15. Oktober 2018
Impulse

900 Jahre Wolfenbüttel

Wo Lessing einst lebte und Casanova liebte

Foto: Stephanie Link

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Welfenstadt, Provinzialstadt, Lessingstadt, Kreisstadt. Rund 600 geschützte Fachwerkhäuser, umflossen von zwei Armen der Oker – zwischen Harz und Heide. Hier wurde Pressegeschichte geschrieben. Denn der 1609 erschienene Aviso gilt als eine der ersten gedruckten deutschen Wochenzeitungen. Im 19. Jahrhundert fuhr die erste deutsche Staatseisenbahn von Braunschweig nach Wolfenbüttel. Heute führt der 6.000 Kilometer lange Fernwanderweg E1 vom Nordkap nach Sizilien durch die Stadt, die Geschichte geschrieben hat. Weltbekannt für ihren Kräuterlikör Jägermeister und das Evangeliar Heinrichs des Löwen sowie Mathildes von England, der Schwester von Richard Löwenherz.

Bereits im Jahr 1118 wurde die Wasserburg Wulferesbutle erstmals urkundlich in den Archiven des Stifts Steterburg erwähnt. Der Name setzt sich aus ‚Wulferus‘, dem ersten Wolfenbütteler Siedler und dem Suffix ‚-butle‘ zusammen, das Siedlung bedeutet. Auf dem Gebiet der mittelalterlichen Burg steht heute Wolfenbüttels Wahrzeichen – das Schloss. Über drei Jahrhunderte residierten dort die Herzöge zu Braunschweig-Lüneburg. Das Schloss war nicht nur Residenz, sondern auch Kern und Ausgangspunkt der weiteren Stadtentwicklung. Dafür beauftragten die Welfen Baumeister und Stadtplaner und entwickelten die erste nach Plan gebaute Renaissance-Stadt Deutschlands. 1715 erhielt das Schloss seine heutige barocke Fachwerkfassade.

Und dann ist da noch das achte Weltwunder des 17. Jahrhunderts – die Herzog August Bibliothek. Im Jahr 1572 erließ der Herzog Julius zu Braunschweig-Lüneburg für seine private Buchsammlung eine Liberey-Ordnung, die als Gründungsurkunde der Bibliotheca Julia gilt. Ihren heutigen Namen verdankt die Bibliothek Herzog August dem Jüngeren, der der Bibliothek 1634 seine umfangreiche Buchsammlung zuführte. Mit gut 35.000 Bänden und 135.000 Titeln galt die Bibliothek fortan als größte der Welt und wurde als achtes Weltwunder bezeichnet. Viele Gelehrte, darunter Voltaire, Mirabeau und Mendelssohn, besuchten die Wolfenbütteler Bibliothek im Laufe der Zeit. Nicht zu vergessen der Schriftsteller, Lebemann und wohl berühmteste Frauenheld: Giacomo Casanova. Acht Tage soll er in der Welfenstadt verbracht haben. Es seien die glücklichsten Tage seines Lebens gewesen, habe Casanova später einmal gesagt. 1691 lockte die Bibliothek den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz nach Wolfenbüttel.

Foto: Stephanie Link
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Als erster Bibliothekar ließ er alphabetische Kataloge anlegen und einen Neubau der Bibliothek errichten. 1770 kam schließlich Gotthold Ephraim Lessing nach Wolfenbüttel. Mit keinem anderen Namen wird die Stadt mehr in Verbindung gesetzt. Bis zu seinem Tod 1781 leitete er die Herzog August Bibliothek. Dort schrieb er „Emilia Galotti“ und seinen „Nathan den Weisen“. Lessings zeitlose Ringparabel appelliert für ein friedliches und tolerantes Miteinander der Religionen, Kulturen und Menschen. Heute forschen Persönlichkeiten wie der amerikanische Historiker Anthony Grafton in der Bibliotheca Augusta. Rund eine Million Medieneinheiten umfasst die Bibliothekssammlung mittlerweile; darunter 450.000 Werke, die vor 1830 erschienen sind.

Doch die Bibliothek ist mehr als ein Ort des Sammelns, Konservierens und Forschens. Sie beherbergt ein Museum, organisiert Veranstaltungen, öffentliche Ausstellungen und bietet Seminare an. Für 10,5 Millionen Euro soll jetzt ein neues Servicegebäude entstehen, dass den Altbau mit dem Magazin verbindet. Insbesondere technische Dienste, die sich mit der Digitalisierung und Restaurierung der Buchsammlung befassen, werden dort einziehen. Anschließend soll der Altbau saniert und teilweise umgebaut werden, um ein repräsentatives „Zentrum Altes Buch“ zu schaffen. Damit trägt die Bibliothek den Wunsch der Welfen weiter, Wolfenbüttel zu einem Zentrum des Geisteslebens zu machen.

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