10. September 2018
Impulse

„Das Chassis sagt nichts über das Innenleben aus“

In den 80er Jahren gehörte er zu den besten Sprintern Deutschlands. Heute lehrt und forscht Prof. Dr. Ingo Froböse an der Deutschen Sporthochschule Köln. Wir sprachen mit dem renommierten Wissenschaftler und Autor über ein Arbeitsleben im Tunnel, Gladiatoren als falsche Vorbilder und einen Ferrari, in dem ein Trabbi-Motor tuckert...

Ingo Froböse. Foto: Sebastian Bahr

Ingo Froböse. Foto: Sebastian Bahr

In den 80er Jahren gehörte er zu den besten Sprintern Deutschlands. Heute lehrt und forscht Prof. Dr. Ingo Froböse an der Deutschen Sporthochschule Köln. Wir sprachen mit dem renommierten Wissenschaftler und Autor über ein Arbeitsleben im Tunnel, Gladiatoren als falsche Vorbilder und einen Ferrari, in dem ein Trabbi-Motor tuckert…

Sitzen, unregelmäßig und ungesund essen, Stress. Würden Sie Menschen unter medizinischen Gesichtspunkten raten, Führungskraft zu werden?

Führung beinhaltet eigentlich ja ganz viel Selbstführung, aber das lernen wir in der Regel nicht, sondern nur das Fremdführen anderer. Das ist ein grundsätzliches Manko in der Ausbildung und Sozialisation von Managern. Ich würde raten: Werdet Führungskraft, aber übernehmt auch Verantwortung für euch selbst.

Gerade dieser notwendige Blick auf das eigene „Ich“ geht im Tunnel der Aufgaben und Herausforderungen leicht verloren …

Ja, natürlich. Das sehen wir auch bei unseren Spitzensportlern, die alles einem Ziel unterordnen. Grundsätzlich finde ich es ja erst einmal gut, wenn jemand Ziele hat, aber wir brauchen auch Unterstützung bei der Selbstorganisation. Der frühere Ford-Chef Lee Iacocca hat einmal gesagt: „Wir verwalten Milliarden und haben hunderttausende Mitarbeiter, aber schaffen es nicht, uns eine Woche Urlaub zu organisieren.“ Da ist etwas faul …

Was genau?

Wir haben in unserer Gesellschaft kein Belastungs-, sondern ein Regenerationsproblem. Und das ist auch die wichtigste Aufgabe eines jeden Menschen – zu regenerieren. Bei unserem Smartphone sind wir doch auch daran gewöhnt – jeden Abend geht es an die Steckdose.

Andererseits hat sich das Managerbild zumindest in den Medien drastisch gewandelt. Während wer etwas zu sagen hatte, früher eher Genussmensch war – übergewichtig, mit Kognak und Zigarre in der Hand – leben Manager heute scheinbar abstinent, sind drahtig und laufen Marathon …

Das ist genauso ein Fehlverhalten, weil der Leistungsgedanke so auch noch in die Freizeit übertragen wird. Ich freue mich über drahtige Führungskräfte, aber es darf nicht das Maß verloren gehen. Die Dosis macht das Gift. Die meisten Menschen, die mich überholen, machen alles falsch (lacht). Denn ich bin sehr gut trainiert.

Dabei gilt Marathon als idealer Managersport …

Das ist ein völlig falsches Signal. Ein Marathon ist für niemanden ein idealer Sport, weil er eine Belastung mit sich bringt, die einem Organismus eigentlich nicht gut tut. Spitzenmarathonläufer sind lediglich in der Lage, an einer bis zwei Veranstaltungen pro Jahr auf hohem Niveau teilzunehmen. Ich habe viele Menschen hier sitzen, die nach einem Marathon so viele Entzündungsparameter im Körper tragen, dass sie Herzinfarktpatienten ähneln.

Sie sagen, viele Sport-Konzepte kommen aus dem Spitzensport, und da sollten sie auch bleiben. Wie kommt es dann dazu, dass sich genau diese Konzepte als Trends ausbreiten?

Wir haben einfach die falschen Leitbilder, nämlich die Gladiatoren auf den Fernsehbildschirmen. Das sind Profisportler und bei ihnen geht es immer um eine Grenzverschiebung hin zum eigentlich Unmöglichen. Das hat mit unserem Leben aber nicht viel zu tun.

Wann wird Sport denn ungesund und wie merken wir, dass wir über das Ziel hinausschießen?

Das Grundprinzip der subjektiven Unterforderung ist eine sinnvolle Leitlinie. Nach dem Joggen ist man dann nicht kaputt, sondern vitalisiert und angeregt: „Wow, das war schön. Das mache ich morgen wieder.“ So fühlt sich Sport an, wenn man im aeroben Bereich aktiv ist.

Wie fit sind Führungskräfte heute wirklich? Sie haben auf jeden Fall einen großen Nachholbedarf …

Können Sie das genauer beziffern? Ich habe gerade die Studie „Wie gesund lebt Deutschland?“ gemacht und besonders die Gruppe der 30- bis 50-jährigen Führungskräfte bereitet mir Sorgen. Weil diese zwar durchaus in der Freizeit aktiv ist, aber den sonstigen Alltag vor allem sitzend, wartend und reisend verbringt. Da wird dann versucht, abends im Fitnessstudio zu kompensieren.

Immerhin …

Wer drei Stunden pro Woche Sport macht, kann sich zwar auf die Schulter klopfen, aber die Woche hat 168 Stunden. Und die verbleidende völlige Ruhezeit prägt den Stoffwechsel und unseren Körper.

Sie bieten auf Ihrer Internetseite dagegen einen Pausenmanager und ein 9-Minuten-Workout an oder raten, die Treppe statt den Fahrstuhl zu nehmen – wofür ist so ein Schmalspurfitnessprogramm gut?

Der Begriff Schmalspur ist völlig falsch. Natürlich handelt es sich hier um kein zielgerichtetes Training, aber das ist ohnehin ein relativ junges Phänomen. Eigentlich gehörte Bewegung immer zu unserem Alltag und da sollte sie auch wieder hin. Insofern ist jede Aktivitätseinheit, auch wenn sie nur fünf bis zehn Minuten dauert, sinnvoll.

Ganz konkret: Wie viel Sport muss mindestens sein?

Die Messlatte liegt bei 2.000 Kalorien an Mehrverbrauch pro Woche über körperliche Aktivität. Das bedeutet für jemanden wie mich, mit 72 Kilogramm Körpergewicht, etwa dreieinhalb Stunden Joggen oder Radfahren.

Viele treibt der Wunsch nach einem durchtrainierten Körper an. Ist das ein Irrweg?

Ja, natürlich. Das Chassis sagt nichts über das Innenleben aus. Es gibt im wahrsten Sinne des Wortes Ferraris, die mit einem Trabbi-Motor unterwegs sind. Deshalb sage ich ja immer: Lieber moppelig und fit als schlank und das Gegenteil.

Keine Zeit ist eine Ausrede vieler Führungskräfte. Sie sagen: „Wer jetzt keine Zeit für Bewegung hat, muss sich später noch mehr Zeit für seine Krankheiten nehmen.“ Was ist da dran?

Sehr viel. Sport ist der wichtigste Wachstumsmotor für unseren Körper, viele unserer Organstrukturen hängen am Tropf der Bewegung – das Herz-Kreislauf-System in seiner Ökonomisierung, der Stoffwechsel in seinem Energieverbrauch, die Elastizität der Gefäße, die Stimulation des Immunsystems, das Wachstum des Knorpels in unseren Gelenken.

Trotzdem ruft bei vielen häufiger das Sofa als die Laufstrecke. Ist der Zeithorizont für die Folgen des Raubbaus an unserem Körper zu groß?

Wir haben ja schon mit Fünfjahresplänen unsere Schwierigkeiten und das Leben dauert glücklicherweise viel länger. Die Gesundheit lässt sich einfach nicht mit der Geschwindigkeit unseres heutigen Wirtschaftssystems vergleichen. Und unser Körper verzeiht leider viel zu viel, viel zu lange.

Gibt es in Sachen Bewegung einen Branchen-, Alters- oder Geschlechter- zusammenhang?

Frauen bewegen sich in der Regel leider weniger als Männer. Viele haben auch heute noch zusätzliche Aufgaben im Bereich der Familie, die einfach Zeit kosten. Mit dem Alter nimmt die Aktivität dagegen häufig zu, weil Manager im Job angekommen sind und ihre Körperlichkeit stärker erfahren. Das hängt häufig mit dem eigenen Spiegelbild und der Tatsache zusammen, dass sich der Körper verändert hat und die Muskeln weg sind.

Ist es dann zu spät?

Nein, das ist es nie, solange es keine manifeste chronische Krankheit gibt, die den Menschen an der Bewegung hindert. Das Schöne ist doch, dass unsere Zellen unser Alter nicht kennen. Durch den Teilungsprozess haben wir viele jugendliche Ressourcen in unserem Körper, auf die wir bauen können (lacht).

Wie findet man den richtigen Sport für seine Bedürfnisse?

Er sollte barrierefrei und zeitsparend sein und Sie müssen die Ziele klar definieren.

Genügt es nicht, sich einfach bewegen zu wollen?

Das ist nicht nachhaltig. Was ist Bewegung? Daraus ergibt sich keine intrinsische Motivation. Habe ich Gewicht verloren, will ich mich entspannen oder vielleicht stärker werden? Gerade der gewünschte Effekt ist ja das Salz in der Suppe

Tipp zur Regeneration

Jeder Sportler sollte seine Ruheherzfrequenz kennen, um sich zu eichen. Also: Wecker klingeln, Augen auf, Puls messen. Nach einer klassischen Woche weiß man, wo man durchschnittlich liegt. Sobald dieser Wert an einem Morgen um 4 bis 6 Schläge erhöht ist, ist man am Vorabend zu intensiv aktiv gewesen und nicht ausreichend regeneriert.

Der Pausen-Manager

Unser Gehirn folgt den ganzen Tag hindurch unserer genetisch vorgegebenen Leistungskurve. Um effektiv und erfolgreich zu sein, braucht es deshalb eine Pausenkultur in genau diesem Rhythmus von etwa 70 bis 90 Minuten in unserem Alltag.

Dem Tief vorbeugen…

… oder entgegenwirken 

Telefonieren Sie im Stehen, das aktiviert die Beinmuskulatur, lässt das Blut zirkulieren und macht aktiver. „Standings“ statt Meeting im Sitzen. Trinken Sie viel Wasser, das hält den Stoffwechsel auf Trab. Zum Kollegen gehen statt E-­Mail und Treppen statt Aufzug. Recken und strecken Sie sich zwischendurch. Laufen Sie zur Arbeit oder nutzen Sie das Fahrrad, wenn möglich.  Nach dem Mittagessen einen (kurzen) Gang um den Block.

Energie tanken

Blitz-Entspannung 

Laufen Sie eine Treppe viermal zügig rauf und runter, das baut Stress ab und bringt den Kreislauf in Schwung. eugen Sie sich vorne über mit gestreckten Beinen und versuchen Sie, Ihre Füße zu berühren, halten Sie diese Position für etwa 5 bis ­10 Sekunden und richten Sie anschließend Wirbel für Wirbel wieder auf. So bewegen Sie die Wirbelsäule durch und entspannen die Rückenmuskulatur. Atmen Sie, am besten an der frischen Luft, tief und bewusst in den Bauch ein und aus. Wiederholen Sie den Vorgang viermal und pusten Sie den Stress davon.

In der Tiefphase

Nicht vergessen 

Treffen Sie wichtige Entscheidungen nicht in der Mittagszeit. In diesem Zeitraum ist unsere Leistung reduziert und es fällt uns schwerer zu urteilen. Erledigen Sie Routinearbeiten und einfache Aufgaben am Nachmittag, um das Mittagstief zu umgehen.

Auch interessant