und
2. Juni 2020
Entscheider

„Wir sind zwar groß, aber wir wahren Traditionen“

Katrin Steinecke, Geschäftsführerin der Meisterbäckerei Steinecke GmbH und Co. KG, im Interview

Katrin Steinecke ist 1989 „als junges Ding“ ins Unternehmen ihres Großvaters eingestiegen und steuert heute eine der größten Filialbäckereien Deutschlands durch die Corona-Krise. Im Titelinterview im beschaulichen Mariental sprach sie mit uns über den besten Bäcker im Ort, neue Produkte jenseits von Brot und Brötchen und den aktuellen Schrumpfungsprozess nach vielen Jahren des Wachstums ... Foto: Holger Isermann.

Man nehme Wasser und Mehl und vermische beides zu gleichen Teilen. Das Gemenge lasse man zugedeckt für 24 Stunden bei Raumtemperatur stehen. Anschließend füttere man den Ansatz alle 24 Stunden zu gleichen Teilen mit Mehl und Wasser an. Nach fünf Tagen ist der Prozess abgeschlossen. Das Ergebnis: ein klassischer Sauerteig, auf dessen Führung auch die Brotmeisterei Steinecke seit 75 Jahren setzt. Dort ist er Teil der hauseigenen Gebrote und steht damit unumstößlich fest.

„Wir sind zwar groß, aber wir wahren Traditionen, was uns mancher gar nicht zutraut“, sagt Katrin Steinecke, die seit 30 Jahren den Familienbetrieb leitet – anfangs noch gemeinsam mit ihrem Großvater und Gründer Erich Steinecke. In der Nachkriegszeit beweist dieser wahren Unternehmergeist und entwickelt ein Liefergeschäft mit Backwaren zu einem der größten Bäckereifilialisten Deutschlands. Jährlicher Umsatz: 200 Millionen Euro.

Knapp 900 Filialen zählte die Bäckermeisterei 2009. Seitdem befindet sie sich in einem Gesundschrumpfungsprozess, 29 Schließungen, 17 Neueröffnungen und 37 Umbauten sind in diesem Jahr geplant. Das sei letztendlich auch notwendig, um den Werten und dem Image eines Familienunternehmens gerecht zu werden, erzählt die 51-Jährige im Titelinterview in der Marientaler Unternehmenszentrale. Katrin Steinecke in einem Gespräch über schlecht kommunizierte Botschaften, Ostbrötchen und das Wildern in fremden Gefilden …

Katrin Steinecke mit ihrem Großvater und
Unternehmensgründer Erich Steinecke. Foto: Steinecke.

Frau Steinecke, am 28. Mai 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, gründete Ihr Großvater Erich Steinecke eine Dorfbäckerei in Groß Sisbeck. Wie sahen die Anfänge aus?
Mein Großvater war, so sagte er immer, zum Glück zum Kriegsende verwundet worden, sodass er nicht in Gefangenschaft musste. Vor dem Krieg hatte er eine Lehre gemacht und übernahm dann eine kleinere Bäckerei in Groß Sisbeck – das war der Anfang.

Wie schwer war es, damals an die nötigen Rohstoffe zu kommen?
Aus seinen Geschichten weiß ich, dass mein Großvater sich die Rohstoffe schon zusammensammeln musste. Von dem einen hat er Zucker und von dem anderen Mehl bekommen, das war in erster Linie ein Tauschgeschäft. Er hat auch mal erzählt, dass im Mittellandkanal zufällig ein Frachter mit Zuckersäcken lag – mehr oder weniger in offener Hand.

Wer waren damals die Kunden?
Früher haben oft die nächsten Anwohner Zutaten gebracht und der Bäcker hat daraus gebacken. Dann hat er die ersten kleinen Kaufmannsläden bedient. Unser Ursprung war das Liefergeschäft – vom Tante-Emma-Laden bis hin zum ersten Supermarkt. Das hat er nach und nach aufgebaut.

Woher kam die Idee, mehr aus der Dorfbäckerei zu machen?
Mein Großvater war ein disziplinierter, vorausschauender Mensch. Er wollte sich als Bäcker immer weiterentwickeln und vorwärtsgehen. Das war schon ein Stück weit klassisches Unternehmertum.

Wie ging es weiter?
Er ist erst innerhalb Sisbecks in eine größere Bäckerei und in den 50er-Jahren nach Mariental gezogen. Damals war das direktes Zonenrandgebiet und in 100 Metern Luftlinie stand der erste Grenzzaun. Das Gelände war ein ehemaliger Fliegerhorst mit einem alten Backsteingebäude, das er als Bäckerei umbauen konnte – aber die Zeiten waren nicht einfach.

Warum?
Ende der 60er-Jahre gab es einen enormen Preisverfall unter den Bäckern. Zu diesem Zeitpunkt belieferte mein Großvater auch Handelsketten wie Aldi und er musste sich irgendwann entscheiden, weil er dem Preisdruck nicht standhalten konnte. Dann entstanden die ersten Bäckereien in den Vorkassenzonen und er hat sich mit Handelshäusern wie Karstadt zusammengetan und dort Geschäfte eröffnet. Als in den 80er-Jahren eine Bäckereikette insolvent ging, konnte er mit einem Schlag die Läden in den Vorkassenzonen der Realmärkte übernehmen. So ging es immer weiter.

Was war Ihr Großvater für ein Mensch?
Er war gradlinig, zielstrebig und sehr direkt. Das war nicht immer einfach für die, mit denen er zu tun hatte, aber es gibt niemanden, der ein schlechtes Wort über ihn erzählt, wenn man heute nach ihm fragt. Man wusste immer genau, woran man ist, und wir waren sehr bodenständig. Das hat er weitergegeben und ich glaube, dass das eine unserer Stärken ist und uns heute noch ausmacht. Die Bäckerei war sein Leben und dafür ist er jeden Morgen aufgestanden und erst nach zwölf Stunden wieder nach Hause gegangen.

War er ein guter Bäcker?
Er war der beste im Ort und hat bis ins hohe Alter gearbeitet – als ich 1989 in das Unternehmen gekommen bin, war er schon 69. Da waren alle anderen eigentlich schon im Ruhestand und für ihn ging es nochmal von vorne los. Das lag auch daran, dass bei uns eine Generation gefehlt hat.

Können Sie das näher erläutern?
Meine Mutter hat zwar eine Bäckers- und Kaufmannslehre gemacht und in den Anfängen hier mitgearbeitet, dann aber meinen Vater kennengelernt und weggeheiratet. Das war natürlich ein Drama als einziges Kind. Aber mein Opa hat nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern weitergemacht.

In den 50er-Jahren zog das Unternehmen nach Mariental. Foto: Steinecke.

Wie sah Ihr Weg ins Unternehmen aus?
Ich sage es mal so: Wir sind drei Kinder und ich bin die Älteste. Mein Opa wusste schon, was er wollte und hatte die Hoffnung, dass einer von uns das Geschäft übernimmt. Eigentlich wollte ich zur Polizei, aber es gab damals viele Restriktionen, was Frauen und die Körpergröße angeht und ich war damals schon etwas klein. Es wurde also sowieso ziemlich knapp mit diesem Wunsch. Mein Opa schlug dann eine Bankenlehre vor. Das schien mir eine solide Grundlage und ich bin 1987 nach dem Abitur aus Hessen zu meinen Großeltern hier nach Mariental gezogen.

War das Ihre freie Entscheidung?
Ich wurde nicht gezwungen, das Geschäft weiterzuführen, das war meine Entscheidung. Es hätte ja auch sein können, dass es mit mir nicht klappt oder dass es mir keinen Spaß macht. Aber mein Opa hat sich natürlich bemüht, dass es mir hier gefällt (lacht). Eine Besonderheit gab es damals auch noch …

… ja?
Ich trug den Nachnamen meiner Mutter und hieß Schiller. Also kam mein Opa auf die Idee, mich zu adoptieren. Meine Eltern hatten damit kein Problem und – ich will nicht sagen, dass es mir egal war – aber ich dachte, dass das auf keinen Fall ein Nachteil ist.

1989 haben Sie Ihre Bankenlehre abgeschlossen und sind in den Bäckereibetrieb eingestiegen …
… und habe parallel dazu auch noch eine Bäckerlehre und meinen Meister gemacht, damit ich mitreden kann. Diese Freiheit hatte ich, denn mein Opa war damals Vollzeit da und hat das Geschäft geleitet.

Bis wann hat er das noch gemacht?
Bis 2005, da war er 85. Und wäre er nicht krank geworden, dann hätte er vielleicht auch noch zehn Jahre weitergearbeitet.

Wie gut hat die Zusammenarbeit zwischen Ihnen funktioniert?
Damals sind wir auch schon in Berlin vertreten gewesen und konnten unsere Bereiche aufteilen. Ich durfte selbstständig loslegen und auch Fehler machen. Da hat man sich natürlich auch die ein oder andere blutige Nase geholt, aber das war gut und wichtig so.

War es jemals ein Thema, dass eine junge Frau den erfahrenen Gründer abgelöst hat?
Man muss sich seinen Respekt schon erarbeiten, wenn man als junges Ding in ein Unternehmen kommt. Dass ich 100 Prozent Rückendeckung hatte, war natürlich Gold wert. Ich musste mich unter Beweis stellen und diese Möglichkeit hat mein Opa mir gegeben. Ihn haben die unterschiedlichen Geschlechter bei der Arbeit eigentlich nie interessiert. Ihm ging es immer um Qualität, Leistung und Zuverlässigkeit.

Zuletzt wurde die Auszubildenden-Filiale in Berlin mit einem optisch neuen Konzept eingerichtet. Foto: Steinecke.

Wie ist Steinecke heute aufgestellt?
Mein Mann ist seit 25 Jahren mit mir im Unternehmen. Ich koordiniere gemeinsam mit meinem Gesamtproduktionsleiter und meinem Gesamtverkaufsleiter die Produktion und den Vertrieb und stimme mich direkt mit den einzelnen Verwaltungsbereichen ab. Mein Mann leitet den Einkauf, das Marketing und unsere Bauprojekte. Insgesamt sind wir sehr schlank strukturiert.

Insgesamt drei Produktionsstätten gehören heute zu Steinecke: Mariental, Berlin und Bernburg …
Das ist historisch gewachsen. 1989 fiel die Mauer und es gab einen Großbrand hier in Mariental. Wir mussten unseren Hauptbetrieb erst wiederaufbauen und hatten nicht mehr die Lieferkapazitäten wie zuvor. Deshalb hat sich mein Opa auf die neuen Bundesländer konzentriert. Er hat dann einen Eis- und Konditoreibetrieb in Bernburg übernommen und als die Handelsgruppen, in deren Vorkassenzone wir bereits Geschäfte hatten, in die neuen Bundesländer gingen, waren wir als Partner mit dabei.In Berlin waren wir aufgrund des Liefergeschäfts schon vorher vertreten und hatten dort einen kleinen Betrieb. Insgesamt hatten wir etwa 60 Filialen.

Welche Bedeutung haben die einzelnen Standorte heute?
In Bernburg stellen wir einen Teil des Kuchensortimentes her. Die Brötchen backen wir wie überall direkt in den Filialen. Das Brot wird hier in Mariental gefertigt und dort hingeliefert. Berlin ist als Produktionsstätte selbstständig.

Herrschte nach der Grenzöffnung Goldgräberstimmung?
Es gab eine unglaubliche Euphorie und Begeisterung. Man hatte plötzlich neue Absatzmärkte und die ganze Achse Richtung Berlin öffnete sich uns auf diesem Weg. Man konnte Umsatz gar nicht verhindern. Die Leute waren hungrig auf unsere Produkte, die es vorher in der Vielfalt einfach nicht gab. Obwohl das ehemalige Ostbrötchen eigentlich ein super Brötchen war – zwar sehr klein, aber traditionell hergestellt. Daraus ist unser heutiges Ofenfrisches entstanden.

Bewahrte Tradition: Das Heidebrot wird auch heute noch per Hand geschnitten. Foto: Steinecke.

Können Sie das Wachstum damals beziffern?
Das war ein gewaltiger Sprung. 1999 lagen wir bei weit über 600 Filialen und 2009 waren es 883. Heute liegen wir bei 570 Filialen.

Sie haben einen enormen Schrumpfungsprozess hinter sich …
… weil sich der Markt extrem verändert hat. Früher war der Weg mit den Supermärkten der richtige. Irgendwann fingen diese aber selbst an zu backen. So entstand direkter Wettbewerb in den einzelnen Märkten.

Wie kann man sich das vorstellen? Sie sind ja auch in Kooperation mit den Supermarktketten gewachsen und hatten ein gutes Verhältnis …
Wir erfuhren von diesen Plänen erst ziemlich spät. Da hörte die partnerschaftliche Kommunikation auf, weil es natürlich Marktentscheidungen der Handelsketten waren. Frische Aufbackwaren waren ein neues Modell, um Kunden zu gewinnen. Einer unserer großen Partner hatte damit begonnen. Erst hieß es, „nur fünf Produkte – Bäcker, du brauchst keine Angst zu haben“. Wir wissen heute, dass das anders gekommen ist.

Können Sie sagen, wie viel Umsatz das die Bäckereien gekostet hat?
Das kam immer auf den Standort und die Kaufkraft an. In der Mehrheit hat man 30 bis 40 Prozent Umsatz verloren.

Wie sind Sie dieser Entwicklung begegnet?
Wir haben unser Sortiment verändert, der Snack-Bereich hat Fahrt aufgenommen. Das war etwas, was die Märkte nicht konnten. Dann haben sich die Bäcker immer mehr auf den Verzehr im Haus konzentriert. Man muss aber auch für sich entscheiden, inwieweit man sich von seinem Kernsortiment entfernen will. Wir werden nicht zu Köchen. Und dann ist es eben manchmal so, dass man sich gegen einen Standort entscheiden muss, weil man die Umsätze dort nicht mehr machen kann.

Im Mittelpunkt steht das Backen …
Brot, Brötchen, Kuchen sowie Snack und Heißgetränke zusammen. Das sind die vier Säulen, auf denen unser Umsatz steht. Jeweils ein Viertel ist es nicht ganz, weil Brötchen eine große Bedeutung gewonnen haben.

Können Sie etwas zum Jahresumsatz sagen?
Der liegt bei ungefähr 200 Millionen Euro.

In welchem Verhältnis stehen Standorte in Supermärkten zu Eigenfilialen heute?
Früher waren es etwa 80 Prozent Supermarkt- und 20 Prozent Eigenstandorte. Heute ist das knapp hälftig geteilt und unser Ziel ist es, das noch weiter auszubauen, weil wir so mehr Einfluss auf Öffnungszeiten und das Sortiment haben. Aber es ist nicht leicht zu expandieren.

Warum?
Es gibt mittlerweile sehr viele Verzehrmöglichkeiten. Der Wettbewerb ist vielschichtig geworden. Ganz am Anfang haben nur Supermärkte und Tankstellen in unserem Sortiment gewildert, dann kamen Coffeeshops dazu, Suppen-, Salat-, Bowl- und Porridgeläden.

Wie blicken Sie auf Unternehmen wie Backfactory?
Backwerk und Backfactory sind die beiden Vorreiter, die das sehr professionell machen. Sie agieren ganz eindeutig im Bäckersortiment und sind knallharte Wettbewerber, was Preisstrukturen angeht. Ich glaube aber, dass dort mittlerweile auch qualitativ gute Produkte verkauft werden.

Wie würden Sie heute das Wettbewerbsfeld skizzieren?
Früher haben wir vor allem die anderen Bäcker beobachtet, heute den ganzen Markt mit seiner Vielfalt an Verzehrkonzepten.

Welche Daseinsberechtigung hat Steinecke in diesem Markt?
Nehmen wir die Backstation: Dort wird in einer überwiegenden Zahl mit halbgebackenen Produkten gearbeitet, die eigentlich nur noch warm gemacht werden. Wenn man das gleich isst, macht das keinen großen Unterschied. Nach zwei, drei Stunden merkt man es aber schon.

Familie Steinecke: Ehemann Carsten Lackert, die Söhne Felix und Tom sowie Katrin Steinecke. Foto: Holger Isermann.

Wie produzieren Sie?
Wir stellen alle unsere Teiglinge selbst her, unterbrechen den Prozess dann und frieren, damit wir die Teigstücke frisch ausliefern können. Das hat den Nachteil, dass wir in der Filiale nicht schnell backen können. Nach dem Auftauen werden die Brötchen mit unterschiedlichen Saatenmischungen bestreut, müssen ruhen, garen und werden anschließend auf Steinplatten gebacken. Das dauert dann bis zu zweieinhalb Stunden. Wenn wir sagen, wir backen den ganzen Tag über frische Brötchen, unterscheiden wir uns daher aus unserer Sicht ganz klar in der Qualität. Jedes Brötchen, das der Kunde morgens bekommt, kann nicht älter als zwei Stunden sein.

Wie würden Passanten auf der Straße Steinecke in drei Worten beschreiben?
Gutes Brot wird hoffentlich eine große Rolle spielen, frische Brötchen und eine große Auswahl an wechselnden Kuchensortimenten. Die Vielfalt ist einer unserer Pluspunkte. Insgesamt ist es natürlich auch immer eine Geschmacksfrage. Ich glaube, dass alle Bäcker, die heute am Markt bestehen können, ihre eigenen Qualitäten haben müssen.

Sie haben auch glutenfreie, vegane und laktosefreie Backwaren im Angebot. Welche Bedeutung haben diese wirtschaftlich?
Das ist kein wirklicher Markt für uns, ich sehe es eher als Service für diejenigen, die vielleicht jemanden in der Familie haben, der betroffen ist, und die dann nicht zu einem anderen Bäcker gehen müssen.

Sie setzen außerdem auf klimaneutrale Papiertüten und Mehrwegbecher …
Wir versuchen Plastik zu eliminieren, wo es geht, und verwenden zukünftig Papiertüten statt Schnittbrotbeutel. Man muss aber wissen, dass das Brot in diesen nicht so lange frisch bleibt. Und alle reden über Mehrwegbecher, aber ich kann Ihnen sagen, dass nicht einmal 20 Prozent sie nutzen. Können wir uns also trauen, von heute auf morgen keinen Pappbecher mehr anzubieten? Das wäre sehr mutig …

Die Deutsche Brotkultur ist sogar als nationales Kulturerbe anerkannt. Glauben Sie, dass die Bedeutung für die Menschen gegenwärtig eher ab- oder zunimmt?
Ich glaube, dass die Menschen die Vielfalt insgesamt sehr zu schätzen wissen. Und dass Qualität und die Rohstoffwahl immer mehr an Bedeutung gewinnen. In den letzten Jahren ist ein gewisses Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Tierwohl entstanden. Leider will der Verbraucher aber einen höheren Standard zu niedrigen Preisen.

Wie glauben Sie blickt ein Dorfbäcker auf große Unternehmen wie das Ihre?
Ich denke, dass die, die uns persönlich kennen, kein Problem mit uns haben. Wir haben nie Preise nach unten geschraubt, um es Wettbewerbern schwerer zu machen. Und nicht selten schauen wir neidisch auf die alteingesessenen Bäcker vor Ort, die ihre Nische und einen wunderbaren Standort gefunden haben.

Gerhard Bosselmann aus Hannover hat mit einem emotionalen Video auf die Folgen der Corona-Krise für seine Bäckerei-Kette hingewiesen. Was denken Sie über seinen Schritt?
Ich bin grundsätzlich nicht so ein medienaffiner Mensch. Deswegen kam eine solche Positionierung für mich nicht in Frage. Für Herrn Bosselmann war es ein gelungener Schritt und ich habe es ihm von Herzen gegönnt.

Das Motiv der aktuellen Respekt-Kampagne, mit der Familie Steinecke den Mitarbeitern für ihre Arbeit und ihr Engagement dankt. Foto: Steinecke.

Was bedeutet die Pandemie für Ihr Unternehmen?
Corona ist eine Katastrophe und für jemanden wie Herrn Bosselmann auch eine noch größere als für uns, weil er fast nur eigene Standorte hat. Nichtsdestotrotz haben wir im April 30 Prozent Umsatz verloren. Uns fehlen die Tageseinnahmen, um liquide zu bleiben. Wir sind zum Glück ein sehr solide aufgestelltes Unternehmen, haben Reserven und auch keine Bankenabhängigkeit.

Können Sie das konkretisieren?
7,5 Millionen haben uns in der zweiten Märzhälfte und im April an Einnahmen gefehlt. Im Moment retten uns die Supermärkte. In den Einzelstandorten und Bahnhöfen fehlen uns bis zu 80 Prozent unseres Umsatzes.

Wie existenziell ist die Krise?
Ein halbes Jahr würden wir es auf diesem Niveau nicht aushalten, ohne uns Gedanken zu machen, wo wir uns Geld besorgen können. Unverschuldet jahrzehntelang hart erarbeitetes Geld so zu verlieren, ist natürlich eine Katastrophe.

Ärgert Sie das?
Natürlich. Ich gönne wirklich jedem Betrieb die Zuschüsse, die er bekommt – aber es hört leider wieder ab einer gewissen Betriebsgröße auf und dann kann man nur noch stunden. Aber das ist nur eine verschobene Pleite, denn wir werden keinen einzigen Euro Umsatz nachholen.

Ist das die bisher größte Herausforderung für Ihr Unternehmen?
Ganz sicher. Neben unserem Brand 1989, der auf andere Art und Weise eine besondere Herausforderung war.

Halten Sie die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie für sinnvoll?
Ich maße mir gar nicht an, das beurteilen zu können. Was ich aber kritisiere, ist die Unterschiedlichkeit, die durch unseren Föderalismus hervorgerufen wird. Gerade für Unternehmen, die in mehreren Bundesländern unterwegs sind, ist es wirklich schwer, sich durch diese Informationen zu wühlen.

Haben Sie ein Beispiel für uns?
Zum Beispiel die Maske. Maskenpflicht war in Sachsen am ersten Tag verpflichtend für alle, auch für die Verkäuferinnen – in Niedersachsen gab es keine Maskenpflicht für Verkäuferinnen, aber in Wolfsburg wiederum schon. Das haben wir nicht verstanden und die Kunden natürlich auch nicht.

Als Folge der Krise sind Konzentrationsprozesse wahrscheinlich. Sehen Sie darin Wachstumschancen für Steinecke?
Ich kann mir schon vorstellen, dass so ein Effekt eintritt. Am Ende muss man aber auch erstmal das nötige Kleingeld haben, um überhaupt Filialen eröffnen zu können. Ich muss gestehen, im Moment sehe ich Vorteile in sehr weiter Ferne, weil ich glaube, dass wir mit uns selbst viel zu tun haben
werden.

Was kostet es heutzutage, eine Filiale auszustatten und zu eröffnen?
Das kommt auf die Größe an, aber 250.000 Euro sind locker weg. Wir mieten die Filialen, aber in der Regel muss man fast vollständig selbst einrichten.

Sind steigende Mietpreise ein Thema für Sie?
Ja, gerade in den Städten. Die hochfrequentierten Lagen sind für uns als Bäcker kaum machbar.

Verkaufen Sie nur über eigene Filialen?
Das Liefergeschäft ist komplett weggefallen. Von der Produktion über den Fuhrpark und den Verkauf in den Filialen halten wir die Prozessketten in eigener Hand.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Über 4.000. Vielleicht ist das ein positiver Effekt der Corona-Zeit, wenn man das überhaupt so sagen darf, dass der Arbeitsmarkt – so schlimm es für die einen ist – sich für uns wieder etwas öffnet. Denn es war zuletzt wirklich schwer, überhaupt Mitarbeiter zu finden. Auf diesen positiven Effekt hätte ich aber gern verzichtet.

Wie attraktiv ist das Bäckerhandwerk denn heute noch?
Dem Beruf des Bäckers hat es gutgetan, dass er sich der Technik gegenüber geöffnet hat. So kann man auch immer mehr Tätigkeiten in die Tagstunden legen. Schwierig aufgrund der Arbeitszeiten ist es aber auch, Mitarbeiter für den Verkauf zu finden. Für mich gibt es keinen Grund, bis abends um zehn Uhr einen Supermarkt geöffnet zu haben, und wir kämpfen hart dafür, diese Zeiten vorzuverlegen.

Was sind Sie für eine Chefin?
Ich glaube, dass ich direkt und verlässlich bin. Zusagen von meiner Seite werden eingehalten und wenn sie nicht eingehalten werden, sage ich warum. Und ich kann mich entschuldigen. Ich glaube, dass ich trotzdem auch eine ganze Menge Fehler habe, die mir aber selten jemand sagt – es ist das Schicksal eines Chefs, dass Feedback oft nicht direkt erfolgt (lacht).

Würden Sie es sich anders wünschen?
Ja, sehr. Das sage ich auch allen, zum Beispiel, wenn neue Mitarbeiter bei uns anfangen. Immer wenn ich kann, komme ich zu diesen Runden dazu und sage Hallo, damit man das Gesicht zu dem Namen sieht.

Apropos Gesicht zu dem Namen: Werden Ihre Söhne das Geschäft weiterführen?
Ich werde keinen von ihnen dazu drängen, würde mich aber natürlich freuen, wenn es so wäre. Unser einer Sohn studiert BWL und hat großes Interesse am Unternehmen. Das könnte ich mir sehr gut vorstellen. Ich wäre froh, wenn er erst noch Auslandserfahrung sammelt. Das war etwas, was ich damals leider nicht gemacht habe, weil wir immer dachten, dass Opa schon so alt ist und ich mich beeilen muss, um noch möglichst viel von ihm zu lernen. Hätte ich gewusst, dass er bis 2005 so fit ist, wäre ich natürlich auch noch mal woanders hingegangen (lacht). Der andere Sohn ist noch in der Findungsphase und studiert gerade Sport und Philosophie auf Lehramt. Eigentlich eine ganz andere Richtung, aber ich glaube, er hat sich auch noch nicht so richtig entschieden.

Wollen Sie wie Ihr Großvater bis ins hohe Alter im Unternehmen bleiben?
Ein konkretes Ausstiegsszenario gibt es noch nicht, aber ich glaube, je eher ich mich zurückziehen könnte, umso schöner fänd ich‘s. Obwohl ich aktuell auch nicht weiß, was ich dann den ganzen Tag machen würde. Im Moment ist die Arbeit mein Hobby (lacht).

Haben Sie eine Vision für das Unternehmen? Wird der Gesundschrumpfungsprozess weitergehen?
Ich glaube, dass wir einen Großteil dieser Phase hinter uns haben. Wir haben im Laufe der letzten zehn Jahre 30 Prozent unserer Filialen geschlossen. Ich habe aber auch gar nichts dagegen, wenn die Schrumpfung noch ein Stück weitergeht.

„Man muss sich seinen
Respekt schon erarbeiten,
wenn man als junges Ding
in ein Unternehmen kommt.“ Foto: Holger Isermann.

Gibt es eine Zielgröße?
Ich kann im Moment noch nicht einschätzen, ob es am Ende 500, 250 oder 300 sind. Unser Ziel sollte es sein, eine Größe zu finden, bei der die Produktionskapazitäten und Auslastung zu unseren Werten und dem Image passen, das wir vermitteln wollen.

Welches Image ist das?
Wenn im Fernsehen Tests gemacht werden, sind wir immer eine dieser großen Bäckereiketten. Das ist etwas, was mich – entschuldigen Sie die Ausdrucksweise – brutal annervt.
Die Leute kennen uns nicht, machen aber anhand einer Filialzahl konzeptionelle Hintergründe fest. Andererseits haben wir uns das aber selbst auf die Fahnen zu schreiben, weil wir unsere Botschaft scheinbar nicht gut genug kommunizieren.

Die lautet: Wir sind zwar groß, aber wir backen nicht so?
Wir sind zwar groß, aber wir wahren Traditionen, was uns mancher gar nicht zutraut. Die denken, wir machen alles aus der Tüte oder kaufen unsere Teiglinge irgendwo in Asien.

Backen Sie in Ihrer Freizeit?
Ab und zu mal einen Crumble, aber sonst nichts (lacht).

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Viel Zeit bleibt nicht. Ich arbeite aber auch wirklich sehr gern und bin den ganzen Tag im Unternehmen, fange morgens um sechs an und gehe in der Regel nicht vor sieben, halb acht nachhause.
Wenn es klappt, laufe ich mal eine Runde, aber ich bin dann eher ein Genussläufer, um 20 Minuten frische Luft zu schnappen. Und ich freue mich, wenn ich sonntags ein schönes Frühstück mit der Familie genießen kann.

Auch interessant