2. September 2020
Impulse

New Work trifft Old Economy

Wie und wo wir gern arbeiten würden ...

Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Unternehmen in Sachen Arbeitsorganisation um Jahre in die Zukunft katapultiert. Foto: stokkete – Adobe Stock.

Ganz gleich ob im Büro oder als Vertriebler auf der Autobahn, wir arbeiten auch jenseits der Hochöfen und Blechpressen immer noch ähnlich starr wie die Kollegen im Schichtsystem. „Nine to five“ sagen die US-Amerikaner, bei uns müsste man richtigerweise wohl von „seven to three“ oder bei den Spätaufstehern „eight to four“ sprechen. So oder so, acht Stunden täglich, am Stück mit wohldefinierten Pausen, von Montag bis Freitag, trifft man uns am Arbeitsplatz. Vielleicht gibt es Gleitzeit, „aber mein Chef steht da nicht so drauf“, erzählte mir neulich eine Führungskraft. „Übrigens genauso wenig, wie auf Homeoffice“, schob er nach. Zu Hause arbeiten hört sich für einige Kollegen und Vorgesetzte eben selbst inmitten der digitalen Transformation noch nach einer Mischung aus Überstundenabbau und Krankfeiern an, jedenfalls bis Covid-19 kam.

Das Virus zwingt die Wirtschaft in eine historische Rezession, hat zahlreiche Unternehmen in Sachen Arbeitsorganisation aber zugleich Jahre in die Zukunft katapultiert. Über Nacht wurde mobiles Arbeiten ermöglicht und soll nach guten Erfahrungen vielerorts verstetigt werden. „Das ist ja auch ein Thema, das einen großen Schub mit der Corona-Krise bekommt. Wir haben zum Beispiel das mobile Arbeiten nochmal massiv hochgefahren. Das gilt es jetzt als ein gestalterisches Element in die Zukunft zu überführen“, sagte beispielsweise Bertrandt-Geschäftsführer Michael Schulz im Titelinterview der vergangenen Ausgabe. Und Gordon Firl, Geschäftsführer der Madsack Medien Ostniedersachsen GmbH & Co. KG betonte gegenüber Standort38: „Wir haben über fünf Wochen lang jeden Tag eine Zeitung inklusive der Markenportale nicht mehr aus den klassischen Büros gemacht und bespielt. Die Redakteure saßen in ihren Arbeitszimmern, Gartenhäusern oder Kellern – wo auch immer. Und das hat von den Lesern niemand gemerkt.“

Wie arbeiten wir heute in der Region, wo würden wir gern produktiv sein und welche konkreten Angeboten wünschen wir uns von den Arbeitgebern, um Job und Privatleben besser miteinander zu vereinbaren? Der letzte Teil unserer 100aus38-Befragung verrät mehr …

Ein kleines bisschen flexibel …
Die meisten der Befragten arbeiten in Gleitzeit mit Stundenerfassung (67,1 Prozent), danach folgen die Gleitzeit ohne Dokumentation (14,4 Prozent) sowie die noch relativ neue Funktionsarbeitszeit ohne feste Anwesenheit (11,0 Prozent), die ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit in den einzelnen Teams erfordert. Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten sind kaum verbreitet.

Verantwortung ist viel Arbeit …
… und das allein nicht wirklich neu. Die Korrelation zwischen den Arbeitszeitmodellen und Wochenarbeitsstunden bringt diesen Zusammenhang aber noch einmal erstaunlich deutlich zum Vorschein. Bei der Funktionsarbeitszeit, die übrigens vor allem im Handel / E-Commerce, bei den IT-Dienstleistern und in der Energiebranche verbreitet ist, arbeiten gut 40 Prozent der Befragten mehr als 50 Stunden pro Woche. Für die Unternehmen hat dieses Prinzip einige Vorteile, weil es die Verantwortung für die Erreich- und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter an diese selbst delegiert. Das kann gut funktionieren, braucht aber Regeln. Sonst wird die vermeintlich gewonnene Freiheit am Arbeitsplatz schlimmstenfalls zum Eigentor für die Arbeitnehmerseite. Auf dem Bewertungsportal kununu heißt es dazu: „Die Grenze zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmt so immer mehr und wenn du nicht rechtzeitig aufpasst, dann findest du dich bald in einem Sog aus Überstunden und Mehrbelastung wieder.“ Das gilt natürlich ebenso für die Arbeitnehmer ohne Stundenerfassung. Immerhin 17,4 Prozent von ihnen arbeiten laut der exklusiven 100aus38-Ergebnisse 50 Wochenstunden oder mehr. Wenn die Arbeitszeiten dokumentiert sind, sinkt der Anteil, der Vielarbeiter (über 50 Stunden) auf 4,3 Prozent.

Arbeitszeiten von 50 Stunden oder mehr
40,4 Prozent 
Funktionsarbeitszeit ohne feste Anwesenheitszeiten
4,3 Prozent Gleitzeit mit Stundenerfassung
17,4 Prozent Gleitzeit ohne Stundenerfassung

Keine Angst vor der Freiheit …
… ihrer Mitarbeiter sollten Unternehmen haben. Denn auch unsere 100aus38-Befragung zeigt: Mitarbeiter wollen in erster Linie an ihrem traditionellen Arbeitsplatz ihrem Job nachgehen. 51,5 Prozent der Arbeitszeit würden die Befragten im Schnitt dort verbringen, wenn sie es sich frei einteilen könnten und nicht zu digitalen Nomaden mutieren. 82,5 Prozent von ihnen wären dann 20 oder mehr Stunden pro Woche im Unternehmen. Immerhin 34,8 Prozent der Arbeitszeit würde auf das Homeoffice entfallen und jeweils 5,5 Prozent bei den Pendlern auf den Arbeitsweg (ÖPNV) sowie 8,3 Prozent auf einen alternativen Wunschort. Was sich dahinter verbirgt? Lesen Sie selbst …

Offene Nennung Wunschorte
Zweitbüro (in Wohnungsnähe), Außendienst, bei Kunden, ambulante Betreuung, Café, Restaurant, Boot, beim Sport, auf Dienstreise/unterwegs, Park, Geschäftsstelle vor Ort, Wohnmobil, autonomes Fahrzeug, Wohlfühlort auf dem Firmengelände, Bibliothek, Co-Working-Space, wechselnde Standort/ je nach Terminlage

Zuhause, Urlaub und Familie
Doch Arbeitszeiten und -orte sind nur zwei Faktoren, die ein zeitgemäßes Arbeitsumfeld ausmachen. Wir wollten von den Befragten deshalb außerdem wissen, welche weiteren Angebote sie nutzen würden, um Job und Privatleben besser vereinbaren zu können – unabhängig davon, ob dies beim aktuellen Arbeitgeber schon möglich ist oder nicht. Auch hier zeigt sich – Homeoffice ist besonders gefragt (58,3 %), ebenso die Option von zusätzlichen Urlaubstagen (44,9 %) und flexible Arbeitszeitmodelle (34,5 %). Aber auch eine Kinderbetreuung am Arbeitsplatz (15,3 %) sowie Hilfe bei der Betreuung von Angehörigen (14,1 %) geben noch relativ viele Arbeitnehmer an, wenn man die zunächst kleinere Gruppe derer bedenkt, die entsprechende Themen überhaupt betreffen.

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