Werner Schilli ist im vergangenen Juli als Vorstand der Braunschweigischen Landessparkasse ausgeschieden. Er blickt mit uns zurück auf ein besonderes Berufsleben im Zeichen des roten „S“ und zufrieden voraus auf eine selbstbestimmte Zeit ohne Termindruck …
Unseren ersten Termin müssen wir kurzfristig noch einmal verschieben. Das liegt nicht am Kalender von Werner Schilli, der neuerdings eher luftig daherkommt, sondern an einer Veranstaltung beim Braunschweiger Golfklub. Jetzt, an diesem Dienstag-Vormittag sitzt der frühere Vorstand der Braunschweigischen Landessparkasse an einem Tisch im Restaurant Rudolf und erinnert sich. Zum Beispiel daran, wie er seine Eltern früher zum Gehaltszahltag in die Sparkassenfiliale in Essen begleitet. Dort wartet nämlich verlässlich ein großes Holzschaukelpferd auf den kleinen Werner.
Als nach der Realschule die Frage ansteht, wie es weitergehen soll, hat sich die Idee, Bankkaufmann zu werden, längst in seinem Kopf festgesetzt. „Ich kann gar nicht genau sagen wieso, ich hatte mich irgendwie darauf versteift.“ Also schreibt er Bewerbungen – an die Deutsche Bank, die Commerzbank. Er wird zu Gesprächen und Tests eingeladen. Ein zäher Prozess. Bei der Essener Sparkasse bietet ihm der Personalchef direkt beim ersten Kennenlernen einen Ausbildungsplatz an. Schilli unterschreibt. „Damals war eine Ausbildung zum Bankkaufmann etwas Besonderes, sehr angesehen.“ Nur sein Vater, selbst Kriminalbeamter, hadert. Er hätte seinen Sohn gern in den eigenen Fußstapfen gesehen.
Mit Werten in die Sparkassen-Elite
Die in der Kindheit aufgesogenen Familienwerte Zuverlässigkeit, Ordnung, Pünktlichkeit und eine gehörige Portion Pflichtbewusstsein ermöglichen Schilli aber nicht nur im Staatsdienst, sondern auch in der Bank eine Karriere, „obwohl ich das eigentlich nie vorgehabt habe.“ Nach der Ausbildung und dem Fachlehrgang zum Betriebswirt folgt das Lehrinstitut der Sparkasse in Bonn – damals die Kaderschmiede der Sparkasse. Dort bekommt Schilli eingetrichtert, dass er jetzt zur Elite gehört. „Man sagte uns, dies sei die Vorbereitung auf einen Vorstandsposten.“ Zu dieser Zeit fällt der Eiserne Vorhang. Ein historisches Großereignis, das am jungen Sparkassen-Mann fast ein wenig vorbeigeht. „Ich hatte keine Verwandten in der DDR und bin relativ weit von der Grenze entfernt aufgewachsen. Mir fehlte einfach die Beziehung zu diesem Teil von Deutschland“, erzählt er.
Das ändert sich schlagartig als Schilli Kolleg:innen von der Partnersparkasse in Frankfurt (Oder) schulen soll. „Wir saßen zu dritt in einem VW-Bus Richtung Osten und hatten alles dabei, sogar Kaffee. Denn wir wussten wirklich nicht, was uns erwartet.“ Er lacht. Noch zwei weitere Male fährt er nach Frankfurt und ist jedes Mal aufs Neue geschockt, wie wenig die neuen Kolleg:innen vom westlichen Finanzsystem verstehen. „Mir war klar, dass die Sparkasse voll gegen die Wand fahren würde, wenn die Deutsche Bank oder andere Institute ihre Leute aus dem Westen dorthin schicken und auf die Kunden loslassen würden.“
Vorstandschef mit 35
1991 bekommt er die Möglichkeit, diesen selbst prognostizierten Sparkassen-Crash zu verhindern. Man bietet ihm den Vorstandschefposten an der Oder an. Schilli, damals gerade einmal 35 Jahre alt, ist plötzlich am Drücker, aber umgeben von einem Team, das in der Planwirtschaft sozialisiert ist. „Kredite wurden in der DDR vom Amt genehmigt, nicht von der Bank – zum Beispiel bei der Heirat. Und mit jedem Kind sanken die Schulden. Man entkinderte sich.“ Noch heute schwingt in seinen Worten mit, wie fremd ihm diese politische Instrumentalisierung des Bankensystems gewesen sein muss.
Bedenken gibt es aber auch in die andere – in Schillis Richtung. So sind die Mitarbeiter:innen klar in zwei Lager geteilt: in eine Gruppe um den zweiten Vorstandskollegen, die der Meinung ist, dass man keine Hilfe aus dem Westen brauche. Vor allem viele der jüngeren und weiblichen Mitarbeiter:innen lernt der junge Bankvorstand dagegen als neugierig, wissbegierig und hochmotiviert kennen. Er setzt auf die dem Wandel gegenüber Aufgeschlossenen und zweifelt trotzdem irgendwann so stark an den Erfolgsaussichten der Mission Neustart, dass er nach Essen fährt und um Hilfe bittet. „Zurück kam ich mit einem Team erfahrener Kollegen, die das ganze Haus auf den Kopf stellten. Von da an, hatte ich das Gefühl, dass wir es schaffen können.“ Am Ende bleibt der gebürtige Ruhrpottler ganze zehn Jahre, bis man seinen Vertrag nicht mehr verlängert. „Damit habe ich lange Zeit gehadert. Vor allem, weil man mir keine Begründung geliefert hat und ich erst viel später erfahren habe, dass ich Opfer eines Ränkespiels war.“
Aufbau in Vilnius
Nach dem unerwarteten Aus in Frankfurt heuert er als Berater beim Deutschen sowie Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverband an. Schnell wird ihm damals klar, dass der Job nur eine Zwischenlösung ist. Er möchte Einfluss haben und Teil der Umsetzung sein. Ein Angebot der Nord/LB, Vorstand in Riga zu werden, lehnt er ab, weil seine Tochter im Internet recherchiert und auf Informationen über sauren Regen stößt. Sie will nicht umziehen, „damit war klar, dass wir nicht gehen.“ In dieser Aussage schwingt kein Zweifel mit, Schilli ist ein Mann mit klarem Kompass.
Das nimmt auch seine Umgebung wahr. So findet sich auf der Internetseite der Siemann Personalentwicklung aus Braunschweig ein Zitat, das viel über Schillis Selbstverständnis verrät: „Führung bedeutet: Verantwortung für Aufgaben und Menschen zu übernehmen und dabei Mensch zu bleiben.“ Ist das rückblickend immer gelungen? „Weitestgehend. Zu Beginn in Frankfurt gab es zugegeben nur eine Marschrichtung – und zwar meine. Wen hätte ich auch fragen sollen? In Braunschweig war es dann vor allem ein Gemeinschaftswerk.“
Ein weiter Weg in Braunschweig
Auf Litauen kann sich die Familie 2002 einigen. Wieder Vorstand, wieder Aufbruchstimmung und Neuorganisation: Aber das von der Norddeutschen Landesbank übernommene Landwirtschaftsfinanzinstitut in Vilnius ist eine der letzten Privatisierungen vor Ort. „Die Mitarbeitenden hatten schon ein Bild von dem, was auf sie zukommt. Und im Unterschied zur früheren DDR fehlte in Litauen der große Bruder BRD, der im Zweifel alles regelte.“ Die Menschen seien es also gewohnt gewesen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, sagt Schilli anerkennend und bestellt eine zweite Tasse Kaffee. „Während ich bis dahin immer dachte, dass man mit Geld nicht motivieren kann, habe ich hier erlebt, dass es eine Frage der Relation ist.“
Im November 2010 kehrt der Mann, der auf Gruppenbildern meist alle anderen überragt und trotzdem zu einem leisen Auftritt neigt, nach Deutschland zurück. Sie ahnen es bereits, an die Oker. Seine Position im Vorstand der Braunschweigischen Landessparkasse umfasst neben dem Privat- und Geschäftskundenbereich auch das Private Banking, das Immobilien- und das Versicherungsgeschäft. Nach den Aufbaujahren in Frankfurt (Oder) und Vilnius dürften damit ruhigere Zeiten begonnen haben, oder? „Naja, der Weg von der Nord-/LB zur Braunschweigischen Landessparkasse war damals noch ziemlich weit“, erinnert er sich. Doch genau darin, dass etwas noch nicht fertig ist, hätte für ihn immer der Reiz gelegen. „Ich wollte immer gestalten, dazu kam in Braunschweig eine sehr lebenswerte Stadt sowie ein attraktives Umland.“
„Das ist Freiheit“
Am 31. Juli letzten Jahres ist Schluss. Ein durchwachsener Tag in Braunschweig, Sonne und Regen wechseln sich ab. Werner Schilli verlässt die Unternehmenszentrale im Zentrum der Stadt und ist seitdem nie wieder im Büro gewesen. „In meinem Berufsleben war jeder nächste Abschnitt mit einem Neuanfang verbunden. Von Essen nach Frankfurt (Oder), dann ins Baltikum, daran habe ich mich gewöhnt.“
Bestärkt bei diesem harten Cut hat ihn ein Ehemaligentreffen des Lehrinstituts. „Es gab viele, die gesagt haben, dass man die Sparkasse schnell vergessen sollte, damit man dem Job nicht nachhängt. Neue Kontakte, neue Themen. Was nach einiger Zeit noch übrig bleibt, ist privat und hängt mit mir zusammen.“ Angst vor dem Bedeutungsverlust nach der aktiven Karriere verspürt der 68-Jährige nicht. „Mir war immer klar, dass viele Einladungen zu Abendterminen mit meiner Funktion zusammenhängen. Und ganz ehrlich: Wenn man das jahrelang hatte, reicht es auch irgendwann.“ Er lächelt und erzählt vom ersten Tag ohne Arbeit. Der habe sich ein bisschen wie Urlaub angefühlt. „Über die eigene Zeit wieder weitgehend selbstständig verfügen zu können, genieße ich gerade sehr. Das ist Freiheit. Früher war ich über Monate, Jahre im Voraus verplant.“
Neue Routinen zwischen Buch und Kurzpassspiel
In den ersten Wochen hat Schilli sich neue Routinen erarbeitet – er hat viel gelesen und engagiert sich weiter bei den Rotariern oder im Aufsichtsrat der Wiederaufbau und neuerdings im Hospizverein Wolfenbüttel. Hier bringt der „Aufbauhelfer“ Schilli nun als Vorstand für Finanzen ehrenamtlich seine Erfahrungen ein und arbeitet aktiv mit an der Errichtung des HospizZentrums in Wendessen. Außerdem stehen häufigere Besuche der Tochter in München an und er dreht öfter als früher seine Runden auf dem Golfplatz. Das Kurzpassspiel habe davon zuletzt profitiert, aber: „Meine Frau ist deutlich besser. Wir können zwar zusammenspielen, aber es ist manchmal schon frustrierend, wenn sie gemütlich über den Platz läuft und ich links und rechts in der Prärie meine Bälle suche.“ Wieder ein herzhaftes Lachen.
Der Privatier und Nützlichmacher – so bezeichnet sich Schilli heute bei LinkedIn – interessiert sich auch für Bildende Kunst oder Konzerte, besucht Museen und Galerien. „Der Berliner Impressionist Fred Thieler fasziniert mich besonders. Den würde ich mir ins Haus hängen, wenn ich es mir leisten könnte.“ Das steht übrigens in Wolfenbüttel und ist erst vor fünf Jahren altersgerecht neu gebaut worden, „damit wir nicht mehr umziehen müssen“. Der im Dienst der Sparkasse Vielgereiste ist angekommen und verspürt vor allem Dankbarkeit, wenn er auf die „wohl wichtigste Zeit“ in seinem Leben zurückblickt. Das spürt man. „Zugegeben, ich hätte gern bei einer selbstständigen Sparkasse aufgehört“, schiebt er mit einem Augenzwinkern nach. „Aber das hat mir dann doch zu lange gedauert …“