15. März 2018
Forschung & Technologie

„Geld ist die wichtigste Stellschraube auf dem Weg zur Gleichstellung!“

Henrike von Platen ist Gründerin und CEO des Fair Pay Innovation Labs

Henrike von Platen, Gründerin und CEO des Fair Pay Innovation Labs. Foto: Oliver Betke

Die Finanzexpertin Henrike von Platen ist Gründerin und CEO des Fair Pay Innovation Labs, das Unternehmen dabei unterstützt, Beschäftigte gerecht zu bezahlen. Sie engagierte sich zudem als Präsidentin der Business and Professional Women Germany e.V. viele Jahre für den Equal Pay Day und gründete den Investmentclub Hexensabbat. Über Fortschritt im Schneckentempo, dreckige Wahrheiten und eine riesige Party im Jahr 2020 sprachen wir mit ihr im Interview.


Aktuell liegt der Unterschied beim Bruttostundenverdienst zwischen den Geschlechtern in Deutschland bei 21 Prozent. Wie würden Sie das mit einfachen Worten einer Grundschulklasse erklären?

Stellt euch vor, alle Kinder in eurer Straße helfen dem Nachbarn, seinen Keller aufzuräumen – ihr legt gleich nach der Schule los und am Abend gibt es als Dankeschön Süßigkeiten: Die Jungs dürfen sich 10 Sachen aussuchen, die Mädchen 8. Am nächsten Tag helfen die Jungs das Auto zu waschen, die Mädchen putzen die Küche. Diesmal gibt es dafür Geld: Die Jungs bekommen 1 Euro für jede Stunde, die sie geholfen haben, die Mädchen 79 Cent. Unfair, oder?


Das dürfte für Kinderohren absurd klingen, oder?

Aber genau das passiert: Männer bekommen mehr Geld für die gleiche Arbeit – nicht weil sie besser sind oder härter arbeiten, sondern weil sie Männer sind. Kinder sehen ganz genau hin, ob es gerecht zugeht, gerade wenn es um Süßigkeiten geht. Sie verzichten lieber ganz, als unfairerweise weniger zu bekommen. Mit etwa acht können sie auch mal verzichten, damit es fairer für alle wird – ein Lernprozess, der nicht immer gelingt. Wie wir an der Arbeitswelt sehen!


Ausschlaggebend sind viele Faktoren: Frauen wählen häufiger soziale Berufe oder arbeiten in Teilzeit und schaffen es seltener in Führungspositionen als Männer …

Aber nur weil sich die Gründe für den Gender Pay Gap erklären lassen, ist die Ungerechtigkeit ja noch lange nicht aus der Welt! Die dreckige Wahrheit ist viel schlimmer – Frauen tragen in aller Regel deutlich weniger zum Haushaltseinkommen bei als Männer.


Was ist mit der Behauptung, Frauen würden schlechter verhandeln?

Frauen fragen genauso oft nach Gehaltserhöhungen wie Männer, bekommen sie aber seltener. Ihre Forderungen werden anders wahrgenommen als die der Männer. Entschlossene und selbstbewusste Männer gelten als kompetent und haben Erfolg, Frauen mit den gleichen Eigenschaften als arrogant oder schwierig. Noch schlimmer: Wir finden erfolgreiche Frauen nicht kompetent, sondern unsympathisch. Das alles hat nicht das Geringste mit dem Verhandlungsgeschick der Frauen zu tun, sondern mit unser aller Schubladendenken.


Welche Folgen hat die Lohnlücke?

Geld ist die wichtigste Stellschraube auf dem Weg zur Gleichstellung! Anders als oft angenommen, fallen Paare ja nicht freiwillig in alte Rollenstereotype zurück, etwa nach der Geburt des ersten Kindes. Im Gegenteil: Es ist meist eine Frage der Vernunft – wer weniger verdient, bleibt zuhause, und wer zuhause bleibt, verdient weniger. Ein Teufelskreis!


Wo steht Deutschland in Sachen Gender Pay Gap?

Der europäische Gender Pay Gap liegt bei durchschnittlich 16,4 Prozent, mit 21 Prozent belegt Deutschland den drittletzten Platz in Europa. Ein kleiner Gap heißt aber nicht unbedingt, dass alles besser ist: So hat Italien einen Gap von 5 Prozent. Der Grund: Nur sehr wenige Frauen sind berufstätig. Viele verlassen den Arbeitsmarkt nach der Heirat und tauchen in keiner Statistik mehr auf – das klassische Versorgermodell.


Von welchen Staaten können wir lernen?

In skandinavischen Ländern wie Island und Schweden wird viel für Transparenz und Vereinbarkeit getan: Verlässliche Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeitmodelle, Arbeit in Teilzeit oder im Home Office, das alles trägt zur Gleichstellung bei. Besonders Island ist in Sachen Lohngerechtigkeit ehrgeizig: Dort müssen Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten nachweisen, dass sie fair bezahlen.


Wie so oft sind die Skandinavier Vorreiter…

Auch in Großbritannien gibt es ein Gesetz, das Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten dazu verpflichtet, den Gender Pay Gap zu errechnen und zu veröffentlichen. Und in Ontario, Kanada, wurde ganz offiziell ein Pay Equity Office eingerichtet: Eine eigene Behörde, die über Lohngerechtigkeit wacht und Unternehmen unterstützt – großartig!

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