Herr Dueck, bei IBM galten Sie als „Wild Duck“. Wie viele Querdenker gibt es heute in deutschen Unternehmen und wie viele Mitarbeiter dürfen überhaupt noch denken?
Querdenken darf man schon, man muss sich aber durchsetzen. Ich habe damals viele E-Mails von großen DAX-Konzernen bekommen. Eine große Autofirma hat geschrieben: „Bei uns brauchen wir auch sowas, aber du würdest sofort gefeuert werden“. (lacht)
Sie sprechen von einer Wirtschaft ohne Mitte. Also wenigen Meistern und vielen Handlangern, die nur ausführen …
Dahin entwickeln wir uns seit Jahren …
… mit welcher Folge?
Stellen Sie sich vor, Sie hätten nur noch die Bundesliga und Dorfvereine, aber nichts dazwischen. Wo soll die Bundesliga dann ihren Nachwuchs rekrutieren?
Gute Frage!
Ich kenne beispielsweise eine große Beraterfirma. Die wollen jetzt alles nach Indien ausgliedern – das Doing, Hosting, Cloud Computing. In Deutschland sind dann nur noch die Star-Berater, die mit den Kunden die Verträge aushandeln. Aber was passiert mit diesem Modell in der Zukunft? Aus den Indern können keine Berater werden, das scheitert bereits an den Sprachbarrieren.
Anlässlich der vergangenen Bundestagswahl haben Sie über Deutschland geschrieben, der Lack sei ab. Wie schlimm ist es wirklich?
Die Wirtschaft ist wahrscheinlich in einem guten Zustand, weil wir immer noch von mittelständischen Unternehmen getragen werden.
Das „noch“ klingt ein wenig nach Old Economy …
Ja, das ist viel Maschinenbau, Unternehmen wie Liebherr oder Kärcher. Davon gibt es sehr viele, aber die arbeiten leider nicht zusammen.
Warum sollten sie?
Ganz einfach. Wenn so viele Hidden Champions isoliert nebeneinander arbeiten, fehlt die Plattform, die Angebote zusammen denkt und weiterentwickelt, zum Beispiel das Thema Smart Home. Wir haben vielleicht die besten Thermostat- und Kühlschrankhersteller der Welt in Deutschland, aber was nützt das, wenn ein anderer die App entwickelt, die am Ende die Heizung oder das Gefrierfach regelt …
… und sich damit das Geschäft schnappt!
Genau. Viele Unternehmen haben sonnige Vorstellungen. Einerseits behaupten sie, dass 100 Jahre Erfahrung notwendig seien, um tolle Produkte zu bauen – andererseits tun sie so, als ob man von heute auf morgen neue Geschäftsfelder erschließen kann. Aber das funktioniert nicht. Wer den Slogan „Vorsprung durch Technik“ ernst nimmt, muss sich auch eingestehen, dass wir aktuell bei vielen Zukunftsthemen schlecht sind.
Ein Beispiel wäre toll!
Nehmen Sie selbstfahrende Autos. Wir diskutieren noch über die ethischen Folgen und an anderen Orten fahren sie bereits. Fakt ist, dass die häufigsten Unfallursachen ein zu geringer Abstand, zu schnelles Fahren und Alkohol am Steuer sind. Das alles können sie durch Algorithmen ausschließen. Wir könnten viele Menschen retten, haben aber stattdessen Angst vor dem Roboter.
Gibt es zu viel Skepsis in diesem Land?
Man diskutiert sehr viel …
… und sollte stattdessen?
Wir sollten uns auf den Weg machen. Erst kam der Computer, dann gab es Viren und schließlich haben wir Anti-Viren-Software erfunden. Fortschritt ist immer eine Spirale zwischen Räuber und Gendarmen. Manchmal verstehe ich die Menschen aber auch nicht. Einerseits regen sie sich darüber auf, dass sie von Facebook für ein paar Euro Werbevolumen geprellt werden und nehmen es andererseits ruhig hin, wenn man sie gerade beim Diesel-Fahrzeug um 3.000 Euro „bescheißt“.
Deutliche Worte!
Dafür gibt es ja zahlreiche Beispiele. Bei der Bank zahlen Sie fünf Prozent Aufgabeaufschlag auf Investmentfonds. An der Börse gibt es den nicht. Ich würde Ihnen also raten – kaufen Sie an der Börse. Stattdessen gehen Sie aber zur Bank. Fünf Prozent sind bei 20.000 Euro immerhin 1.000 Euro. Und trotzdem bleiben alle seelenruhig.
Die kollektive Unwissenheit bei Finanzthemen ist nichts Neues, oder?
Stimmt, wir gehen einfach zu einem Berater und unterschreiben, was der sagt. Und dann stehen hin und wieder Skandale in der Zeitung. Es gibt mittlerweile einfach bekannte Sünden, an die wir uns gewöhnt haben und gleichzeitig kultivieren wir die Angst vor allem Neuen. Das macht mich schon wütend!