Was ist eine gesunde Arbeitswelt?
Vor allem eine sinnstiftende. Dabei beziehen wir uns in der Forschung gern auf den Wiener Psychiater Viktor Frankl. Der war der Ansicht, man brauche ein Wozu im Leben. Statt von „Trieben“ spricht er von „Strebungen“! Viele Vorgesetzte fragen sich, warum die meisten Dienst nach Vorschrift machen. Das liegt daran, dass sie nach festen Regeln und verbindlichen Anweisungen handeln und zu wenig Freiraum haben, z.B. in ihrer eigenen Arbeit Sinn zu schaffen. Das Endprodukt verstehen sie oft nicht, den Kunden bekommen die meisten nie zu Gesicht. Dadurch ziehen sie sich emotional zurück und/oder werden krank.
Frustration und Überforderung sind Symptome der Arbeitswelt. Wie hängt das mit Burnout, Depressionen und Co. zusammen?
Man unterscheidet zwei Burnout-Typen. A, der Selbstverbrenner, der, der unbedingt Karriere (oder Leistung) will, im Hamsterrad läuft. Typ B ist ein passives Opfer der Umstände; er kann sich nicht gegen den Chef oder sinnentleerte, stupide Arbeit wehren. Grundsätzlich definieren wir uns zu sehr über unseren beruflichen Erfolg und nicht genug über ein glückliches Privatleben.
Wo liegt das Problem?
Stichwort implizite Motive – also was will der Mensch tatsächlich? Häufig steht das im Konflikt mit dem, was Eltern, Arbeitgeber oder die Nachbarn erwarten. Viele streben hierarchisch aufwärts, um danach Mitarbeiter führen zu dürfen, sind aber gar nicht gut darin bzw. wollen das „ganz tief drin“ auch gar nicht. Darin liegt großes Frustrationspotenzial und es raubt Energie. Ich glaube, wir sind in diesem Punkt zu sehr amerikanisiert.
Amerikanisiert?
… meint die amerikanische Businessdenke, die oft verbrämt wird durch Floskeln wie „Lebe deinen Traum“ – wer lebt als Schichtarbeiter bei Chrysler seinen Traum? Das kann vielleicht ein Mark Zuckerberg! Aber doch nicht die einfachen Mitarbeiter, die unter Druck sind. Ein hoher Lohn ist sicher nett, macht aber nicht glücklich oder gesund. Die glücklichste Region der Welt findet sich offenbar in Bhutan. Die berechnen kein Bruttosozialprodukt, sondern ein Bruttoglücksprodukt.
Trägt die wachsende Auswahl zum Stress bei?
Auf jeden Fall. Heutzutage bucht der Mensch eine Reise, könnte aber mit einem einzigen Mausklick noch eine schönere finden. Oder einen besseren Job, oder einen günstigeren Gebrauchtwagen oder … Die Multioption setzt die Menschen unter Druck. Früher musste man eine Frau aus dem Dorf heiraten, heute chattet man mit der Welt. Das ist die Ambivalenz der Moderne, oder wie Adorno sagte, die Dialektik der Aufklärung.
Wie sieht es mit dem Leistungsdruck aus?
Der wächst! Neuestes Phänomen: Upwork – eine webbasierte Stellenvermittlung für Hochqualifizierte. Dort bewerben sich Freelancer bei Firmen und machen sich absolut transparent. Da wird genau geguckt, wie viele Aufträge hat einer, hat er das Budget eingehalten, sind die Kunden zufrieden etc. … Die besten Zehn können enorme Honorare verlangen – fast alle darunter werden ausgebeutet. Da gibt es keinen Urlaubsanspruch oder Krankenausfallgeld. Rentenkasse ist auch nicht! Die Firmen freut es – sie sparen feste Arbeitsplätze und Lohnnebenkosten.
Was halten Sie von der Unternehmensführung im Silicon Valley?
Die dortigen Unternehmen wollen oft nicht, dass die Mitarbeiter ihre Neigungen und Rollen im Privaten ausleben. Sie bieten z.B. viele Freizeitmöglichkeiten, weil sie eine Totalinklusion wollen. Apple hat im neuen Hauptquartier in Cupertino ein riesiges Fitness-Studio für viele Millionen Dollar errichtet. Warum? Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit soll verschwinden. Letztlich lautet das amerikanische Credo noch immer „The Business of Business is Business“. Technologisch ist man im Silicon Valley natürlich Weltspitze. Auch von der Trial-and-Error-Mentalität der Amerikaner können wir uns etwas abschauen; in Deutschland sind wir hingegen sehr sicherheitsaffin. Das stiftet Ordnung und Identität, behindert aber leider oft die Fortentwicklung.