlag) berichtet er von wichtigen Innovationen und verdeutlicht welche Auswirkungen der digitale Wandel auf unser zukünftiges Leben hat. Wie diese Globalisierung, Digitalisierung und Hochgeschwindigkeitswirtschaft, die sich in Kalifornien abspielt, zu einer neuen Hyperökonomie verbindet.


Herr Keese, nach der Lektüre Ihres gleichermaßen ernüchternden wie erhellenden Buchs „Silicon Valley“ muss man sich große Sorgen um unsere Zukunft machen. Welches sind die elementarsten Veränderungen, die auf uns zukommen?

Wir müssen alle gemeinsam lernen, in Plattformen zu denken. Sie werden Wirtschaften und Arbeiten in der Zukunft noch stärker verändern als in der Gegenwart. Was sind Plattformen? Marktplätze, auf denen anders als auf echten Marktplätzen Anbieter und Nachfrager einander nicht mehr kennen und sich nicht mehr sehen, sondern nur über den Plattformbetreiber miteinander in Kontakt stehen. Die Plattform wirkt wie eine Isolationsschicht zwischen den beiden Marktseiten. Apples iTunes ist eine solche Plattform, Googles Werbesystem AdWords ebenso, Amazon natürlich auch, selbst Facebook und Pinterest entwickeln sich immer mehr in diese Richtung. Mit Plattformen verdient man im Internet das große Geld. Wenn sie einmal programmiert sind, verursachen sie kaum noch variable Kosten. Ökonomen sprechen davon, dass die Grenzkosten also die Kosten für jeden weiteren Euro Umsatz gegen Null gehen.

Das Silicon Valley ist darauf trainiert, bestehende Wertschöpfungsketten zu zerstören und durch eigene Plattformen zu ersetzen. Bei Zeitungen zum Beispiel hatte das in vergangenen Jahren erhebliche Auswirkungen, weil wichtige Anzeigenmärkte wie für Immobilien, Stellen oder Autos zu einem Großteil auf elektronische Plattformen abgewandert sind. In Zukunft wird das auch mit den Arbeitsmärkten passieren. Nach einem halben Jahr im Silicon Valley und Hunderten von Gesprächen mit Gründern und Investoren glaube ich sogar, dass keine einzige Branche der Welt von der Verlagerung auf Plattformen verschont bleiben wird. Im Effekt läuft das zwangsläufig auf eine völlige Umverteilung der Wertschöpfungsbeiträge heraus, und die bisherigen Traditionsbranchen gehen meistens als Verlierer aus dem Rennen hervor.


Google, Amazon, Apple & Co. sind gierige Datenkraken, die zukünftig die Welt beherrschen werden. Inwieweit ist Science Fiction Realität geworden?

Diese Ausdrucksweise klingt mir etwas zu rabiat. Ich würde es sachlicher ausdrücken. Google, Amazon, Apple und Tausende weiterer Unternehmen setzen hoch skalierende Plattformen an die Stelle etablierter Branchen und degradieren die bisherigen Marktführer zu Zulieferern, die unter hohem Ergebnisdruck stehen, die Konditionen mehr oder weniger diktiert bekommen und keinen direkten Kontakt zu ihren Kunden mehr haben. Im Ergebnis stehen alle Branchen in der Gefahr, von digitalen Plattformen aus dem Kern der Wertschöpfungsketten verdrängt zu werden und ihre Autonomie zu verlieren. Am Konflikt der Buchbranche mit Amazon kann man ablesen, wohin die Reise geht. Amazon gibt die Linie vor, und die Verlage haben die Wahl, sich aus dem Markt zu verabschieden oder weitere Verschlechterungen der Konditionen zu akzeptieren.


Autos, Haus, menschlicher Körper, Geld alles Materielle verwandelt sich in Daten, schreiben Sie. Wie können wir uns gegen die digitalen Eindringlinge und Herrscher wehren? Welche Rolle spielt Datenschutz?

Entscheidend wird es auf das Entwickeln digitaler Kompetenz und digitalen Selbstbewusstseins ankommen. Nur einer winzigen Minderheit der Konsumenten und Produzenten ist heute bewusst, welche epochalen Änderungen unserer Wirtschaftswelt sich im Internet derzeit vollziehen. Wir können nicht abwarten, bis uns jemand erklärt, was mit uns geschieht. Vor uns liegt eine Holschuld. Entweder befreien wir uns aus unserer selbst verschuldeten Unwissenheit, oder wir werden einfach überrollt. Dazu gehört auch ein selbstbewusster Umgang mit Daten. Konsumenten der Zukunft könnten Einkünfte aus der Vermietung ihrer Daten beziehen. Oder diese mit Hilfe eines robusten Datenschutzes gegen Verwendung durch Dritte aus dem Verkehr ziehen. Wir müssen wieder Herr unserer eigenen Daten und ihrer Kommerzialisierung werden.

 


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„Ständig neu erfinden“ – Christoph Kesse,  Autor und Executive Vice President Axel Springer SE, im Interview (2/2)

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