Herr Henkel, unser Magazin trägt den Titel Gemeinwohl38. Was bedeutet dieser Begriff für Sie?
Ich habe das Vergnügen seit geraumer Zeit im Stiftungswesen unterwegs sein zu dürfen, war es sogar schon während meines Studiums. Bis heute hat das Gemeinwohl einen großen Platz in meinem Alltag. Jetzt habe ich das Vergnügen, für eine Stiftung zu arbeiten, die 447 Jahre alt ist und bei der man das Gemeinwohl schon bei der alten christlichen pia causa, also einer religiös motivierten Stiftung, verorten kann. Insofern ist das Gemeinwohl etwas, was sich über die Jahrhunderte hinweg gehalten hat – es gehört zu unserem Kulturkreis dazu. Ja, ich kann mit dem Begriff "Gemeinwohl" unheimlich viel anfangen, weil er auch wahnsinnig viel von Zukunft beinhaltet. In Zukunft können wir deutlich weniger vom Staat erwarten und werden als Zivilgesellschaft wieder deutlich mehr machen müssen. Da ist dann die Frage: Was ist Zivilgesellschaft? In dem Kontext, den wir haben, sind
das all diejenigen, die sich für das Gemeinwohl engagieren.
Und wie passen dann Gemeinwohl und Kultur – also ‚Ihr Gemeinwohl-‘ und ,Ihr Kulturbegriff‘ – zusammen?
Wenn man den Begriff "Kultur" ernst nimmt, dann wird man feststellen, dass dieser unter anderem in den Institutionen wurzelt, die der Ursprung unserer Stiftung sind, nämlich in den Klöstern. Die Klöster sind zwar nicht der alleinige Ursprung von Kultur, dieser reicht ja deutlich weiter zurück, aber wenn man Mitteleuropa betrachtet und sieht, was da am prägendsten gewesen ist, dann würde ich schon sagen, dass ein guter Teil unserer heutigen Kultur im christlichen Glauben verwurzelt ist. Und diese Kultur hat nach wie vor in unserer Stiftung ihren Stellenwert, ob das im Kloster Walkenried im Harz oder im Kaiserdom von Königslutter der Fall ist. An all diesen Orten merkt man, dass sie auf der einen Seite Orte des Glaubens sind und gleichzeitig gebaute Kultur.
Sie haben eben über die Zukunft gesprochen. Von wem müssen die Aufgaben zukünftig übernommen werden?
Die Zivilgesellschaft ist eine Erfindung der letzten Jahrzehnte. Gleichzeitig ist sie eine uralte Einrichtung. Jeder, der sich für ein Gemeinwesen einsetzt, ist heute zivilgesellschaftlich aktiv. Wir haben jetzt Begriffe gefunden, die zeigen, dass man nicht alles dem Staat überlassen kann. Diese Erwartungshaltung, dass der Staat es schon richten wird, welche man im Laufe der Jahre entwickelt hat, hat man vielleicht damit verbunden, dass man viele Steuern zahlt und deswegen meint, es liege eine Delegation der Verantwortung vor. Tatsächlich ist es so, dass wir die aktuellen Probleme, wie schon bei besonders großen Herausforderungen in der Vergangenheit, nur lösen können, wenn wir als Gesellschaft aktiv werden. Und das ist jeder Einzelne, der seinen Platz in der Gesellschaft genau verorten und sich die Frage stellen muss: Was kann ich da leisten? Da ist nicht nur, aber auch, die Frage, wie gehe ich mit der Flüchtlingsproblematik und -herausforderung um. Es geht um vieles, um die Armut in einer Gesellschaft, die auch ohne Flüchtlinge genug Herausforderungen bereit hält, bis hin zu der Frage, wie man eigentlich Zukunft gestalten kann, also wer dabei ist, das Gesellschaftsmodell der Zukunft zu entwickeln. Dürfen wir das den Institutionen überlassen, die uns in der Vergangenheit nicht als diejenigen vorgekommen sind, die die kreativsten Ideen für die Zukunft gehabt haben oder müssen wir das vielleicht auch selber in die Hand nehmen und sagen: "Wir alle gestalten unser Gemeinwesen".
Ist das, was wir gerade hören, ein Plädoyer für einen schlanken Staat oder ist das nur eine Ergänzung zum Thema Zivilgesellschaft?
Ich glaube, man darf dem Staat nicht den Raum geben, sich zurückzuziehen. Der Staat hat in der bundesrepublikanischen und in der mitteleuropäischen Tradition eine klare Funktion in unserer Gesellschaft. Man kann dem Staat nicht den Freibrief geben, weniger zu tun als in der Vergangenheit. Aber die Herausforderungen für den Staat sind so komplex geworden, dass man das Heft selbst in die Hand nehmen muss. Deswegen finde ich es spannend, wenn Unternehmen und zivilgesellschaftlich aktive Institutionen unserer Gesellschaft diese Verantwortung übernehmen.