Herr Dr. Rannenberg, was ist das Besondere an der Diakonie Kästorf?
Dr. Rannenberg: Die Diakonie in Kästorf entstand 1883 als Arbeiterkolonie. Schon damals war die Idee, dass Menschen nicht nur eine menschenwürdige Unterkunft haben müssen, sondern dass sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben durch Ausbildung, Arbeit und einen Beruf, mit dem sie sich identifizieren. Das prägt bis heute unsere diakonische Arbeit: Wir setzen uns nicht nur für gute Wohnmöglichkeiten mit verschiedenen Assistenzformen je nach Unterstützungsbedarf ein. Kästorf bietet auch Ausbildung und Beschäftigung für viele Menschen, die in gewinnorientierten Unternehmen keine Chance dazu bekommen können. Aus der Keimzelle der Arbeiterkolonie ist heute eine große diakonische Einrichtung geworden, die Menschen in fast jedem Alter und jeder Notsituation ein angemessenes Unterstützungsangebot machen kann.
Was gehört alles zu Ihrer Unternehmensgruppe?
Dr. Rannenberg: Im Jahr 2011 haben sich die Diakonie in Kästorf und das Stephansstift in Hannover zusammengeschlossen und die Dachstiftung Diakonie gegründet. Beide diakonische Einrichtungen waren in ähnlichen Bereichen engagiert, sie ergänzen sich sehr gut. Die Dachstiftung ist seither weiter gewachsen und umfasst diakonische Gesellschaften und Einrichtungen von Burg in Sachsen-Anhalt über Magdeburg, Braunschweig, Wolfsburg, Gifhorn, Hannover bis Lüneburg und an den Stadtrand von Bremen.
Die Geschichte Ihres Unternehmens reicht bis ins Jahr 1883 zurück. Wie wichtig ist Ihnen Tradition? Welche Werte von Damals spielen auch heute noch eine Rolle bei Ihnen?
Daub: „Unser Auftrag : Nächstenliebe leben“ – das ist die erste Überschrift in unserem Leitbild, das im letzten Jahr von den Mitarbeitenden in einem intensiven Diskussionsprozess neu formuliert wurde. Daraus ist erkennbar, dass die christliche Grundlage unserer Arbeit nach wie vor entscheidend ist, dass die Arbeit den Menschen in den Mittelpunkt stellt und wir unter sich verändernden Bedingungen weiter mit unseren Möglichkeiten das christliche Gebot der Nächstenliebe umzusetzen und zu leben.
Diakonie ist der griechische Begriff für Aspekte des Dienstes am Menschen im kirchlichen Rahmen. Inwieweit hat sich dieser über die Zeit gewandelt?
Daub: Das griechische Wort Diakonie lässt sich mit „Dienst“ übersetzen, aber auch mit „Kommunikation“ und „Dazwischengehen“. Diese Aspekte sind heute in der täglichen Arbeit sehr wichtig: Selbstbestimmung, Teilhabe, Inklusion. Auch Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, haben ein Selbstbestimmungsrecht und Fähigkeiten, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Individualität, Verschiedenheit und dennoch Zusammengehörigkeit und Solidarität – die Zielsetzungen sind in einer demokratischen und multireligiösen Gesellschaft noch anspruchsvoller geworden.