und
12. Juni 2023
Entscheider

Westermann-CEO: „Wir sind bereit und können liefern“

Medienmanager Sven Fischer, CEO der Westermann Gruppe, im Standort38-Titelinterview

Sven Fischer ist seit gut drei Jahren CEO der Westermann Gruppe. Foto: Holger Isermann

Eine Karte müsse richtig, schön und zweckmäßig sein, soll der Kartograph Carl Diercke einst gesagt haben. Mit seinen Plänen von der Welt möchte er Schüler:innen die Möglichkeit geben, sich Wissen auf eine leicht verständliche Weise, ästhetisch präsentiert anzueignen. Als 1883 der erste Diercke Weltatlas im Westermann Verlag erscheint, ist das ein Meilenstein, denn das Werk wird schnell zum Standard vieler Schulen und liegt noch heute in den meisten Klassenzimmern Deutschlands auf dem Pult.

Kein Wunder also, dass die in Braunschweig ansässige Verlagsgruppe mit wohl keinem Werk so sehr in Verbindung gebracht wird, wie mit jenem Atlas. Dabei reicht die Historie der Westermann Gruppe sogar bis ins Jahr 1838 zurück. Damals eröffnet der Buchhändler George Westermann eine Verlagsbuchhandlung in Braunschweig. Zu den ersten Artikeln zählen die Werke von Charles Dickens. Es folgen Geschichtswerke, Wörterbücher und Schulkartographie. 1845 wird eine eigene Druckerei aufgebaut und die Planung für den ersten verlagseigenen Schulatlas beginnt. Es soll acht Jahre dauern, bis dieser erscheint.

„Man muss sich das vor Augen führen: Damals haben Kartographen von Hand Zeichnungen angefertigt und diese koloriert“, sagt Sven Fischer, CEO der Westermann Verlagsgruppe, als wir auf dem Weg durch das Gebäude einige historische Aufnahmen passieren. „Das war eine unfassbar mühsame Arbeit.“ Inzwischen sei dieser Prozess selbstredend digitalisiert – ebenso wie das Gros der verfügbaren Bildungstitel. Das sind inzwischen eine ganze Menge: Rund 15.000 lieferbare Titel im Schulbereich und 10.000 weitere zählt Fischer. Zu jedem einzelnen gehört eine digitale Version.

Dass die Digitalisierung nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen wie einen wachsenden Markt an Mitbewerbern bedeutet, wird in unserem Gespräch schnell klar. Doch Fischer, der zuvor 16 Jahre bei Madsack in Hannover gearbeitet und Erfahrung mit der Transformation der Medienbranche hat, nimmt die Entwicklung gelassen. Angst, überholt zu werden, hat er nicht: „Dafür ist unsere Ausgangslage ganz gut.“ Neben Verlagen und Druckereien gehören heute auch eine eigene Logistik sowie ein Versandbuchhandel zu der Gruppe, die Teil der übergeordneten Medien Union ist.

Westermann CEO Sven Fischer im Interview. Foto: Holger Isermann

Herr Fischer, gibt es in Deutschland eigentlich noch Schulen, in denen der Diercke Weltatlas nicht auf dem Tisch liegt, wenn die Welt erkundet wird?
Ja, aber es sind wenige. Und mit der neuen Auflage, die gerade herauskommt, versuchen wir natürlich, auch noch diese Schulen für uns zu gewinnen.

Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Imageträger wie der Weltatlas oder auch der LÜK-Kasten für Sie?
Das sind schon sehr umsatzstarke Reihen, wenn man sie mit anderen vergleicht. Insgesamt haben wir aber schon ohne die digitalen Produkte rund 15.000 lieferbare Titel im Schulbereich und 10.000 weitere im Angebot. Da fallen zwei Produkte natürlich nicht so ins Gewicht.

Welchen Anteil Ihres Umsatzes machen Sie gegenwärtig gedruckt, welchen digital?
Wenn wir die Druckdienstleistungen für Kunden rausnehmen und nur das Verlagsgeschäft betrachten, fallen rund zwei Drittel unseres Geschäfts auf die Schule – und der absolut bestimmende Anteil davon ist Print-Umsatz.

Wollen Sie konkreter werden?
Nein, die genauen Zahlen würde ich ungern hier lesen (lacht).

Dann anders: Wie digital ist Westermann heute?
Wir haben unser gesamtes Angebot durchdigitalisiert, zu jedem Schulbuch gibt es eine digitale Version, und zwar nicht nur als eBook mit multimedialen Ergänzungen, sondern wir bieten auch ergänzendes Material für die Lehrkräfte. Wenn wir Inhalte neu produzieren, geschieht dies analog und digital aus einer Hand. Und dann gibt es natürlich noch reine Digitalthemen, dafür haben wir Spezialist:innen im Haus.

Wovon sprechen wir hier, interaktive Inhalte?
Zum Beispiel. Wir unterscheiden verschiedene Abstufungen der Digitalisierung. Es fängt mit dem eBook an, das mindestens den Vorteil hat, dass Sie kein Papier mehr in der Gegend herumtragen müssen. Dann gibt es interaktive Übungen, multimediale Inhalte bis hin zum Einsatz von KI, die erkennt, welche Inhalte zur aktuellen Leistungsfähigkeit eines Schülers passen und diese entsprechend vorschlägt.

Apropos – Angebote wie OpenAI-Bots erobern zunehmend den Markt. Was sind die Folgen und die Chancen, aber auch die Gefahren solcher KIs für das Bildungssystem?
Künstliche Intelligenz wird in der Schule sicherlich dazu führen, dass man andere Formen der Prüfung finden wird, weil man zum Beispiel nicht sicher sein kann, ob Hausarbeiten, die schriftlich zu Hause erstellt und in der Schule eingereicht werden, tatsächlich von den Schüler:innen geschrieben wurden. Vielleicht erleben wir auch einen Wettlauf von Programmen wie Chat GPT und Anbietern von Plagiats-Software.

Um das Thema Corona kommen wir nicht herum: Was hat die Pandemie für Sie bedeutet?
Ich war gerade acht Wochen hier, als es losging. Für uns war das eine große Herausforderung, denn die Mitarbeiter:innen waren vorher nur teilweise mit Notebooks ausgestattet. Es gab auch keine Remote Arbeit bei Westermann, aber alle haben mitgezogen. Und auch für unsere Zielgruppe, also die Schulen, hat Corona einen riesigen Digitalisierungsschub bedeutet. Man hat ad hoc Lösungen gesucht und das hat bei uns zu gigantischen Anfrage-Mengen im Support geführt, zu riesigen Zugriffszahlen auf die Server und auch zu steigenden Umsätzen in den digitalen Segmenten.

Können Sie uns Zahlen nennen?
Die Digitalumsätze sind während der Corona-Zeit ungefähr doppelt so stark gewachsen wie vorher.

Hat es Sie überrascht, wie überfordert das Schulsystem mit der Situation war?
Wir haben ja selbst im Unternehmen erfahren, wie schwierig es war, von heute auf morgen remote arbeitsfähig zu werden. Die Digitalisierung ist aber für viele Bereiche der Wirtschaft und Verwaltung eine Herausforderung. Insofern wäre es im Gegenteil völlig überraschend gewesen, wenn das für die Schule nicht gegolten hätte. Und ich muss sagen, dass ich es als extrem positiv empfunden habe, wie die Lehrkräfte sich reingehängt haben, um die Situation trotz der teilweise schlechten Infrastruktur zu meistern.

Die hat sich in vielen Schulen seitdem nicht merklich verbessert…
Es gibt es immer noch Grundschulen ohne W-Lan. Dort ist ein digitales Arbeiten schwierig. Wichtig ist mir: Die Lehrer:innen sind nicht das Problem!

Während der Pandemie hat man für die Pfleger geklatscht und auf die Lehrer geschimpft…
Genau. Was ist damals passiert? Natürlich, was Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte geleistet haben, ist aller Ehren wert und der Applaus absolut gerechtfertigt. Wenn Sie sich aber anschauen, wie die Öffentlichkeit mit den Lehrer:innen umgegangen ist, die natürlich nicht um das Leben von Menschen, aber um eine Unterrichtsversorgung ihrer Schüler gekämpft haben … die Rückmeldung darauf war zumindest nicht einhellig positiv.

Die Kritik an der technischen Überforderung des Systems Schule wurde zu einer an den Lehrkräften selbst …
Ja, und das war zum Teil schon unfair.

Unter den Lehrer:innen gibt es hohe Krankenstände und viel Frust über das System Schule. Kaputte Kopierer, anfälliges WLAN, viele Lehrkräfte haben sich längst daran gewöhnt Schulmaterial auf eigene Kosten zu kaufen. Wieso ist die Organisation des Schulbetriebs verglichen mit einem Unternehmen eigentlich so furchtbar unprofessionell?
Unser Eindruck ist auch, dass Lehrkräfte gegenwärtig extrem gefordert sind und unter den von Ihnen beschriebenen Phänomenen leiden. Aber es ist auch eine Frage von Wertschätzung. Wenn Sie als Lehrkraft hoch engagiert sind und weder aus der Elternschaft noch aus der Politik dafür wertgeschätzt werden, ist das manchmal noch demotivierender als fehlendes Geld.

Würden Sie Ihren Kindern eigentlich den Lehrerberuf empfehlen?
Ich bin mit einer Lehrerin verheiratet (lacht). Das ist ein toller Beruf, den Sie aber wirklich mögen und gerne machen müssen. Ohne Berufung wird es hart.

Sind Sie eigentlich ganz froh, dass die Politik die Digitalisierung verschleppt und Ihnen so mehr Zeit für die Transformation verschafft?
Verschleppt würde ich nicht sagen, aber mehr Zeit benötigen wir nicht. Wir sind bereit und können liefern.

Blick in die Druckerei im Jahr 1912. Foto: Westermann Gruppe

Wie sieht es mit außerschulischen Lernprodukten aus?
Hier bauen wir unsere Produktpalette noch aus. Das gilt auch für den Bereich Prüfungsvorbereitungen, wo wir mit gedruckten Inhalten gut vertreten sind, und diese jetzt nach und nach digitalisieren. Unser Prüfungsportal für die Berufsbildung wurde zum Beispiel im vergangenen Jahr komplett überarbeitet. Außerdem gibt es Wachstumschancen jenseits der deutschen Grenze – aber wir fokussieren uns trotz einer Tochterfirma in London weiter auf den deutschsprachigen Raum.

Wie stark investieren Sie in die Digitalisierung?
Wir investieren kräftig in unsere Digital-Redaktionen, in Technik und Entwickler:innen. Wichtig ist uns aber, dass wir relativ belastbar glauben zu erkennen, was gebraucht wird. Wir wollen nicht der große Innovator sein, der alles auf eine Karte setzt, sondern nah an unserer Zielgruppe konkrete Bedarfe ausmachen und Lösungen dafür entwickeln.

In diesem Jahr feiert der Diercke Weltatlass feiert seinen 140. Geburtstag. Zu diesem Anlass erscheint das Standardwerk in einer kompletten Neuauflage. Foto: Westermann Gruppe/Nils Hendrik Müller

Das klingt nach Evolution, nicht nach Disruption …
Genau. Wir sehen viele Chancen, wollen uns aber aus unserem Kerngeschäft heraus weiterentwickeln.

Verdienen Sie mit den digitalen Anstrengungen bereits Geld oder sind das vor allem Zukunftsinvestitionen?
Je nach Segment ist es noch Investition oder bereits laufendes Geschäft. Wir profitieren allerdings davon, dass wir die Erstellung der Inhalte, die der größte Kostenblock sind, über zwei Vertriebskanäle umlegen können.

Inwieweit hilft Ihnen der Schutzraum Schule gegen neue Mitbewerber?
Es gibt auch in unserer Branche neue digitale Anbieter, aber im Kern der Schule, beim Lehrwerk, bewegt sich der Markt noch in geordneten Bahnen.

Westermann, Cornelsen, Klett – wartet auf Sie und die beiden anderen marktbestimmenden Akteure schon heute ein Mitbewerber wie Tesla, den Sie vielleicht noch etwas belächeln?
Es gibt diese neuen Markteilnehmer. Ist ein Tesla dabei? Ich würde sagen momentan nicht. Nichtsdestotrotz belächeln wir niemanden, sondern beobachten den Markt genau und warten nicht darauf, von irgendjemandem überholt zu werden. Und dafür ist unsere Ausgangslage ganz gut.

Was macht Sie da so sicher?
Die entscheidende Frage in unserer Branche ist, was den Lehrkräften dabei hilft, ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag zu erfüllen. Und unsere Grundannahme ist, dass dies ein strukturiertes Lehrwerk ist – ob nun gedruckt oder digital. Das liefern wir genauso wie unsere traditionellen Mitbewerber. Die neuen Akteure liefern es nicht …

… sondern?
Insellösungen, die gut aussehen und sicherlich auch gekauft werden. Aber diese Produkte ermöglichen den Schulbetrieb nicht in einer vergleichbaren Art und Weise. Wenn wir wachsam und demütig sind, wird kein Tesla ins Schulgeschäft fahren – jedenfalls nicht an uns vorbei.

Wie ist denn Ihre Stellung unter den drei großen Schulbuchverlagen in Deutschland?
Wir sind einer der drei großen. Qualitativ natürlich ganz vorn (lacht), bei der Größenordnung des Schulbuchgeschäfts nimmt sich das nicht viel.

Das heißt auf dem Treppchen, aber nicht die Nummer eins?
Nach dem Ranking des Branchenmagazins Buchreport stehen wir in der Mitte, auf Platz zwei.

… aber haben vor, das zu ändern?
Na klar. Daran arbeiten wir jeden Tag.

Was ist Ihr Selbstverständnis: Reagieren Sie auf die Entwicklung in der Schule oder sind Sie selbst Treiber?
Zuallererst liefern wir das, was die Profis brauchen – und das sind die Lehrer:innen. Wir schreiben unsere Bücher nicht im stillen Kämmerlein, sondern arbeiten mit Autor:innen zusammen, die Praxiserfahrungen haben und überwiegend selbst im Schuldienst sind. Aber natürlich kommen wir aufgrund unserer Erfahrung auch immer wieder an Punkte, wo wir Raum für Innovation sehen. Und diese Impulse bringen wir ein.

Erwarten Sie eine Plattformisierung und die Entwicklung von Flatratelösungen, wie wir es aus der Musik- oder Filmbranche kennen?
Das beobachten wir schon, auch als eine Konsequenz der Corona-Zeit, in der sich Landesministerien entschieden haben, solche Angebote anzuschaffen. Das klassische Lehrwerk wird aber in den einzelnen Schulen angeschafft. Dort weiß man am besten, was das Umfeld und die eigene Schülerschaft braucht.

Sind Sie schon aus wirtschaftlichen Gründen ein Fan des Föderalismus und der damit verbundenen kleinteiligen Strukturen?
Das trägt natürlich zur Komplexität des Bildungsgeschehens in Deutschland bei, aber ich respektiere, dass Bildung Ländersache ist und wir können gut damit arbeiten. Insofern bin ich schon ein Fan …

… trotz aller gegenwärtigen Kritik an der Handlungsunfähigkeit der Bildungspolitik?
Bei bestimmten Themen – das sehen Sie ja an den Bundesinitiativen zur digitalen Ausstattung – geraten die Möglichkeiten der Länder an ihre Grenzen. Wir sind bei den Bildungsausgaben pro Schüler in Europa nicht vorn, sondern eher hinten dran. Das ist aber keine Absage an den Föderalismus, sondern eine Frage der Mittel.

Sie waren früher Finanzvorstand beim Hannoveraner Medienkonzern Madsack. Hat es Sie für den Job bei Westermann qualifiziert, dass Sie einen Erfahrungsvorsprung haben, weil Sie erlebt haben, welche Folgen die Digitalisierung für die Verlage hat?
Es gibt gewisse Fragestellungen im Zuge der Digitalisierung, die in allen Mediengattungen gleich sind. Und natürlich erkenne ich hier Muster wieder und kann die Herausforderungen klarer sortieren.

Haben Sie ein Beispiel?
Machen Sie digital und Print mit einem oder zwei unterschiedlichen Teams? Dazu gab es in den Verlagen unzählige Tests und Versuche und davon können wir profitieren.

Es gibt viel Kritik am Schulsystem, sei es bei der Vergabe von Schulnoten oder bei den vermittelten Lerninhalten. Zurecht?
Am Ende ist es nicht unser Job, das als Westermann zu beurteilen, denn wir stehen in einer Geschäftsbeziehung mit den Verantwortlichen. Aber man sollte sich hüten, das persönliche Erleben als Schüler oder Eltern zu verallgemeinern. Dazu sind die Umfelder, Ansätze und Strukturen einfach viel zu unterschiedlich. Und was die Konzepte angeht – das muss die Bildungspolitik ausdiskutieren. Natürlich auch vor dem Hintergrund von Pisa und anderen kritischen Ergebnissen. Daneben habe ich eine private Meinung …

Verraten Sie uns die?
Wir haben mit unseren Kindern im Bildungssystem gute Erfahrungen gemacht und es gibt keinen Anlass für eine Generalkritik.

„Wenn wir wachsam und demütig sind, wird kein Tesla ins Schulgeschäft fahren – jedenfalls nicht an uns vorbei.“ Foto: Holger Isermann

Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, schreiben Sie auf Ihrer Internetseite. Kommen wir dieser Aufgabe zu Genüge nach?
Grundsätzlich ja, zum Beispiel ist die Mitwirkung des Elternhauses sehr hilfreich für gelingende Bildung. Die Politik hat die Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Tun wir das? Wir probieren es, aber das System braucht meiner Meinung nach mehr Geld, vor allem für mehr Lehrkräfte.

Ist Bildungsgerechtigkeit eigentlich ein illusorisches Ziel oder kann sie auch gelingen?
Man wird sie nie zu 100 Prozent erreichen, aber deshalb sollten wir das Ziel nicht fallen lassen. Sie können wahrscheinlich jeden aktiven Politiker fragen, und er wird antworten, dass Bildungsgerechtigkeit auf seiner Agenda steht. Da sind wir wieder bei meiner vorigen Antwort. Gerechtigkeit braucht auch die dafür nötige finanzielle Ausstattung.

Lassen Sie uns über die Erosion des Wissensbegriffes sprechen. Früher einmal galt als gesichert, was zwischen zwei Buchdeckeln zu finden war. Das war zwar damals schon eine Illusion, aber immerhin konnte man sich gesellschaftlich darauf verständigen …
Richtig. Heute ist das Wissen der Welt zwar viel leichter zugänglich, aber dies bringt die Herausforderung mit sich, dass sie die Informationen im Internet hinterfragen und einordnen müssen. Es braucht dafür völlig neue Kompetenzen, aber wir sollten weiterhin darauf Wert legen, in der Schule auch gesichertes Wissen zu vermitteln.

Haben wir in der Folge unsere gesellschaftliche Konsensfähigkeit verloren? Während der Corona-Pandemie konnte man beobachten, dass immer mehr Menschen die Erkenntnisse der Wissenschaft schlichtweg bezweifelt haben …
Im Extrem führen die Zweifel in Richtung von Verschwörungstheorien, die keinen Diskurs mehr erlauben. Diese Menschen haben wir wahrscheinlich ein stückweit verloren. Wir sollten also zumindest zusehen, dass es nicht noch mehr werden.

Ist das etwas, was Ihnen Sorge bereitet?
Als Staatsbürger auf jeden Fall. Denn mit Verschwörungstheorien geht meist eine Ablehnung unseres politischen Systems einher. Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie.

Was ist mit der Euphorie gegenüber Vergesellschaftungstendenzen: Im Journalismus kamen die Leserreporter auf und einige dachten, dass die Menschen in der Freizeit Qualitätsjournalismus liefern würden. Im Bildungssektor wird seit einiger Zeit über Open Educational Resources diskutiert – rechtefreies Unterrichtsmaterial, das von Lehrkräften erstellt und kostenlos über das Netz zur Verfügung gestellt wird …
Es gibt diese Angebote und wer wären wir, wenn wir versuchen würden, dies einzuschränken. Ich habe keine Angst, dass wir daneben unseren Platz behalten werden. Denn was wir tun, ist sehr aufwendig. Wir beschäftigen Tausende von Autoren, unsere hochqualifizierten Mitarbeiter:innen, und halten eine große Infrastruktur bereit. Dafür brauchen wir aber auch eine wirtschaftliche Grundlage.

Sind Schulbuchverlage Ihrer Ansicht nach systemrelevant?
Nicht in dem Sinne, dass wir subventioniert werden wollen, das brauchen wir nicht. Aber damit wir als Nischenanbieter im Bildungsbereich unsere Produkte in hoher Qualität anbieten können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Tun sie das derzeit?
Sie sind okay, aber die knappe Budgetierung der Schulen hemmt natürlich auch uns und unsere Möglichkeiten.

Wie ist denn Ihr Verhältnis zu den politischen Entscheidungsträgern?
Wir haben uns als Bildungsmedienanbieter zusammengeschlossen und werden von unserem Verband bei Branchenthemen vertreten. Auf die Lehrpläne haben wir aber keinen Einfluss. Die nehmen wir, wie sie aus den Ministerien kommen und müssen damit klarkommen.

Im Journalismus gibt es immer wieder Kritik an der Tatsache, dass kaum noch Verleger an der Spitze der Unternehmen stehen, sondern vor allem Betriebswirte. Sind Sie bei Westermann der Mensch für die Zahlen?
Die Diskussion habe ich nie wirklich verstanden. Wenn Sie ein Unternehmen führen wollen, treffen Sie Entscheidung in der Regel auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten. Natürlich gibt es auch Bauchgefühl, aber man nähert sich doch über greifbare Informationen.

Können die Mitarbeiter:innen Ihr Herz denn auch mit Inhalten erwärmen oder nur über Zahlen?
Ich habe großen Respekt vor unseren Teams, die Bildungsmedieninhalte entwickeln, und bin immer wieder beeindruckt von den Ergebnissen. Das lässt mich absolut nicht kalt.

Wenn wir also pointiert Kopf oder Bauch fragen …
… sage ich auf jeden Fall Kopf, alles andere wäre gelogen (lacht).

Sind Sie gekommen, um zu bleiben?
Absolut. Natürlich können Sie auch ein paar Jahre im Kopf haben, Entscheidungen treffen, die kurzfristig gut wirken und dann weiterziehen, aber das ist nicht mein Ansatz und unser Geschäft ist außerdem sehr langfristig angelegt. Was wir heute entwickeln, können wir vielleicht in zehn Jahren hinsichtlich des Erfolges bewerten.

Anwälte werden im Privaten oft mit Rechtsfragen behelligt, Ärztinnen nach medizinischen Tipps gefragt – wie sieht das bei Ihnen aus?
Ich kenne naturgemäß durch meine Frau eine Menge Lehrer:innen und die diskutieren sehr häufig mit mir über unsere Produkte. Als ich noch bei Madsack war, wurde ich gern zur Zeitung befragt. Das ist auch in Ordnung so. Wer in meiner Position ist, muss sich auch verantworten können.

Sie pendeln aus Hannover nach Braunschweig. Ist das Anlass für Frotzeleien im Unternehmen?
Nicht wirklich, Braunschweig ist eine tolle Stadt, in der man sicher gut leben kann. Und die Befindlichkeiten stammen ja auch eher aus dem Sport …

Sind Sie 96-Fan?
Das wäre übertrieben. Ich gehe schon mal ins Stadion, aber als Fan würde ich mich nicht bezeichnen.

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Das ist relativ unspektakulär. Wir haben einen Hund und einen Garten. In guten Phasen laufe ich regelmäßig, aber gerade ist keine solche (lacht). Unsere drei Kinder sind mittlerweile erwachsen, da sind wir weniger eingespannt als früher.

Lesen Sie privat lieber gedruckt oder digital?
Die Zeitung gedruckt, Bücher allerdings digital. Einfach, weil es praktisch ist, mehrere Bücher dabei zu haben, zum Beispiel im Urlaub. Ja, ich lese wirklich recht viel …

Auch interessant