Als exportorientiertes Industrieland mit wenigen eigenen Rohstoffen ist Deutschland, und damit auch unsere hochindustrialisierte Region, wie kaum ein anderer Staat auf stabile globale Märkte angewiesen. Doch die Welt ist in Bewegung. Wir haben sieben Regionen identifiziert, auf die Entscheider:innen in diesem Jahr ein Auge werfen sollten.
USA
Die USA sind Unsicherheitsfaktor und Stabilitätsgarant der Weltwirtschaft zugleich. Während US-Präsident Joe Biden die Vereinigten Staaten als sicherheitspolitischen Anker wieder auf die atlantische Bühne geführt hat, bleibt die innere Lage unruhig. Demokraten und Republikaner stehen sich feindselig gegenüber, beide Parteien sind auch im Inneren in unversöhnliche Lager gespalten. Zudem geraten die EU und USA in Handelsfragen zunehmend aneinander. Wenngleich das Lied über das Ende der amerikanischen Ära oft geschrieben, aber nie gespielt wurde, wird 2023 wieder einmal ein wichtiges Jahr. Biden wird mit seinen 80 Jahren wohl nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten.
Dabei können sich die ökonomischen Kennzahlen derzeit durchaus sehen lassen: Die Arbeitslosenquote sinkt, die Löhne steigen und der Inflation will die US-Notenbank mit einem Leitzins von mittlerweile 4,25 bis 4,5 Prozent an den Kragen. Biden hat als Präsident also durchaus wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. Der Skandal um Geheimakten in seiner privaten Garage dürfte ihn jedoch schwächen. Wenn Chaos in den beiden Häusern herrscht, könnte aus dem Präsidenten schnell die vielbeschworene Lame Duck werden. Trotz beschlossenen Milliardenpaketen für Infrastruktur und grüne Transformation dürfte das für die amerikanische Wirtschaft nichts Gutes bedeuten.
Großbritannien
Guess who’s back: Nach politisch wie wirtschaftlich chaotischen Jahren ist eine Mehrheit der Briten für eine Rückkehr in die EU. Auch wenn die Rolle rückwärts so schnell nicht zu bewerkstelligen ist, wird 2023 ein entscheidendes Jahr: Kann der Konservative Rishi Sunak das Chaos beenden oder werden die Torys doch stürzen? Oder anders: Kommt Deutschlands achtwichtigster Exportmarkt endlich zur Ruhe?
Die Warenexporte aus Deutschland nach Großbritannien stagnieren laut Statistischem Bundesamt.
Zudem liegt die Inflation auf der Insel mit zehn Prozent auf stabil hohem Niveau, sodass der Pfund gegenüber dem Euro weiter an Wert verliert. Auch die Konsumstimmung bleibt gedrückt. Nachdem die Regierung im Januar ankündigte die Energiepreishilfen für Unternehmen zu kürzen, besteht zusätzliche Verunsicherung in der britischen Wirtschaft. Auch der Mangel an Fachkräften im Logistiksektor scheint auf absehbare Zeit nur schwer zu beheben. Insgesamt bleibt die Lage nördlich des Ärmelkanals also angespannt.
Südwestafrika
Von kaum einer Region ist die Transformation der Automobilindustrie so abhängig, wie der zwischen Südatlantik und den großen Seen Afrikas. Seit Winter 2022 rutscht die Demokratische Republik Kongo unter Einmischung ihrer Nachbarstaaten zunehmend in einen unübersichtlichen Bürgerkrieg zwischen diversen konkurrierenden Rebellengruppen und der Regierung in Kinshasa. Aus dem notorisch instabilen Land stammen aber nicht unerhebliche Mengen seltener Erden und Metalle, die für Batteriezellen gebraucht werden.
Aktuell kommen laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und der Deutschen Rohstoffagentur rund 60 Prozent des weltweit verbrauchten Kobalts aus der Demokratischen Republik Kongo, größtenteils als Nebenprodukt des Nickel- und Kupferbergbaus. Der Preis für das Metall ist schon seit Jahren volatil – zwischen Januar 2016 und Oktober 2022 schwankte er zwischen 23.206 US-Dollar je Tonne vor dem Beginn des E-Auto-Booms und 90.000 US-Dollar im Mai 2018 in der Spitze. Nach mehreren Hochs und Tiefs pendelte er sich im Oktober 2022 bei 51.260 US-Dollar ein. Sollte der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo weiter eskalieren, dürfte der Kobaltpreis neue Höhenflüge erleben.
Der Nahe und Mittlere Osten
In Mittel- und Westasien ist so viel Bewegung wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Die islamische Republik Iran gerät unter dem Druck junger Menschen, allen voran Frauen, ins Wanken. Dazu bleibt die Türkei durch Inflation, stagnierendes Wachstum und erneute Angriffe auf Kurden im Irak und Syrien schwer berechenbar. Saudi-Arabien versucht zwischen wirtschaftlicher Transformation, islamistischer Gesellschaftsordnung und Annäherungskurs mit Israel seine Rolle als Regionalmacht zu stärken. Dazwischen liegen bettelarme Staaten wie Syrien, der Irak und Libanon, die um ihre pure Existenz ringen. Die Region bleibt im neuen Jahr ein Unsicherheitsfaktor, auch für die wichtigen Handelswege am Suez-Kanal, dem Roten Meer und dem Persischen Golf.
Allein an der Straße von Hormus, durch die etwa ein Fünftel des weltweit gehandelten Öls transportiert wird, stehen sich Saudi-Arabien und der Iran in einem Kalten Krieg gegenüber. 2020 bewies Saudi-Arabien, wie leicht der Wasserweg zu sperren ist. Besonders für die 2022 vereinbarten Gaslieferungen aus den Golfemiraten nach Deutschland ist die Freiheit des Handelswegs von entscheidender Bedeutung. Gleiches gilt für das Rote Meer und den westlichen Indischen Ozean, wo die beiden großen Regionalmächte um Einfluss konkurrieren.
Russland
Der von Russland gegen die Ukraine geführte Angriffskrieg scheint so schnell nicht zu enden – so sehr wir uns das auch wünschen. Und auch danach ist mit einer schnellen Normalisierung der Beziehungen mit Russland nicht zu rechnen. Die EU wird wohl ihren Autarkiekurs mit Blick auf Energie fortsetzen. Für Unternehmen in diesem Bereich bedeutet das große Investitionschancen, sollten sich die globalen Lieferketten erholen. Zugleich geraten verschiedene Konzerne immer wieder in die Kritik, weil sie ihr Russlandgeschäft fortsetzen, darunter Continental, New Yorker und Volkswagen.
Währenddessen macht Russland keine Anstalten, sich aus dem Nachbarstaat zurückzuziehen. Die Hinweise auf eine neue Mobilisierungswelle verdichten sich, zugleich wird die Industrie des flächenmäßig größten Staates der Erde zunehmend auf Kriegswirtschaft umgestellt. Währendessen befindet sich die russische Wirtschaft im freien Fall. 2023 könnte das Jahr werden, in dem sich die Russische Föderation endgültig als entscheidender Akteur aus der globalisierten Wirtschaft verabschiedet.
Australien und Ozeanien
Während China und Russland als Märkte unsicher oder zu strategischen Gegnern des Westens werden, sucht die EU Alternativen. Seit 2018 verhandelt der Staatenbund mit ‚Down Under‘ über ein neues Freihandelsabkommen. Im Februar steht die nächste Gesprächsrude an. Australien gilt wegen seiner großen Wüstengebiete als aussichtsreicher Wasserstofflieferant für die EU.
Die Europäische Union ist schon jetzt nach China der zweitwichtigste Handelspartner Australiens. Neben dem großen Potenzial für grüne Energien, das vor allem über Solarenergie zu heben sein wird, ist Australien besonders im Bergbau ein interessantes Land für die deutsche Industrie. Ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung schöpft der Inselstaat aus dem Abbau von Eisenerz, Gold, Kohle und anderen Rohstoffen.
China
Taiwan, Corona, Indien, der brutale Umgang mit den Uiguren, Immobilienblase, aggressive Expansion, Ideendiebstahl: Die Liste von Chinas Krisen und internationalen Verstimmungen wächst und bringt das Reich der Mitte zunehmend auf Konfrontationskurs mit dem Westen und seinen Verbündeten. Sogar Japan rückt ein Stück weit von seiner pazifistischen Grundhaltung ab und kündigt Milliardenpakete zur Revitalisierung der eigenen Halbleiterindustrie und zum Ausbau seines Militärs an. Stimmen, die nach Entflechtung rufen, werden lauter. Gerade für Volkswagen ist der chinesische Markt jedoch von entscheidender Bedeutung. Sollte China 2023 zunehmend konfrontativ auftreten, könnte das den Wolfsburger Autobauer anschlagen und damit die ganze Region finanziell ins Straucheln bringen.
Dabei ist Chinas Auftreten nicht nur nach Außen zunehmend aggressiv. Staatspräsident Xi Jinping weicht seine No-Covid-Strategie zwar auf , baut zugleich aber seine fast absolute Herrschaft und die massenhafte Überwachung weiter aus. Die Vergleiche mancher Analysten mit Mao Ze Tung werden lauter. Die niedrige Impfquote im Land hat Einreisebeschränkungen für Chinesen in vielen westlichen Staaten, Chaos an den Überseehäfen Ostasiens und geschlossene Fabriken zufolge. Andere Staaten in Südostasien versuchen in die Bresche zu springen. 2023 könnte das Jahr markieren, in dem sich Chinas Status von der Werkbank der Welt zum großen strategischen Gegner des Westens wandelt.