Seit rund fünf Jahren ist Babett Schrader selbstständig als Innenarchitektin und Ordnungscoach tätig. Gemeinsam mit der Architektin und Geschäftspartnerin Laura Bittner leitet sie das Planungsbüro Blivas im Nordharz. Neben privaten Auftraggebern zählen längst auch Unternehmen zu ihren Kunden. Dort möchte die 34-Jährige bewusst Impulse setzen, um Arbeitswelten von morgen zu gestalten. Im Interview erklärt Schrader den Kern modernen Arbeitens, warum die Unternehmenskultur entscheidend für ihre Entwürfe ist und wie man mit „Bewahrern“ umgehen sollte.
Vom zweckmäßigen Großraumbüro zur Freifläche mit Wohnzimmercharakter, Coffee Bar und Think Tank – unsere Arbeitswelten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Wie kommt es zu dieser Entwicklung?
Der Arbeits- wird zunehmend zum Erlebnisort. Vorreiter finden wir in den USA. Unternehmen wie Google und Facebook haben es vorgemacht und regelrechte Erlebnis-Landschaften errichtet. Dieser Hype schwappt jetzt in den europäischen Raum. Und spätestens seit der Möglichkeit des Homeoffice und mobilen Arbeitens fordern die Mitarbeitenden das auch ein Stück weit ein.
Treffen wir also auch in deutschen Unternehmen bald auf Kegelbahnen und Schaukeln?
So weit würde ich nicht gehen. Aber der Kern dieser neuen Arbeitswelten wird übernommen: Im Zentrum steht ganz klar die kommunikative Zusammenkunft, weniger das Für-sich-Arbeiten. In kreativen Räumen sollen Ideen sprudeln.
Wie gelingt das?
Bei dieser Frage müssen wir zwei Aspekte betrachten. Zunächst werden auf den Freiflächen einzelne Bereiche nach Funktionen untergliedert, die wiederum durch die Ausstattung gefördert werden. Vor einer Um- oder Neugestaltung sollte deshalb genau überlegt werden, wo Kommunikation aufkommen, wo welches Gefühl hervorgerufen werden soll. Es gibt Orte für den Austausch und Ruhezonen.
Wie werden die einzelnen Funktionsbereiche untergliedert?
Eine der simpelsten Möglichkeiten Räume optisch zu strukturieren sind sogenannte Akustikteppiche. Diese sorgen nicht nur für einen angenehmen Lärmpegel, sondern können beispielsweise in verschiedenen Farben und geometrischen Formen unterschiedliche Zonen und Laufwege kennzeichnen. Hinzu kommen Glaselemente. Ein beliebtes Mittel ist der gläserne Konferenzraum im Zentrum eines Arbeitsortes. Das ist bewusst platzierte Kommunikation.
Glas scheint nicht nur im Innen-, sondern auch im Außenraum ein maßgebendes Element moderner Arbeitswelten zu sein …
In der Architektur ist Glas ein stilistisches Mittel, denn es bietet viele Spielmöglichkeiten mit Formen und Reflexion. Glasfassaden wirken insbesondere im städtischen Raum luftig und suggerieren Weitblick. Geht die Sicht in die Natur kann das inspirierend sein. Im Inneren können Räume durch flexible Glas-Elemente variabel gestaltet werden und passen sich somit an die schnelllebige Zeit an, in der wir uns befinden. Aber nicht jedem Mitarbeitenden gefällt diese Transparenz. Denn während Mauern schützend wirken, vermittelt Glas schnell das Gefühl, beobachtet zu werden.
Der Raum ist strukturiert und einzelne Zonen stehen fest. Wie geht es weiter?
Jetzt kommt das Mobiliar ins Spiel. Die Ausstattung in modernen Büros zeichnet ein wohnlicher Charakter aus. Lounge- und Ohrensessel dienen als Rückzugsorte. Es gibt eine Kaffeebar, die vielmehr Café-Charme, denn Kantinen-Feeling verströmt. In sogenannten Think Tanks können sich eine bis vier Personen zurückziehen und Projekte besprechen. Wer zum Arbeiten Ruhe benötigt, setzt sich an einen Schreibtisch, der von Akustikpaneelen oder Mooswänden umgeben ist. Einer meiner Lieblingskniffe: Unter jedem Tisch einen zusätzlichen Hocker platzieren. So ist spontaner Austausch auf Augenhöhe möglich, ohne dass Bürostühle durch die Gegend gefahren werden müssen. Wichtig in sämtlichen Bereichen ist die Dynamik. Sitz-Steh-Kombinationen, wie höhenverstellbare Tische, sind dafür elementar. Niemand sollte in wortwörtlich starre Muster verfallen und die Pause irgendwo „absitzen“.
Warum ist das so wichtig?
Weil durch Bewegungsimpulse der gesamte Körper aus einer passiven in eine aktive Haltung gelangt. Das überträgt sich auch auf die kreativen Denk- und somit Arbeitsprozesse. Bevor ein Unternehmen aber überhaupt daran denkt, Arbeitswelten umzugestalten, ist ein Punkt entscheidend …
Welcher?
Wenn wir über Orte sprechen, müssen wir immer auch Arbeitsmodelle und die Menschen betrachten, die sich darin wohlfühlen sollen. Denn das Unternehmen soll ein Magnet für sämtliche Mitarbeitenden sein.
Was bedeutet das konkret für eure Arbeit?
Wir versuchen regelrecht in die Unternehmen einzutauchen. Wenn es uns gewährt wird, führen wir Interviews mit den Mitarbeitenden und Führungskräften. Häufig sprudeln die Ideen nur so und wir fassen daraus einen roten Faden. Natürlich hat der Auftraggeber das letzte Wort, aber durch diese Bestandsaufnahme und Grundlagenermittlung können wir Tendenzen herausbilden.

Welche Schlussfolgerungen zieht ihr daraus?
Es gibt Prozesse, in denen die Führungsebene bereits weiß, dass die Mitarbeitenden eigentlich noch nicht bereit sind für eine Umgestaltung. Wir dürfen den Generationenkonflikt nicht vergessen. Während flexibles Arbeiten für die Generation Z längst zur Normalität gehört, fällt älteren Generationen diese Art der Zusammenarbeit häufig schwerer.
Wie geht ihr damit um?
Aktuell sind moderne Arbeitswelten daher durch einen Mix gekennzeichnet: Den verhaltenen „Bewahrern“, die ihr altes Büro behalten wollen, lassen wir diese Räume. Das Schöne ist ja, dass kleinteilige Büros niemandem weh tun. Der kreative Raum entsteht dann vor deren Wänden und in gemeinsamen Konferenzen treffen beide Welten unweigerlich zusammen. So können wir dezidiert Impulse setzen, einen Flow in Gang bringen und das moderne Arbeiten fördern. Ein häufig kritisch betrachtetes Thema ist das sogenannte Desk-Sharing.
Weil mit dem fehlenden eigenen Schreibtisch vermeintlich eine persönliche Entfaltungsmöglichkeit schwindet?
Ganz genau. Dabei halte ich diese Lösung aus zwei Gründen für wertvoll …
Wir sind gespannt.
Zum einen kann durch Desk-Sharing Bürofläche eingespart und das wirtschaftliche Interesse eines Unternehmens berücksichtigt werden. Zum anderen ermöglicht es den Mitarbeitenden Flexibilität, denn mit dem Modell geht unweigerlich mobiles Arbeiten einher. Wer trotzdem Schwierigkeiten damit hat, dass das Familienbild vom Schreibtisch verschwindet, dem empfehle ich gerne sogenannte Power Tools.
Was meinst du damit?
Dabei handelt es sich um eine Methode aus der Marie Kondo-Lehre. Ein Power Tool für mehr persönliche Entfaltung am Arbeitsplatz kann beispielsweise ein Ordner auf dem Desktop sein, in dem wichtige Familienbilder gespeichert sind. So verzichte ich auf den haptischen Gegenstand und trage diese Dinge dennoch immer bei mir. Grundlegend wichtig ist eine attraktive Ausstattung, denn Mitarbeitende wechseln nur vom Homeoffice ins Desk-Sharing, wenn es für sie Sinn ergibt und ihre Bedarfe erfüllt. Damit kommen wir wieder zum Kern: Kommunikation mit den Mitarbeitenden ist das A und O.
Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur in den neuen Arbeitswelten? Verlangen offen gestaltete Räume beispielsweise mehr Rücksichtnahme?
Die prägt sich unweigerlich aus. Neue Arbeitswelten stehen und fallen mit der obersten Führungsebene. Wenn dort die innere Haltung offen ist, überträgt sich das Mindset. Coworking-Spaces allein werden es nicht bringen. Der Kopf formt das gesamte Unternehmen.
Lass uns noch einen Blick in Richtung Zukunft werfen: Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus?
In der VUCA-Welt ist alles möglich (lacht). Arbeitsmodelle und damit auch -welten werden sich unweigerlich noch weiter öffnen müssen, um den Herausforderungen und Rahmenbedingungen, wie steigende Energie- oder Unterhaltskosten, begegnen zu können. Ich gehe davon aus, dass Büroflächen in den kommenden Jahren weiter sterben werden. Gleichzeitig braucht es Orte, an denen Kommunikation und Teamwork stattfinden, wo sich Menschen begegnen. In den Pandemie-Jahren haben viele von uns die Vorzüge des Homeoffice zu schätzen gelernt. Die modernen Arbeitswelten sind eine Chance erneut zu lernen, wie viel man im Team erreichen kann.