Ein länglicher Raum in den Windungen des Bauamts des Landkreises Wolfenbüttel: Sechs Frauen und ein Mann sitzen in einem Stuhlkreis und diskutieren, wie sich fiktive Produkte verkaufen lassen, ein lustiger Saugroboter zum Beispiel. Was auf den ersten Blick wie eine Verkaufsschulung wirkt, ist in Wirklichkeit ein Workshop zur Digitalisierung der Verwaltung. Dafür hat sich die Untere Bauaufsichtsbörde professionelle Unterstützung geholt: Die Braunschweiger Beratungsagentur The Why Guys. Im „Design Thinking“-Workshop entwerfen die Mitarbeiter:innen des Amtes seit November Konzepte, wie Bauanträge elektronisch eingereicht werden können.
Eine Verwaltung, die digital denkt? Grund genug für eine Stippvisite in Wolfenbüttel: Mit Kreisbaurat Sven Volkers und Claus Pahlitzsch, der die Abteilung Bauaufsicht leitet, haben wir über eine neue Dienstleistermentalität, Widerstände und die Behörde der Zukunft gesprochen …
Für viele Verwaltungsangelegenheiten müssen Menschen noch immer einen persönlichen Termin ausmachen. Wartezeiten von drei Monaten sind bei den Ämtern keine Seltenheit. Warum ist das noch so?
Sven Volkers: Diese Wartezeiten kann ich so – zumindest bei uns – nicht bestätigen. Dass noch persönliche Termine vereinbart werden müssen und die Digitalisierung weiter voranschreiten muss, liegt wohl auch an der nicht so ausgeprägten Veränderungsdynamik des Systems. Aber das Statische an Verwaltungen hat ja auch etwas Gutes …
… jetzt sind wir gespannt …
Volkers: Das Statische sorgt für Kontinuität und Stabilität. Aber die Frage ist natürlich: Müssen wir es noch machen wie zu Bismarcks Zeiten?
Gute Frage!
Volkers: Veränderungsprozesse in Verwaltungen sind anders als in Unternehmen. Wir haben gesetzliche Aufträge, aber es gibt beispielsweise keine Konkurrenz: Wir sind zuständig für den Landkreis Wolfenbüttel. Wenn jemand eine Baugenehmigung braucht, dann muss er zu uns. Als Wirtschaftsunternehmen muss ich mich am Markt behaupten.
Wirtschaft und Verwaltung könnten die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen …
Claus Pahlitzsch: Ganz bei Bismarck sind wir auch nicht mehr …
Volkers: … stimmt – da hat sich bereits vieles verändert. Der Gedanke unseres Digitalisierungsprojektes war und ist, unsere Prozesse zu optimieren. Wir machen es aber auch für den Kunden, denn am Ende zählt für ihn die Zeit. Wer einen Bauwunsch hat, der will eine Baugenehmigung – und zwar am liebsten schon gestern. Der Servicegedanke steht aus meiner Sicht schon lange dahinter und im Mittelpunkt, nur einige Teillösungen für die Digitalisierung fehlten noch.
Pahlitzsch: Bei uns im Landkreis sind wir der Pilot für die Einbindung eines Fachverfahrens. Es wird alles digital abgearbeitet, aber dafür braucht es Verknüpfungen und Schnittstellen. Ob das die Authentifizierung, eine Signatur oder das Dokumentenmanagement ist – wir haben viele Querschnittthemen.

Unternehmer:innen beispielsweise bemängeln seit Jahren die zunehmende bürokratische Last. Zurecht?
Volkers: Wir sind schon länger auf dem Weg, Verfahren zu vereinfachen, aber es scheitert oft noch an der Technik und dem gesetzlichen Rahmen. Jetzt kriegen wir Druck auf den Kessel, genau wie alle Baubehörden in Niedersachsen, weil nach Bauordnung bis Ende 2023 alles laufen muss. Spätestens dann wird das digitale Baugenehmigungsverfahren das Standardverfahren.
In welchen Bereichen wird Wolfenbüttels Verwaltung konkret umstrukturiert?
Volkers: Aktuell setzen wir bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde an. Aber es ist auch die Blaupause für alle anderen Bereiche hier im Amt. Wenn wir die Prozesse und Systeme, die wir zusammenschließen müssen, erstmal zusammengeschlossen haben, ist es egal, ob wir eine Baugenehmigung erstellen – oder einen Wohnberechtigungsschein. Aber das komplizierteste und aufwendigste ist tatsächlich das Baugenehmigungsverfahren.
Warum?
Volkers: Die Herausforderung ist, das Ganze digital rechtssicher umzusetzen. Im Moment ist es so, dass wir das digitale Dokument für den Bauantrag zwar haben und der Architekt die Bauzeichnung auch digital erstellt, er dann aber alles ausdrucken und unterschreiben muss.
Pahlitzsch: Es läuft aufgrund bisheriger Rahmenbedingungen noch nicht papierlos. Das klassische Antragsformular gibt es zwar schon lange in digitaler Form, aber wir arbeiten noch nicht medienbruchfrei.
Wie könnte eine solche rechtssichere Identifizierung aussehen?
Pahlitzsch: Der Bürger soll sich nicht überall einzeln anmelden müssen, sondern möglichst nur einmal. Dafür gibt es jetzt das persönliche Servicekonto Niedersachsen, das wir auf unserem Serviceportal für den Landkreis Wolfenbüttel einbinden werden. Dann kann jeder zur Online-Identifizierung seinen Personalausweis nutzen, dafür gibt es die AusweisApp2.
Was kostet Sie die Umstrukturierung finanziell?
Pahlitzsch: Das ist schon ein mittlerer fünfstelliger Betrag.
Wie kann eine Verwaltung generell moderner werden?
Volkers: Aus eingefahrenen Schienen herauszukommen, ist nie einfach. Deshalb ist es für uns nicht nur ein Digitalisierungsprojekt mit der Frage, wie wir unseren Bauantrag elektronisch bearbeiten können, sondern es geht im Prinzip auch darum, unsere Arbeitsweisen und zum Teil auch Haltung zu verändern. Ich muss dabei meine Mitarbeitenden mitnehmen, wovon der eine oder die andere auch Bedenken hat. Veränderungen bereiten Menschen immer mehr oder minder Sorgen.
Stoßen Sie mit der Neuausrichtung auf interne Widerstände?
Pahlitzsch: Da gibt es einen ganz gesunden Querschnitt. Meist sind diese Widerstände ja gar nicht negativ motiviert, sondern sorgengetrieben. Ich finde sie auch wichtig, weil sie Hürden und Herausforderungen, die da sind, aufzeigen. Denn das stromlinienförmig positive Denken führt nicht dazu, dass wir alles frühzeitig mitdenken. Es ist deshalb gut, wenn man das ganze Spektrum verschiedener Perspektiven hat.
Inwieweit wirkt sich die Digitalisierung denn auf die Unternehmenskultur aus?
Pahlitzsch: Ich glaube, die Umstellung passt ganz gut in unsere vorhandene Unternehmenskultur. Natürlich gibt es auf dem Papier eine Hierarchie, aber in der Praxis ist sie doch eher flach und sachorientiert – zudem arbeiten wir sehr kooperativ zusammen.
Was war bisher die größte Herausforderung im Prozess?
Pahlitzsch: Sicherlich die Komplexität. Bei uns hat sich die Salami-Taktik bewährt, also das Zerlegen eines Problems in kleinere Teile, die man bewältigen kann. Die Why Guys sind dabei nicht nur Treiber der Umstrukturierung, sondern sie denken auch mögliche Sorgen der Kolleginnen und Kollegen schon mit. Denn das ist zugegebenermaßen nicht unsere Kernkompetenz und da ist Unterstützung hilfreich.
Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung, um Prozesse zu beschleunigen?
Pahlitzsch: Wir haben momentan das Problem, dass wir auf ein Angebot für Schnittstellen warten, und das seit etwa einem Jahr. Wir scharren also mit den Hufen – und ironischerweise ist es die Wirtschaft, die diesmal nicht hinterherkommt, da sie die Komplexität unterschätzt hat.
Volkers: Digitalisierung unterstützt unseren kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Wir nehmen sie zum Anlass, Prozesse weiter zu vereinheitlichen und uns zu hinterfragen. Nur weil wir es immer schon so gemacht haben, muss das nicht der beste Weg sein. Teilweise führt das Nachdenken über Prozesse, die wir für die Digitalisierung aufbereiten und strukturieren müssen, dazu, dass wir noch etwas nachjustieren, weil wir glauben, dass es besser wird als vorher. Also eine Prozessoptimierung durch den Veränderungsprozess.
Bisher galt: Wer etwas von uns will, muss vorsprechen. Zeitgemäßer wäre jedoch: Wir gehen auf den Bürger zu. Müssten sich Verwaltungen heute mehr als Dienstleister begreifen?
Volkers: Zwischen dem, was wir wollen, und dem, was die Kunden wollen, besteht eine relativ große Schnittmenge. Wir alle wollen schnelle, fristgerechte Entscheidungen, wir wollen Klarheit, Transparenz und Rechtssicherheit, wir wollen eine Arbeitserleichterung und zeitgemäße Kommunikation. Die Erwartung ist ja, dass sofort eine Rückmeldung kommt, wenn man etwas abgeschickt hat. Das ist aber nicht die Realität, weil dahinter ein komplexer Arbeitsprozess steht. Das ist nicht vergleichbar mit einer Bestellung bei Amazon. Der sogenannte mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakt ist ein Prozess, der stark von der Qualität der eingereichten Unterlagen beeinflusst wird. Wenn wir einen vollständigen Antrag bekommen, bei dem es keine Nachfragen oder Korrekturen gibt, dann können wir diesen auch schnell abschließend bearbeiten.
Wo liegen bei Ihnen nach wie vor die größten Baustellen?
Volkers: Eigentlich erscheint die Digitalisierung einfach: Der Bürger übersendet einen Antrag, die Behörde prüft ihn und schickt das Ergebnis zurück. Aber dazwischen sind viele Schritte mit verschiedensten Akteuren, die man mit einbinden muss – das ist es, was die Geschwindigkeit hemmt. Das ist aber nicht unbedingt ein Digitalisierungsthema. Hinzu kommt die Thematik der rechtssicheren digitalen Authentifizierung. Da fragt man sich, warum kriegt Estland das hin? Dort haben sie mit dem Neuaufbau ihrer Verwaltung gleich das Prinzip „digital first“ eingeführt. Jeder Bürger hat dort eine offizielle E-Mail-Adresse, über die er mit der Verwaltung kommuniziert. Die Bevölkerung hat zudem eine digitale Mentalität und vertraut e-Lösungen, was die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zusätzlich begünstigt hat. Wir haben jetzt erst ein Servicekonto – ob und wie dieses angenommen wird, bleibt abzuwarten.
Wann wird die Verwaltung des Landkreises Wolfenbüttel vollständig digital abgebildet sein?
Pahlitzsch: Das hängt immer von den einzelnen Prozessen und Dienstleistungen ab. Verschiedene Terminsachen, Förderanträge oder Kfz-Anmeldungen funktionieren jetzt schon. Für das Bauamt haben wir das Ziel, dass die ersten digitalen Prozesse ab Ende März möglich sind.
Wie stellen Sie sich die Behörde der Zukunft vor?
Pahlitzsch: Wahrscheinlich bleibt das ortsunabhängige Arbeiten erhalten. Gleichwohl stelle ich mir weiterhin gemeinsame Anwesenheitszeiten vor, nur nicht als starres System. Es wird deutlich agiler und dynamischer sein – und selbstverständlicher in den Möglichkeiten. Denn mobiles Arbeiten ist nicht immer besser. Gerade der Austausch und Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen macht Spaß und funktioniert vor Ort schneller und besser, als wenn man erst eine Leitung aufbauen muss. Insofern denke ich an ein anderes Selbstverständnis im Nutzen der Möglichkeiten, bei der die persönliche Komponente hoffentlich nicht auf der Strecke bleibt.