Stehen Sie als erfahrener Lebensmittelchemiker hinter den Richtlinien der Regierung?
Wir haben im Moment eine schwierige Diskussion, die sich zum Beispiel um Honig, Kräutertee und Rucolasalat, also alles, was maschinell geerntet wird, dreht. Denn geerntet wird dabei auch, was man früher gemeinhin als Unkräuter bezeichnet hat. Derzeit viel in Verbrauchersendungen diskutiert ist eine Pflanze, die Pyrrolizidinalkaloide (PA) enthält, welche sich in Tierversuchen als krebserregend erwiesen haben. Sie gerät manchmal mit in die Tee-Ernte. Für diese PA gibt es noch keinen Grenzwert. Auf so einen Grenzwert drängen wir jetzt und das Gesundheitsministerium ist da auch dran. In den Fällen wo es Grenzwerte gibt, können wir damit leben. Ich persönlich sortiere meinen Rucola vor dem Verzehr. Denn, um zum Beispiel das Jakobskreuzkraut mit gelben Blüten auszusortieren, gibt es ebenfalls noch keine technologische Lösung. Bei jahrelangem Konsum verursacht es Leberschäden. Da hat die Politik lange geschlafen.
Würden Sie sagen, dass ihr Beruf ihr Essverhalten geprägt hat?
Ursprünglich nicht. Aber inzwischen mache ich mir schon mehr Gedanken. Es gibt aber keine Lebensmittel, die ich wegen meines Berufs kategorisch meide. Im Grunde muss man nicht viel tun, um sich gesund zu ernähren. Wer nicht raucht und nicht viel Alkohol trinkt, hat bereits 30 Prozent der Risiken reduziert. In Maßen ist Alkohol ja sogar gesund. Da gibt es eine U-förmige Kurve: Ein Abstinenzler hat ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu bekommen als jemand, der moderat Alkohol trinkt. Denn Alkohol verhindert durch seine blutverdünnende Wirkung die Blutplättchenaggregation und minimiert so das Risiko des Verklumpens. In Maßen meint das berühmte eine Glas Rotwein am Abend – drei Gläser belasten dann gleich wieder die Leber.
Welche Rolle spielt die Region bei Ihrer Forschung?
Unser Standort in Braunschweig ist in Niedersachsen einzigartig, weil wir hier die Fachkräfte für die Überwachung der Lebensmittelherstellung ausbilden. Außerdem sitzt in Braunschweig das Staatliche Lebensmittel-Untersuchungsamt LAVES. Wenn jemand zum Beispiel sagt, ihm wurde schlecht, nachdem er irgendetwas gegessen hat, müssen Lebensmittelchemiker in der Lage sein herauszufinden, woran es lag. Es gibt Gott sei Dank nicht häufig Fälle, bei denen es tatsächlich die Lebensmittelsicherheit betrifft.
Was schätzen Sie persönlich an der Region?
Braunschweig ist eine liebenswerte Stadt. Ich schätze auch die Harz-Nähe, da ich sehr gerne wandere. Vor 27 Jahren war das hier noch Zonenrandgebiet und ein eher trauriger Fleck, aber inzwischen ist Braunschweig eine weltoffene Stadt mit viel Geschichte und einem schönen Stadtbild; auch die TU ist multikulti, was uns allen sehr gefällt.
Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie in die Lebensmittelchemie zog?
Ja, es gab ein Buch, das hieß „Iss und stirb: Chemie in unserer Nahrung“, das kam ein paar Jahre nach dem Seveso-Unglück raus, bei dem 1976 TCDD-Dioxin, eine chlorhaltige, hochgiftige organische Verbindung, in Italien in die Atmosphäre drang und mehrere tausend Hektar Land vergiftete. Pestizide waren seither im Fokus gesellschaftlicher Debatten. Ich hatte mich auch auf Jura beworben, habe da aber keinen Platz bekommen. In Lebensmittelchemie aber schon, was vielleicht ganz gut war. Ich werde jetzt 60 und es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die ich noch machen will in den kommenden Jahren.