1. Juni 2015
Forschung & Technologie

Auf dem Weg in die postfossile Transformation

Am Institut für Transportation Design (ITD) entwirft ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam Utopien für die Mobilität der Zukunft

Das Institut für Transportation Design (ITD) von außen (Foto: Privat)

Im ARTmax an der Frankfurter Strasse liegt das Institut für Transportation Design (ITD), dessen Existenz in der Braunschweiger Mobilitätsregion ziemlich naheliegend erscheint. Wer hinter den weißen Mauern jedoch eine Gestaltungsschmiede für den Volkswagen Konzern vermutet, verkennt den Geist der Wissenschaftler um Direktor Prof. Dr. Wolfgang Jonas: Statt Scheinwerfer und Cockpits entwirft das interdisziplinäre Team aus Designern, Soziologen, Ingenieuren und Psychologen nachhaltige Utopien für die postfossile Mobilität der Zukunft das erklärte Ziel lautet nicht mehr, sondern weniger Mobilität.

„Wir wollen das Design aus der Nische der Verhübschung herausholen und vertreten einen Design-Begriff, der von gesellschaftlichen wie ökologischen Rahmenbedingungen ausgeht und kulturelle Einflüsse einbezieht.“ Das ITD, das zur Hochschule für Bildende Künste (HBK) gehört, verfolgt hierfür vor allem systemische Ansätze und betreibt Szenario- sowie Zukunftsforschung. Diese breite Ausrichtung ist nach Einschätzung des Direktors „ziemlich einzigartig“, erzeugt aber auch einen erhöhten Erklärungsbedarf zum Beispiel bei Studienplatzbewerbern: „Die wollen Autos zeichnen, wir wollen Mobilitätsverhalten untersuchen und verändern.“

Für Braunschweiger Wissenschaftler ist die Mobilität ein Feld unter vielen, in dem sich aktuell gesellschaftliche Transformationsprozesse abzeichnen. Als elementar für einen Wandel schätzen sie die individuelle und soziale Akzeptanz neuer Antriebs- und Fahrzeugkonzepte ein. „Daraus folgt, dass der Nutzer ins Zentrum der Forschung gehört“, betont Prof. Dr. Wolfgang Jonas. In seiner Arbeit beschränkt sich das ITD deshalb nicht auf die Rolle einer theoretischen Denkfabrik, sondern verfolgt einen hohen Praxisbezug.

Dass das keine hohlen Phrasen sind, dokumentieren zahlreiche Drittmittelprojekte. Der Transformationsansatz geht auf den Gründungsdirektor Prof. Dr. Stephan Rammler zurück. Er findet sich auch in den neuen Studiengängen wieder, die zum kommenden Wintersemester starten sollen. Aus dem Bachelor „Industrial Design“ wird dann der Studiengang „Design in der digitalen Gesellschaft“, der frühere Master „Industrial Design/ Transportation Design“ wird zukünftig „Transformation Design“ heißen. Die Studierenden sind Jonas wichtig er strebt eine Augenhöhe zwischen Lehre und Forschung an: „Davon verspreche ich mir vielfältige Impulse. Perspektivisch sollen die Studierenden noch stärker in unsere aktuellen Forschungsvorhaben eingebunden werden.“ Zum Beispiel ins Kooperationsprojekt „eAutarke Zukunft“, das Dienstleistungsansätze für Elektromobilität in verschiedenen Lebens- und Arbeitszusammenhängen untersucht: Das Forschungsfeld reicht vom Zusammenspiel eines Energie-Plus-Hauses mit einem Elektroauto über Carsharing-Modelle bis zu einer intelligenten Ladelastregelung.

Im Rahmen von „EnEff Campus“ entwickeln mehrere Partner einen energetischen Masterplan für den Campus der TU Braunschweig. Der Primärenergieverbrauch soll um 40 Prozent reduziert und der Campus langfristig ausschließlich mit regenerativen Energien versorgt werden. Ein Baustein hierfür ist die Verlagerung und Vermeidung von Mobilität. Statt auf vier könnten die TU-Mitarbeiter zukünftig vermehrt auf zwei Rädern unterwegs sein denn auch der alltägliche Gebrauch von Pedelecs und ihr Potenzial für eine klimagerechte Energie- und Verkehrspolitik wird von den Braunschweiger Mobilitätsforschern untersucht. Das Forschungsprojekt heißt „Pedelection“ und ist eine Kooperation mit dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg. Jonas: „Wir merken, dass unser Ansatz der transformativen Wissenschaft in Forschungsprojekten und bei Ausschreibungen immer wichtiger wird. Da waren wir relativ visionär und dem Mainstream wohl einige Jahre voraus.“

Die Zahlen verdeutlichen den Aufwind: Rund zwei Millionen Euro an Forschungsgeldern hat das zwölfköpfige Team in den letzten beiden Jahren eingeworben und möchte perspektivisch weiter wachsen. Dabei könnte die Rückbesinnung auf das Naheliegende helfen: Aktuell arbeiten die Wissenschaftler zusammen mit Kollegen der TU und VW-Vertretern an einem Kooperationsstudiengang, bei dem das Automobildesign in den Mittelpunkt rücken soll. Jonas sieht bei VW „immer mehr Nester, in denen ein Umdenken stattfindet“ und damit durchaus Potenziale für eine Intensivierung der starken Bindung zwischen Institut und Konzern. Die könnte am Ende beiden gut tun dem mächtigen Autobauer, der sich um den Fachkräftenachwuchs sorgt und Visionen gut verkraften kann, und den Braunschweiger Transformationsforschern, die Mobilität primär hinterfragen und nicht ausweiten wollen.

 

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