Mehler Engineered Defence panzert fast alles, was fliegt, schwimmt und fährt. Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch der Mittelständler aus Königslutter eine Zeitenwende erlebt.
Etwas versteckt im Landkreis Helmstedt sitzt ein Player der deutschen Rüstungsindustrie, der hinter Riesen wie Rheinmetall, Airbus und KMW+Nexter nicht oft im Licht der Öffentlichkeit steht. Am Rande des Elms stellt die Mehler Engineered Defence GmbH Panzerungen und Schutzsysteme her, die Fahrzeuge schützen sollen: von der Fregatte der deutschen Marine über die Hubschrauber der Spezialkräfte der Bundespolizei bis hin zur VIP-Limousine.
Am Ende eines Gewerbegebiets, kurz vor der Feldmark, liegt das eingezäunte, teils mit Stacheldraht geschützte, Unternehmensgelände. Fotos dürfen wir an diesem Tag nicht machen. „Aus Gründen der Vertraulichkeit“, sagt CEO Christian Vahldiek im Vorfeld unseres Interviews. Der Mutterkonzern, die Mehler Gruppe aus Fulda , ist Marktführer für Schutzwesten für Polizei und Militär im deutschsprachigen Raum. Die Tochter in Königslutter schützt vor größeren Kalibern.
Mehr als 50 Angestellte arbeiten hier in der Domstadt In den vergangenen sieben Jahren wuchs der Umsatz des Unternehmens jährlich um rund 35 Prozent, erst kürzlich zog Mehler einen großen Auftrag der deutschen Marine an Land. Und die Zeichen stehen weiterhin auf Expansion. Geht es nach CEO Christian Vahldiek wird sich die Zahl der Mitarbeiter in den nächsten Jahren verdoppeln. Allein durch die Aufträge der Bundeswehr könnte Mehler dieses Wachstum nicht erreichen. Auftraggeber wie Mercedes Benz AG oder Forstbetriebe ordern Mehlers Produkte, um zivile Fahrzeuge und Maschinen sicher vor Projektilen zu machen. Harvester etwa, die auf alten Truppenübungsplätzen eingesetzt werden, liefen durchaus Risiko alte Munition auszulösen. Sie müssten entsprechend geschützt werden.
Aus Versehen in die umstrittene Branche
Am Kerngeschäft ändert dieses zweite Standbein jedoch nichts: Fokus bleibt die Schutztechnik für Militär und Polizei – auch außerhalb Deutschlands. Japan und Australien etwa gehören zu den Auftraggebern, aber auch andere NATO-Staaten.
Dabei ist Vahldieks Unternehmen eher zufällig in der umstrittenen Branche gelandet. Der heute 46-Jährige begleitet die Geschichte von Anfang an. Die Wurzeln des Betriebs, das heute als Mehler Engineered Defence GmbH firmiert, liegen gut zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit: Damals gründet der gerade einmal 26-jährige Vahldiek gemeinsam mit einem Freund die Vahldiek-Münzberg Werkzeugmaschinen GbR in Schöningen. Ursprünglich ist das Unternehmen in der mechanischen Weiterverarbeitung von Bauelementen tätig. Bis einem Auftraggeber der Zulieferer ebenjener Elemente abspringt. In seiner Not wendet sich der Geschäftspartner an Vahldiek und bittet ihn darum, in die Bresche zu springen. Er und sein Partner zögern nicht lange und legen so den Grundstein für die Entwicklung und Produktion von Schutzsystemen.
2010 schließlich kauft die Mehler Gruppe die Firma, weil sie in der Produktion von Schutzsystemen für See-, Land- und Luftfahrzeuge ein neues Wachstumsfeld sah. Mehler Engineered Defence entsteht. 2016 ziehen Vahldiek und seine Belegschaft schließlich an den heutigen Standort im Gewerbegebiet Königslutter. Die Region zu wechseln, sei für Vahldiek nie infrage gekommen, erklärt er uns mit einem Schulterzucken.

„Ich komme von hier“, kommentiert er. „In Wolfsburg sitzen viele Zulieferer, mit denen wir zusammenarbeiten. Außerdem ist die Lage für uns perfekt. Mit Braunschweig, Magdeburg und Wolfenbüttel sind wir umgeben von drei Universitätsstandorten, was uns die Nachwuchsgewinnung erleichtert.“ Ein Spaziergang sei die Personalsuche dennoch nicht. „Wir sind hochspezialisiert. Es braucht Zeit sich in unsere Prozesse einzuarbeiten“, sagt der 46-Jährige.
Herausforderung Personalgewinnung
Es gäbe außerdem eine gewisse Distanz der Gesellschaft zur Rüstungsindustrie, die potenzielle Mitarbeitende zögern lasse. „Inzwischen gehen wir so weit, dass wir Prämien zahlen, wenn Mitarbeiter neue Angestellte erfolgreich werben“, so Vahldiek. Das Fremdeln der Deutschen mit der heimischen Rüstungsindustrie sei an vielen Stellen spürbar, betont auch Andreas Moebes, CFO bei Mehler Engineered Defence.
Ein auf Wehrtechnik spezialisiertes Institut gäbe es an Niedersächsischen Universitäten nicht, grundlegend sei es schwer Hochschulen als Partner für Forschungsprojekte oder Nachwuchskooperationen zu gewinnen. Der Branche schlüge fast immer Skepsis entgegen. Auch Marketingstrategien wie Trikotsponsoring bei lokalen Vereinen oder die Unterstützung von Volksfesten sei schlicht nicht denkbar. Mehler rekrutiert daher Fachkräfte aus den Bereichen Physik, Maschinenbau und Werkstoffkunde und bildet diese selbst weiter. Zurzeit bearbeiten beispielsweise zwei Werksstudierende in Königslutter kleine Projekte. Sie sollen möglichst bei Mehler bleiben. Die Herausforderungen seien eigen: Mehler entwirft Panzerungen, die Kriegswaffen abhalten können. „Das ist hochwissenschaftlich und gerade physikalisch herausfordernd. Unser Material muss leicht und gleichzeitig widerstandsfähig sein“, erklärt Vahldiek. „Unsere Produkte können die letzte Grenze zwischen Leben und Tod sein.“
Die Anforderungen an das Unternehmen und seine Produkte haben sich seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine geändert. Zwanzig Jahre lang standen asymmetrische Bedrohungen im Mittelpunkt. Sprengfallen, Handwaffen und kleinere Panzerabwehrsysteme, wie sie etwa die Taliban in Afghanistan einsetzten. Hochmodernes Kriegsgerät westlicher Armeen musste auf den Kampf gegen technisch unterlegene Gegner mit improvisierten Waffen vorbereitet werden. Die Kämpfe liefen meist aus dem Hinterhalt, auf kurze Distanz und in kleinen Zeiträumen ab. „Das sind andere Bedürfnisse als in klassischen Konflikten“, erklärt Vahldiek. Damit meint er zwischenstaatliche Kriege, in denen die Gefechte teils über mehrere Kilometer ablaufen, hochtechnisiert, präzise und schlagkräftig. Der Maßstab seien die größten russischen Kaliber, nicht mehr die Sprengsätze der Taliban, so Vahldiek. Für Feldversuche nutzt Mehler Schießbahnen der Bundeswehr, betreibt aber auch ein Schießlabor für Handwaffen in Fulda, dem Standort des Mutterkonzerns.
Den Zweck der Produkte, zeigen Ausstellungsstücke im großen Konferenzraum des Standortes Königslutter. Beschossene Panzerplatten aus Metall und Kunststoff stehen neben Schnittmodellen von Minen und Mörsergranaten. Eine plastische Erinnerung daran, in welchem Umfeld die Produkte irgendwann zum Einsatz kommen. Und was sie in letzter Konsequenz aushalten müssen.
Expansion in zivile Bereiche
Die weit verbreitete Zurückhaltung aus der deutschen Gesellschaft gegenüber ihrer Branche können weder Vahldiek noch Moebes nachvollziehen. „In Deutschland haben wir, auch im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten, eine sehr restriktive Exportpolitik für Rüstungsgüter. Und das ist auch richtig so“, sagt Vahldiek. „Aber wir müssen uns auch entscheiden, ob wir uns als Demokratie verteidigen wollen. Wenn wir von außen bedroht werden, ist eine nationale industrielle Ressource von strategischem Belang für Bundeswehr aber auch für NATO-Partner.“
Aktuell sei Bewegung in dieser Frage, langfristige Sicherheit gebe das der Branche allerdings nicht. Zu unsicher sei der künftige politische Kurs in Berlin. Entscheidungen aus dem Verteidigungsministerium seien oft zu kurz, über eine Legislaturperiode gedacht und nicht langfristig: „Wir reden hier von Zeiträumen von zehn bis 15 Jahren“, sagt Vahldiek. „Das Sondervermögen ist ein guter Anfang, alleinstehend aber zu wenig Geld. Es wird nicht reichen, um die Bundeswehr voll auszurüsten.“ Das daraus in kurzer Zeit viele langfristige Aufträge entspringen, glauben weder Vahldiek noch Moebes. Genau deshalb habe Mehler sein Portfolio diversifiziert. Vahldiek und Moebes wollen vermeiden von Politik und der internationalen Lage abhängig zu sein. Entscheidungen zu Rüstungsprojekten, gerade in Deutschland, könnten träge ablaufen und sich über Jahre ziehen. Mehler und andere Rüstungsunternehmen unterscheiden sich da wenig von anderen Branchen. Auch sie setzen auf Sicherheit. Deshalb habe Mehler sich schon vor dem Krieg in zivile Bereiche orientiert, etwa den Schutz kritischer Infrastruktur.
„Wir haben vor Kurzem erfolgreich ein Forschungsprojekt abgeschlossen, in dem wir militärische Schutztechnologie für zivile Zwecke umgenutzt haben.“ Am Ende sei es weniger entscheidend, ob ein Turbinenteil oder eine Panzerabwehrwaffe auf die Platte treffe: „Es muss standhalten“, so Vahldiek. Das sei schließlich auch die Quintessenz ihrer Arbeit: „Wenn wir die Nachricht bekommen, dass unsere Systeme Beschuss aushalten, ist das eine enorme Motivation. Wir retten damit Menschenleben.“
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