Als VW-Konzernchef Oliver Blume von einem Journalisten gefragt wurde, ob ihm es nicht missfallen habe, dass er in der Überschrift eines Zeitungsporträts als „Anti-Visionär“ bezeichnet wurde, blieb der Top-Manager tiefenentspannt. Er sei halt ein Teamspieler, ein Dienstleister, antwortete Blume locker. Für ihn stünden der Konzern und dessen Produkte im Vordergrund, er habe einen engen Bezug zum operativen Geschäft.
Diese wenigen Sätze verdeutlichten den neuen Geist beim Autobauer, den Gegensatz zu Blumes Vorgänger Herbert Diess. Der verstand es stets, sich selbst stark zu vermarkten, bewusst und gezielt anzuecken und in den Vordergrund zu spielen. Eine Eigenschaft, die am Ende mit dazu beigetragen hat, dass Diess im vergangenen Sommer VW verlassen musste.
Nun war es Blume, der gemeinsam mit Konzern-Finanzvorstand Arno Antlitz in der Berliner VW-Repräsentanz das Konzernergebnis für das vergangene Jahr vorstellte und einen Ausblick auf die Strategie gab. Das tat er zwar zurückhaltender als Diess, aber nicht weniger gehaltvoll. Am Ende der Jahres-Pressekonferenz gewährte Blume sogar noch einen kurzen Blick hinter die Kulissen. Mit Diess verbinde ihn nach wie vor ein kollegiales Verhältnis, man treffe sich auf Veranstaltungen. Beratend tätig sei Diess aber nicht für VW.

Das war im Prinzip schon wenige Minuten nach Beginn der Veranstaltung klar. Blume berichtete, wie er im vergangenen September eine Bestandsaufnahme veranlasste, um zu sondieren, wo der Konzern steht. Blumes Erkenntnis: „Der VW-Konzern hat ein gutes Fundament.“ Allerdings seien „Renovierungs- und Umbauarbeiten“ erforderlich. Und wer fragt schon seinen Vormieter, wie er seine Wohnung neu gestalten soll? Für den Umbau hat Blume einen Zehn-Punkte-Plan aufgestellt. Der reicht von China bis Qualität, von Software bis Ladeinfrastruktur, vom Erschließen neuer, digitaler Mobilitäts- und Dienstleistungsgeschäftsfelder bis zur finanziellen Robustheit, von Plattformen bis zur Nachhaltigkeit. Quasi überall soll der Autobauer stärker, besser werden. Dafür gibt der Konzern einerseits sehr viel Geld aus. Blume bezifferte die Investitionen bis 2027 auf atemberaubende 180 Milliarden Euro. Davon sollen nach Angaben von Finanzvorstand Antlitz allein 15 Milliarden Euro in Sicherung von Rohstoffen für die Batteriefertigung sowie in die Batteriewerke Salzgitter, Valencia in Spanien und Kanada fließen. Erst einen Tag vor der Konferenz hatte das Unternehmen den Bau des Werks jenseits des Atlantiks bekanntgegeben.
Doch ist es mit dem Geldgeben allein nicht getan. Wie Blume betonte, hat jede Marke Zielvorgaben bekommen, die es einzuhalten gelte: etwa zu Fixkosten, Umsatzrendite, dem sogenannten Break Even – also dem Punkt, ab welchem Produktionsvolumen die Marke Geld verdient – und Cashflow. Dieses Vorgehen erinnert irgendwie an das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche. Ohnehin machte Blume deutlich, dass finanzielle Stärke künftig mehr denn je die Basis für wirtschaftlichen Erfolg sein müsse. Laut Antlitz muss sich der Konzern noch bis 2025 durch eine finanzielle Doppelbelastung kämpfen. Bis dahin sei das Investitionsvolumen für Verbrenner und Stromer hoch. Danach beginne eine Zeit des Erntens, gab sich Antlitz überzeugt. Soll wohl heißen: VW will dann mit Stromern so viel verdienen wie mit Verbrennern.
Auch wenn sich Blume in der Vergangenheit immer wieder für die Entwicklung sogenannter E-Fuels einsetzte und dies auch in Berlin tat: Der Konzernchef betonte, dass der E-Mobilität ohne jeden Zweifel die Zukunft gehöre. E-Fuels könnten aber einen Beitrag leisten, dass Verbrenner klimaverträglicher werden. Derzeit seien weltweit 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit Diesel- oder Benzinmotor auf den Straßen – Tendenz steigend. Da zähle jeder Prozentpunkt, sagte Blume. Die Einschätzung zur Bedeutung der Elektro-Mobilität untermauerte Antlitz. Zwei Drittel des 180-Euro-Milliarden-Volumens würden in E-Mobilität und Digitalisierung investiert. Lediglich noch ein Drittel in die wohl endende Verbrennerwelt. In diesem Jahr rechnet der Konzern laut Blume damit, dass jedes zehnte Konzernmodell als Stromer ausgeliefert wird. Bis 2025 erhöhe sich der Anteil auf 20 Prozent. Besonders rasant sei die Entwicklung – na, klar – in China. Im Reich der Mitte betrage der E-Auto-Anteil bereits 25 Prozent, 2025 oder 2026 könnten dort bereits mehr Stromer neu zugelassen werden als Verbrenner. Kein Wunder also, dass VW in China weiter um seine führende Rolle und Marktanteile kämpfen will. Das wird aber besonders im Elektro-Segment angesichts der chinesischen Konkurrenz sehr schwer. Mehr Entwicklung in und für China soll hier die Basis für eine Aufholjagd sein – natürlich angeschoben mit hohen Investitionen.
Gleichwohl richtet sich das Augenmerk der Wolfsburger Richtung USA. Mit Stromern und der eigentlich untergegangenen US-Marke Scout will VW dort Marktanteile gewinnen. Scout gilt als Pionier des Pick-up-Segments, das nach Angaben Blumes ein Drittel des US-Marktes besetzt. VW will der Marke neues Leben einhauchen und sie elektrifizieren. Und was ist mit der alten Welt und dem Stammsitz Wolfsburg? Der bekommt zwar von diesem Jahr an einen Teil der Produktion des rein elektrischen Mittelklassemodells ID.3. Das Prestigeprojekt Trinity, für den eigens ein Werk im Wolfsburger Stadtteil Warmenau errichtet werden sollte, wurde aber nach Blumes Amtsantritt auf Eis gelegt. Und das wird wohl erstmal so bleiben.
Wie Antlitz ausführte, ist noch keine finale Entscheidung getroffen. Es könne am Ende auch einen Umbau des Stammwerks geben, um dort den Trinity zu bauen. Dieser Eingriff wäre aber ebenfalls sehr teuer. Als Anspruch bleibe aber unabhängig von der Entscheidung das Ziel, „das Werk Wolfsburg absolut wettbewerbsfähig aufzustellen“, betonte Antlitz.