Herr Brüggemann, was macht die Digitalisierung mit der Produktion?
Sie hat einen enormen Einfluss, weil wir in immer mehr Bereichen Sensoren einsetzen können und so viele Informationen zur Verfügung haben, die es früher nicht gab.
Und was stellen Sie mit diesen Informationen an?
Wir können sie nutzen, um Vorhersagen zu machen: Wann eine Maschine ausfällt, wo zeitnah der nächste Arbeitsplatz frei ist, wo das Produkt hin muss, welchen Energiebedarf eine Anlage hat. Damit lassen sich Produkte sehr effizient und auch sehr kundenorientiert in einer Fabrik herstellen. Aber wir können natürlich schon viel früher starten – bei der Fabrikplanung.
Wie genau?
Hier kommen immer mehr Simulationstechniken zum Einsatz. Wir können das komplette Layout virtuell planen – bis hin zur Simulation von konkreten Abläufen bei Maschinen oder Robotern. So lässt sich vor dem Start virtuell ausprobieren, ob ein geplantes Produktionsdesign überhaupt so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat.
Inwiefern spielt Agilität zukünftig eine Rolle in der Produktion?
Eine noch stärkere, als jetzt auch schon. Die Produktion musste sich schon immer darauf einstellen, kundenorientiert Produkte zu liefern. Aber die Zeiten, die zur Verfügung stehen, werden immer kürzer.
Welchen Einfluss hat die Globalisierung in diesem Prozess?
Wir haben zunehmend globale Entwicklungsteams. Auch die Beschaffung von Einzelteilen findet global statt. Das heißt, es gibt Einzelteile aus China, Rumänien oder anderen Ländern, die wiederum an einem anderen Ort zusammengeführt werden müssen.
Übt die Globalisierung und die Entwicklung in anderen Ländern Druck auf die Produktionsabläufe in Deutschland aus?
Auf jeden Fall. Wir werden immer den Nachteil haben, ein Hochlohn-Land zu sein. Überall, wo wir manuelle Anteile haben, besteht die Gefahr, dass diese in Länder verlagert werden, in denen günstiger produziert werden kann. Das führt zu einem größeren Automatisierungsdruck, als in anderen Ländern.
Gibt es in der Region Unternehmen, die Vorbilder in Sachen Digitalisierung sind?
Wir sehen, dass im Volkswagen Konzern ein gewaltiger Umbruch stattfindet. Die Digitalisierung gewinnt in allen Prozessen an Bedeutung. Die kleineren und mittelständischen Unternehmen sind meiner Ansicht nach etwas zurückhaltender.
Warum?
Mit der Digitalisierung sind Investitionen verbunden und ein hoher Qualifikationsbedarf. Das können kleinere Unternehmen viel schwerer stemmen.
Sie beraten auch Unternehmen …
Wir sind Industrie 4.0-Testumgebung. Unternehmen können sich an uns wenden und wir probieren gemeinsam Sachen aus und beraten. Beispielsweise haben wir gemeinsame Projekte mit MKN aus Wolfenbüttel oder Glaub in Salzgitter im Bereich der Automatisierung mit Robotern. Außerdem gibt es einige Projekte im Bereich der additiven Produktion. Wir haben hier an der Ostfalia das Zentrum für additive Fertigung (ZaF), welches circa 30 verschiedene 3D-Drucker unterschiedlicher Technologien umfasst.
Wo sehen Sie mögliche Einsatzgebiete, an die man nicht direkt denkt?
Mit dem 3D-Druck sind ganz andere Konstruktionen möglich. Ein einfaches Beispiel, welches mein Kollege Professor Dr.-Ing. Andreas Ligocki gerne vorstellt: Eine Trillerpfeife hat ein Kunststoffgehäuse, da ist eine kleine Kugel drin. Normalerweise musste man zwei Gehäusehälften und eine Kugel fertigen, die Kugel hineinlegen und dann das Ganze verschweißen. Mit einem 3D-Drucker kann man die Pfeife komplett drucken – mit der Kugel innerhalb eines Gehäuses. Das bietet große Chancen.
Wie steht es um die Arbeitsplätze von Menschen, die am Fließband arbeiten?
Die Automatisierung wird dazu führen, dass einige davon wegfallen, aber sie ist auch eine Chance. Die Eisenbahn hat die Kutscher überflüssig gemacht, aber zugleich ein Wirtschaftswachstum mit völlig neuen Arbeitsfeldern angestoßen. Eine ähnliche Hoffnung können wir mit der Digitalisierung verbinden. Sie ist außerdem alternativlos.
Weil wir sonst abgehängt werden?
Natürlich. Wenn wir es nicht schnell genug schaffen, unsere Abläufe zu digitalisieren, werden wir auf jeden Fall einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern haben und nicht nur einzelne Arbeitsplätze verlieren, sondern viele.
Was kommt nach der Industrie 4.0?
Es wird ein neues Schlagwort geben. Wobei mir wichtig ist, dass ältere Trends nicht weniger bedeutend sind, weil ein neuer aufkommt. Lange Zeit war Lean Management ein wichtiges Thema in der Produktion und es ist immer noch aktuell. Denn ein digitalisierter schlechter Prozess bleibt ein schlechter Prozess.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung für eine klimafreundliche Produktion?
Klimaschutz ist ein genauso wichtiges Thema, wie die Digitalisierung. Wenn wir die klimapolitischen Ziele erreichen wollen, die sich Deutschland vorgenommen hat, dann müssen wir in allen Bereichen viele Abläufe verbessern und klimafreundlicher gestalten. Da gibt es noch viele Potenziale. Lange waren die Energiekosten viel zu niedrig, als dass es sich für Unternehmen gelohnt hätte, tatsächlich in effizientere Maßnahmen zu investieren.
Das heißt, höhere Preise sind erforderlich?
Höhere Energiekosten führen dazu, dass eher in energieeffizientere Technologien investiert wird, weil diese sich schneller amortisieren. In der Regel ermöglichen die energieeffizienteren Technologien auch eine höhere Produktivität und bieten volkswirtschaftlich einen Vorteil. Nicht umsonst haben gerade Japan und Deutschland, also zwei Länder mit hohen Energiekosten, weltweit eine der höchsten Produktivitäten.
Ist das Ziel des Braunschweiger Masterplans realistisch und welchen Beitrag können die Unternehmen leisten?
Ja, wenn alle Beteiligten mitspielen. In der Politik, in den Gemeinden und in den Unternehmen. Tatsächlich tauchen die Unternehmen im Masterplan nur untergeordnet auf, obwohl sie viel tun können, zum Beispiel selbst regenerative Energie erzeugen. Auf der anderen Seite können sie natürlich Energien einsparen, indem Abläufe energieeffizienter gestaltet werden. Am Institut angekoppelt ist die Niedersächsische Lernfabrik für Ressourceneffizienz. Dies ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, die Ressourceneffizienz in Unternehmen zu fördern. Wir führen eine ganze Reihe von Schulungen durch und stellen immer wieder fest, dass das Potenzial zur Energieeinsparung meist unterschätzt wird.
Können Sie konkrete Zahlen nennen?
Ein Elektroschrauber benötigt zum Beispiel 90 Prozent weniger Energie, als ein Druckluftschrauber. Das überrascht viele.
Gibt es weitere Beispiele?
Bei der Beleuchtung ist es ähnlich. Eine LED-Lampe verbraucht etwa 40 Prozent weniger, als eine Industrielampe, gepaart mit einer sinnvollen Lichtsteuerung sind noch einmal 10 bis 20 Prozent Einsparpotenzial drin.
Wie energie- und ressourceneffizient arbeiten die Unternehmen in der Region?
Es gibt einige Leuchttürme. Wir haben beispielsweise in Braunschweig Solvis oder die Firma Oeding, die ein Energieplus-Gebäude hat, welches grundsätzlich mehr Energie produziert, als es verbraucht. Möhlenhoff in Salzgitter hat auch schon viele Maßnahmen umgesetzt.
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat im Sommerinterview gefordert, dass wir beim Klimaschutz den Turbo anschalten müssen. Welchen Beitrag kann Ihr Institut leisten?
Sie hat auch gesagt „Klimaschutz kostet“, das fand ich nicht gut. Man müsste eher sagen: „Kein Klimaschutz kostet mehr.“ Denn wir verlagern momentan nur die Kosten auf andere Bereiche oder auf zukünftige Generationen. Das Institut unterstützt Unternehmen, Energie einzusparen und wir freuen uns über jeden, der auf uns zukommt.
Das Institut für Produktionstechnik (IPT) an der Ostfalia beschäftigt sich mit Möglichkeiten, die zukunftsorientierte Themenbereiche wie Digitalisierung und Lean Production für die Produktion in der Fabrik der Zukunft bieten. Diese ist durch Vernetzung und zunehmende Sensorik wie Robotik geprägt, kann effizient und klimafreundlich produzieren und die individuellen Kundenwünsche durch additive Verfahren bedienen. Das IPT sieht sich dabei als Partner der Industrie, um Unternehmen bei der Einführung dieser neuen Technologien zu unterstützen.