Hier trifft Steve Jobs auf Viktor Frankl und Theodor W. Adorno – wir befinden uns in einem elfenbeinfarbenen klassizistischen Bau nahe dem Hauptgebäude der TU Braunschweig. Im Büro mit schönem Stuck, einem ehrwürdigen Balkon und vielen Büchern von Unternehmensführung, Pädagogik und Psychologie über Soziologie bis hin zur Philosophie erwartet uns Professor Dr. Dietrich von der Oelsnitz und erzählt, wie er zu seinem Fach gekommen ist:
„Mich interessierten schon immer wirtschaftliche Zusammenhänge; später dann auch der Mensch. Ursprünglich wollte ich Psychologie studieren. Daraus ist dann thematisch der Mensch innerhalb der Wirtschaft geworden.“ Seine Forschungsschwerpunkte bilden das Innovations- und Personalmanagement sowie die interne und externe Kooperationsforschung. In der Region bieten strategische Allianzen – beispielweise zwischen Automobilherstellern, die gemeinsam an einem Elektroantrieb arbeiten, ein wertvolles Forschungsobjekt. Zudem widmen sich von der Oelsnitz und seine Mannschaft der Teamarbeit innerhalb von Organisationen. Dabei binden sie auch spiel- und kognitionspsychologische Konzepte mit ein. Im Besonderen untersucht der Lehrstuhl mögliche Risiken von Teamarbeit sowie die Grenzen der traditionellen Personalführung, welche letztlich nach einem neuen Leitbild der Führung verlangen. Stichworte hier sind das Verblassen der formalen Positionsmacht („Expertokratie“) oder die Hinführung zu einer individualisierten, wachstumsorientierten Führung im Lichte eines stärkeren Sinn- und Innovationsbezugs der Arbeit. Beim strategischen Talente-Management greift das Institut auf die soziologische Expertenforschung zurück. In diesem Rahmen widmet sie sich beispielsweise der Frage, welche betrieblichen Handlungsstrategien geeignet sind, um Fachleute adäquat weiterzubilden, in die digitale Arbeitswelt zu integrieren und als Spitzenleister gezielt zu fördern.
Ist eine Anfrage aus der Praxis im Sinne der Forschung reizvoll, wird von der Oelsnitz auch beratend tätig – in der Region vor allem im Bereich Professional Services. Engere Kooperationen gibt es unter anderem mit Volkswagen, Siemens, den Niedersächsischen Landesforsten und der Unternehmensberatung Siemann. „Neben allen Gerechtigkeitsdebatten im Segment der niedriger Qualifizierten muss immer auch die Elite gefördert werden, schon um die Spitzenleute nicht an das Ausland zu verlieren. „Seit 1991 haben rund drei Millionen Deutsche der Bundesrepublik den Rücken gekehrt. Allein im vergangenen Jahr zog eine Million Bundesbürger fort – das ist Rekord in der jüngeren Geschichte. Überdurchschnittlich mobil sind dabei die Hochqualifizierten – Ärzte, Top-Ingenieure, Wissenschaftler“, konstatiert der Professor.
In der Lehre legt man am Institut viel Wert darauf, auch in die klassischen BWL-Massenvorlesungen einen persönlichen Bezug einzubringen, man animiert zum Austausch, um klassische Konzepte nach und weiterzudenken, statt sie unhinterfragt zu reproduzieren. „Die Studierenden reflektieren heute oft zu wenig, was gelehrt wird. Leider geht es nicht wenigen in erster Linie darum, ein Testat zu erlangen, die Eintrittskarte, um danach anständig zu verdienen. Die Inhalte selbst erscheinen da eher als Hürde denn als Inspiration“, sagt von der Oelsnitz, der auch kritisch auf die zunehmende Ökonomisierung der Hochschulen blickt. Es sei ein harter Kampf um Habilitationsstellen und immer mehr Studenten hätten Schwierigkeiten mit den Anforderungen, die ein selbstgesteuerter Studien- und Motivationsprozess nun einmal mit sich bringt. Die Rahmenbedingungen würden durch die Politik überdies eher verschlechtert. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Unabhängigkeit der Universitäten – und der akademischen Welt überhaupt – nicht auf dem Altar der Drittmittelzwänge opfern.“