Dr. Wiebke Ankersen ist Geschäftsführerin der AllBright Stiftung, die sich für mehr Gleichstellung in der Wirtschaft einsetzt. Warum Deutschland hier mal wieder den Skandinaviern hinterher hinkt, Diversität anstrengend, aber ökonomisch geboten ist und am Urinal keine Innovationen entstehen, verriet sie uns im Interview am Rande einer Veranstaltung des AGV.
Frau Ankersen, wenn man die Frauenquote als politisches Signal an die Wirtschaft versteht – ist es Ihnen dann deutlich genug ausgefallen?
Die Quote umfasst lediglich die Aufsichtsräte von rund 100 Unternehmen, die sie peu à peu umsetzen. Ein wichtiger Nebeneffekt ist aber, dass die Unternehmen lernen mussten, Frauen zu finden, die angeblich vorher nicht da waren. Jetzt stellt man fest, dass es sie gibt und dass sie nicht weniger qualifiziert sind als die Männer.
118 von 160 DAX-Unternehmen haben derzeit keine Frau im Vorstand, die meisten von ihnen planen laut Ihrem Bericht auch nicht, etwas daran zu ändern. Welche Gefühlsregung löst dieses Ergebnis in Ihnen aus?
Das war wirklich niederschmetternd. Wir haben uns die freiwilligen Zielgrößen der Unternehmen angeschaut und 110-mal im Geschäftsbericht den Satz gelesen: „Daher setzen wir uns als Ziel, Null Frauen im Vorstand zu haben.“ Man kann ja an Zielen scheitern, aber sollte sich doch wenigstens welche setzen.
Warum dieses Schneckentempo? Was sind die größten Bremser der Entwicklung?
Wir sehen zwei Geschwindigkeiten. Beim überwiegenden Teil der Unternehmen passiert gar nichts, bei einigen bewegt sich aber eine ganze Menge. Gerade die großen DAX-Konzerne gehen den Umbau massiv an und werden sowohl weiblicher, als auch internationaler. Die anderen schauen sich das an und zögern, übrigens nicht nur beim Thema Gleichstellung …
… sondern?
Das sind die gleichen Unternehmen, die gerade die Digitalisierung verschlafen. Man schreckt dort vor der Anstrengung der Veränderung zurück. Jeder ernsthafte Change-Prozess kostet Kraft und wer wirklich Fortschritt möchte, sollte nicht nur die eine
oder andere Frau einstellen, sondern lieber gleich die gesamte Unternehmenskultur hinterfragen.
Change in Paradise – geht es der deutschen Wirtschaft für einen Wandel zu gut?
Ja, man glaubt und hofft, dass man noch möglichst lange so weitermachen kann. Aber die Welt hat sich verändert und dreht sich viel schneller und unvorhergesehener als früher. Schauen Sie sich die Krisen in der Finanz- oder Automobilbranche an. Das hat niemand vorausgesehen.
Zahlreiche Studien zeigen, dass Unternehmen mit gemischten Führungsteams innovativer, anpassungsfähiger und schließlich profitabler sind. Seit wann verteidigen Unternehmen eigentlich geschäftsschädigende Strukturen?
Die ganze Geschichte steht und fällt mit der Unternehmensführung. Wenn hier die Erkenntnis fehlt, dass ein Wandel betriebswirtschaftlich notwendig ist, passiert gar nichts. Es ist übrigens ein sehr deutsches Phänomen, in diesen althergebrachten Strukturen zu verharren. Wir beobachten auch die Unternehmen in Schweden und können hier ganz gut einen Vergleich ziehen. Dreiviertel der deutschen Unternehmen haben keine Frauen im Vorstand, in Schweden ist es nur ein Viertel.
Die Deutschen hinken also mal wieder den Skandinaviern hinterher. Was sagt das über unser Land?
Dass es wahnsinnig männlich dominiert ist. Bei uns machen Männer Politik für Männer und Wirtschaftsführer befördern – bewusst oder unbewusst – Karrieren von Männern. Die Schweden haben uns vier Jahrzehnte Veränderungswillen voraus. Dort ist der Gleichstellungsgedanke stärker in der Gesellschaft verankert und die kleinste Einheit immer das Individuum. Man ist dem Fachkräftemangel in den 70er Jahren begegnet, indem man das Ehegattensplitting abgeschafft hat …
… und in Deutschland?
Als die Volkswirtschaft Arbeitskräfte brauchte, hat man sie im Ausland gesucht. Es gilt weiterhin das Primat der Familie und gleichzeitig führt man eine Quote für Topmanagerinnen ein. Aber wo sollen die denn herkommen, wenn ein Großteil der Frauen in geringer Teilzeit arbeitet? Das sind sehr widersprüchliche Signale.
Hört sich danach an, als ob wir nicht nur einen, sondern mehrere Steine ins Rollen bringen müssten …
Absolut richtig. Die aktuelle Situation wird an vielen unterschiedlichen Stellen gestützt.
Die AllBright Stiftung stellt mit schwarzen Listen Unternehmen ohne Frauen in den Vorständen an den Pranger. Warum ist das der richtige Weg?
Wir zeigen Unternehmen, wo sie stehen. Daran können sich auch Arbeitnehmer und Investoren orientieren. Ein Beispiel: BlackRock, der größte unabhängige Vermögensverwalter der Welt, hat das Thema Diversity als eine von fünf Top Priorities festgelegt. Es ist also eine Gefahr für Unternehmen, es nicht ernst zu nehmen. Außerdem sind Manager oft sehr kompetitiv eingestellt und fühlen sich durch schlechte Platzierungen motiviert.