Herr Professor Goldmann, wie kam das Thema Recycling eigentlich in den Harz?
Der Harz ist eine klassische Rohstoffregion; ausgehend vom Rammelsberg haben sich viele Unternehmen im Bereich der wirtschaftsstrategischen Metalle entwickelt. Hier tummeln sich jede Menge Weltmarktführer: von ganz leichten Elementen wie Lithium (Firma Rockwood Lithium) bis hin zu den schweren Elementen wie Wolfram und Tantal (Firma H.C. Starck) und im Bereich der Elektronikmetalle Indium, Gallium, Germanium (Firma PPM Pure Metals).
Was sind die aktuellen Herausforderungen?
Recycling wird immer komplexer und bedarf langer Prozessketten und technologischer Kompetenzen. In der Region Westharz/Südniedersachsen entstand als Zusammenschluss von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und anderen Körperschaften bereits 2011 der Recycling-Cluster wirtschaftsstrategische Metalle Niedersachsen e.V. REWIMET, in welchem technologische Lösungen entwickelt und umgesetzt werden. Eine neue Initiative mit Schwerpunkt in der Region Wolfsburg-Braunschweig-Wolfenbüttel-Goslar-Clausthal-Hildesheim-Hannover konzentriert sich, initiiert von der TU Clausthal, der TU Braunschweig und der Ostfalia, auf die zunehmenden Herausforderungen für die informationstechnische Vernetzung der Recyclingsysteme – wir bezeichnen das als Recycling 4.0. Nun endet die Recyclingwelt nicht bei den Metallen und sie beginnt auch nicht erst bei den Recyclinganlagen. Auch der Konsument muss dazu gebracht werden, Abfallströme in die richtigen Kanäle zu lenken. Dieser Herausforderung nimmt sich eine Gruppe von Partnern an, die regional eng beieinander aber in drei Bundesländern liegen. Zusammen mit der Hochschule Nordhausen in Thüringen, der Hochschule Magdeburg Stendal sowie der Otto von Guericke Universität Magdeburg in Sachsen Anhalt und der TU Clausthal in Niedersachsen entsteht derzeit ein breitgefächerter Ansatz für die Recyclingregion Harz als Leuchtturmregion für Deutschland. Neben technischen, logistischen, wirtschaftlichen und ökologischen Kompetenzen kommt die Umweltpsychologie dazu.
Nehmen die Menschen das Thema nicht ernst genug?
Ingenieure entwickeln technische Lösungen, die darauf geprüft werden, ob sie ökonomisch, ökologisch und rechtlich umsetzbar sind. Doch nicht alle Ideen lassen sich dem Verbraucher vermitteln. Beim falschen Entsorgen von Handy, Batterie oder Energiesparlampe ist das Gewissen nicht schlecht genug. Bei vielen Stoffen ist es für den Laien auch nicht transparent. Wir müssen zu einer Recyclinggesellschaft werden.
Immer wird über die Endlichkeit fossiler Rohstoffe diskutiert – wie sieht es bei anderen aus?
Bei vielen nicht nachwachsenden Rohstoffen ist der kritische Bereich erreicht. Allen voran bei den wirtschaftsstrategischen Rohstoffen, also jenen, von denen keine großen Mengen benötigt werden, auf die wir aber angewiesen sind, wie Indium. Das Elektronikmetall ist existentiell relevant für Smartphones, LCD-Bildschirme, Photovoltaikanlagen usw. Da die primären Lagerstätten begrenzt sind und der Bedarf massiv steigt, müssen wir im Recycling aktiv werden.
Ist das Potenzial denn groß genug?
Mittlerweile sollen sich mehr als sieben Milliarden Handys mit Vertrag über die Erde verteilen. Das Verwerten ist komplex, denn in Smartphones ist mehr als das halbe Periodensystem verbaut. Bisher gewinnen wir nur wenige Elemente zurück. Gerade entwickeln wir Technologien wie am Fließband und verfolgen zwölf Projekte parallel, um möglichst viele Elemente zurückzugewinnen.
Wie weit ist die Forschung mittlerweile?
Wir sind in Deutschland noch immer Technologie-Weltmarktführer. Mit Japan, China und Belgien sind wir auf Augenhöhe und arbeiten eng zusammen. Auch andere Länder sind sehr gut beim Recycling von Massenabfällen; aber den Joghurtbecher zu recyceln ist nicht das, worauf es am meisten ankommt. Es geht um die Aktivitäten, die die relevanten Rohstoffe bergen.
Welche Herausforderungen birgt die Elektromobilität?
Seit langem beschäftigen wir uns mit der Aufbereitung von Lithiumionen-Traktionsbatterien. Die Anlagen müssen betriebsbereit sein, wenn der Verbrauch steigt, doch real sind die Abfallmengen noch gering – es ist eine enorme betriebswirtschaftliche Herausforderung, den richtigen Zeitpunkt für eine Investition zu wählen.
Ist es bei Ihrem Wissen um Ressourcenendlichkeit schwierig, mit der Wirtschaft zu kooperieren, die meist Produkte mit kurzen Lebenszyklen herstellt?
In puncto Ressourceneffizienz herrscht Konsens. Der nächste Schritt lautet Suffizienz – das heißt: Muss das alles sein? Doch Deutschland lebt wesentlich von der industriellen Produktion. Wenn wir Lebenszyklen verlängern, müsste der Warenoutput sinken – Arbeitsplätze gingen verloren. Aber der Trend vom Waren- zum Systemanbieter ist ohnehin vorgezeichnet. Im Automobilsektor entwickelt sich das bereits in vielfältiger Weise, zum Beispiel beim Carsharing. Auch VW betont die Wichtigkeit des Wandels vom Autohersteller zum Mobilitätskonzern.
Suffizienz – das klingt wie eine Drohung …
In Europa haben wir bei den Rohstoffen einen Pro-Kopf-Verbrauch von 43 Kilogramm pro Tag und Einwohner. Die USA liegen bei 88. In Asien und Afrika sind es elf bis vierzehn Kilogramm. Wir können Asien und Afrika aber nicht wachsenden Wohlstand und mehr Verbrauch verwehren. Das Ergebnis: Wir dürfen nicht bei 43 Kilogramm bleiben, denn dann bräuchten wir zwei Erden. Also heißt es für uns: Verbrauch runter! Prognosen sagen, tun wir das nicht, werden wir in den kommenden 50er Jahren massive Verteilungskriege erleben. Halten wir die Rohstoffe im Kreislauf und verbrennen sie nicht wieder, können wir aber auch hierzu einen notwendigen Beitrag leisten.