Es gab sie wirklich, die Zeiten, in denen sich die gesamte Familie noch in kollektiver Harmonie vor dem Fernseher versammelte. Man fieberte damals mit den Kandidaten bei „Wetten dass ..?“, bestaunte die weißen Engel der Schwarzwaldklinik oder begleitete Heinz Sielmann auf eine seiner rund 170 Expeditionen ins Tierreich. Ob er im Flanellhemd in Alaska Königspinguinen die Hand reichte oder im Kongo die lange als Monster geltenden Berggorillas als sanfte Herrscher des Urwalds zeigte – Sielmann wollte die Natur verstehen und seine eigene Faszination in die heimischen Wohnzimmer transportieren. Das kam an. Allein sieben Millionen Zuschauer schalteten bei der ersten Folge im Jahr 1965 ein – ein Stück deutsche Fernsehgeschichte, die viele Jahre früher ihren Anfang nahm.
Die Liebe zur Natur ergreift den kleinen Heinz während seiner Kindheit in Ostpreußen. Seine erste Kamera bekommt er von den Eltern geschenkt. Bereits im Alter von 21 Jahren präsentiert er seinen Film mit dem Namen „Vögel über Haff und Wiesen“ auf einem internationalen Ornitologenkongress in Berlin. Wenig später dürfte diese Leidenschaft wohl zum Lebensretter geworden sein. Denn 1939 wird Sielmann als Lehrer für Funker in die Wehrmacht eingezogen und soll vier Jahre später an die Ostfront versetzt werden. In letzter Sekunde geht es dann doch für einen Tierfilm auf die griechische Insel Kreta, wo der Naturliebhaber in britische Kriegsgefangenschaft gerät. Seine Frau Inge lernt der Filmemacher kurz nach dem Krieg kennen. Sie absolviert damals ein Volontariat beim NDR. 1951 heiratet das Paar und arbeitet fortan als Team. Inge Sielmann führt die Geschäfte der Produktionsfirma, ihr Mann umreist die Welt. Dabei wird er häufig von einem guten Freund begleitet, der sich später mit einer „Fettecke“ einen Namen machen sollte. Die Rede ist vom exzentrischen Künstler Joseph Beuys.
Internationale Berühmtheit erlangt Sielmann im Januar 1955. Die BBC strahlt damals die aufwändige und mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnete Produktion „Zimmerleute des Waldes“ aus, bei der es ihm erstmals gelungen ist, zwei Spechte und ihre Jungen in einer künstlichen Nisthöhle zu filmen. Auf der Insel ist der Mann mit dem nasalen Timbre in der Stimme seitdem als „Mister Woodpecker“ bekannt, seine Filme finden außerdem den Weg in die USA. Im Laufe seiner Karriere erhält Sielmann zahlreiche weitere Filmpreise, wie die goldene Kamera, den Silbernen Bären oder die Auszeichnung für den besten Farbfilm in Cannes. Er dreht rund 130 Unterrichtsfilme und bringt Kinoproduktionen in 25 Sprachen auf die Leinwand. Mit den Jahren wird aus dem Naturfilmer immer mehr ein Naturschützer. Seinen Film „Tiere im Schatten der Grenze“ aus dem Jahr 1988 schließt Sielmann mit den Worten „Ich kann mir kein besseres Denkmal für eine überwundene deutsch-deutsche Grenze vorstellen, als einen großen Nationalpark von der Ostsee bis zum Thüringer Wald“. Wie schnell diese Vision Wirklichkeit werden sollte, kann der damals 71-Jährige indes nicht ahnen.
1994 gründet das Ehepaar unter dem Leitsatz „Naturschutz als positive Lebensphilosophie“ in Berlin die Heinz Sielmann Stiftung. Zu diesem Schritt hat die beiden auch der tragische Unfalltod ihres Sohnes Stephan während einer gemeinsamen Kenia-Expedition bewogen. Innerhalb kurzer Zeit gewinnt das Ehepaar mehr als 300.000 regelmäßige Spender für die Umweltbildung und den Schutz seltener Tier- und Pflanzenarten. Man ist mit dem Phänomen Sielmann groß geworden, mit seinen Stickern bei Neckermann, den Kartenspielen und Lehrbüchern. Nach seinem Tod am 6. Oktober 2006 wird Heinz Sielmann in der Franz-von-Assisi-Kapelle auf dem Gut Herbigshagen beigesetzt.
In der Nähe von Duderstadt ist die Stiftung seit 1996 zu Hause und betreibt dort einen Schulbauernhof und ein Umwelterlebniszentrum. Hier lagern in einer Kühlkammer auch Tausende Filmrollen. Das bewegte Vermächtnis Sielmanns wurde in den vergangenen Jahren komplett digitalisiert. Seit dem Tod ihres Mannes führt Inge Sielmann das gemeinsame Lebenswerk allein. „Erst sie hat den großen Wurf gewagt“, erklärt Michael Beier. Es ist ein sonniger Tag auf dem Gut Herbigshagen und der geschäftsführende Vorstand stellt klar: „Inge Sielmann hat die Stiftung zu dem gemacht, was sie heute ist und auf den Kauf großer Flächen gesetzt.“
13.000 Hektar Eigentum sind es mittlerweile, darunter 8.500 Hektar Wald – so viel wie keine andere private Stiftung in Deutschland. Vor allem ehemalige Truppenübungsplätze wie die Döberitzer Heide gehören dazu. Wo früher Panzer den Ernstfall probten, grasen heute Wisente und Przewalski-Pferde. Im ehemaligen Tagebaugebiet Wanninchen in Brandenburg können Naturliebhaber mittlerweile den spektakulären Kranichzug beobachten und der frühere Todesstreifen zwischen der BRD und der DDR ist heute das Grüne Band – der größte Biotopverbund Deutschlands. Wer über Michael Beier hinweg über den von Obstbäumen gesäumten Garten blickt, könnte meinen, dass die Stiftungswelt hier auf dem Bioland-Gut Herbigshagen noch in Ordnung ist.
Wie jemand, der sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen möchte, wirkt der Vorstand aber nicht. Er ist 2012 angetreten, um die früher familiär geführte Stiftung zu professionalisieren und wie ein Unternehmen zu organisieren. „Das war ein ganz harter Weg“, den nicht alle mitgehen wollten. Die Führungsmannschaft ist komplett neu aufgestellt, fast die Hälfte der 41 Mitarbeiter erst in den vergangenen fünf Jahren dazu gestoßen. „Und der Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen.“ Beier sieht noch eine Menge Arbeit vor sich – zum Beispiel einen Wandel bei den Zielgruppen. Das Durchschnittsalter der regelmäßigen Spender liegt gegenwärtig bei über 70 Jahren. „Unsere Markenstudien zeigen, dass Menschen unter 40 die Person und den Namen Heinz Sielmann oft gar nicht kennen“, erklärt er.