19. April 2022
Impulse

Teure Fehler im Bewerberprozess

Spruchreif – die Rechts-Kolumne für Entscheider:innen

Elke Fasterding. Foto: Privat.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gibt es nun schon seit August 2006. Noch immer sind Stellenausschreibungen leider nicht geschlechtsneutral. Bei manch einem ist das 3. Geschlecht noch nicht angekommen, bei anderen wird munter nach jungen Mitarbeitenden gesucht … Ganz so easy peasy ist das nicht. Bei Verletzung des AGG droht Ungemach in Form eines Entschädigungsanspruchs von bis zu drei Monatsgehältern. Das ist nicht wenig.

Der heutige Beitrag befasst sich mit Entschädigungsansprüchen von Bewerbern, die wegen einer Schwerbehinderung benachteiligt worden sind. Das geht viel schneller als man denkt.

In der Privatwirtschaft gibt es gleich zwei Fallgruben:
a) die zu besetzende Stelle ist der Agentur für Arbeit nicht vorab gemeldet worden oder/und
b) die Absage des schwerbehinderten/ gleichgestellten Bewerbers ist nicht begründet worden.

Getreu dem Motto: Der Rechtsrat sollte besser sein als das Problem, wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre.

Herzlichst, Ihre Elke Fasterding
RAin beim AGV Braunschweig

Die Rechtsgrundlage

Steigen wir mal mit einem Blick in das Gesetz ein – das erleichtert die Rechtsfindung ganz ungemein. § 164 Absatz 1 SGB IX bestimmt: „Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Sie nehmen frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf …“

Geschieht dies nicht, so kann das ein Indiz für eine Benachteiligung schwerbehinderter/gleichgestellter Menschen sein und Entschädigungsansprüche nach dem AGG auslösen, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits mit Urteil vom 12.09.2006 – 9 AZR 807/05 – und jüngst für den Öffentlichen Arbeitgeber mit Urteil vom 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 -.

Was ist also zu beachten?

Jeder Arbeitgeber (!), der eine externe Stellenausschreibung vornimmt, muss mithin prüfen, ob die Stelle auch für einen Menschen mit einer Schwerbehinderung geeignet ist. Er hat frühzeitig Kontakt mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen, die sodann Vorschläge für aus ihrer Sicht geeignete schwerbehinderte Menschen unterbreitet. Um in diesem Punkt zu etwas Rechtssicherheit zu gelangen, empfiehlt es sich, vom Meldeverfahren Gebrauch zu machen, auch wenn dies nur für den öffentlichen Arbeitgeber verpflichtend ist (www.arbeitsagentur.de; Stichwort: Jobbörse).

Unmittelbar nach Eingang eines Vermittlungsvorschlags oder von Bewerbungen schwerbehinderter Menschen sind Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung (sofern vorhanden) zu informieren. Es besteht insoweit eine Anhörungspflicht dieser Gremien. Das bedeutet, dass den Gremien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Dies sollte dokumentiert werden. Das Unterlassen stellt ein Indiz für eine Diskriminierung dar.

Sofern die Pflichtquote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht oder nicht voll erfüllt ist, ist eine zusätzliche Erörterung für den Fall vorgeschrieben, dass die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist, § 164 Absatz 1 Satz 7 SGB IX. Diese Pflicht steht unter Bußgeldandrohung, § 238 Absatz 1 Nr. 7 SGB IX.

Bei dieser zusätzlichen Erörterung ist auch der schwerbehinderte Mensch zu hören. Das gefundene Ergebnis ist wiederum allen Beteiligten, also Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung und dem schwerbehinderten Menschen mitzuteilen. Auch diese Mittteilungspflicht ist bußgeldbewehrt. Ein Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf Einstellung entsteht dabei nicht.

„Verstößt aber der Arbeitgeber gegen Verfahrenspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen, liegt darin grundsätzlich ein Indiz im Sinne von § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass der schwerbehinderte Mensch wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt wurde“, so das BAG mit Urteil vom 28.09.2017 – 8 AZR 492/16 -.

Das AGG sieht dafür einen Entschädigungsanspruch von bis zu drei Monatsgehältern vor, § 15 Absatz 6 AGG.

Zusatzpflicht des öffentlichen Arbeitgebers

Der öffentliche Arbeitgeber hat gemäß § 165 Satz 3 SGB IX den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen! Das Unterlassen der Einladung ist grundsätzlich geeignet im Sinne des § 22 AGG den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG, Urteil vom 29.04.2021 – 8 AZR 279/20 -) und kann ebenfalls den Entschädigungsanspruch auslösen.

Die Einladung ist nur dann entbehrlich, wenn der Bewerber fachlich offensichtlich ungeeignet ist.

Begründungspflicht bei Absage schwerbehinderter Bewerber

Und da kann man nun noch eine Schippe drauflegen: Grundsätzlich besteht rechtlich keine Verpflichtung, die Absage gegenüber Bewerbern zu begründen und in Anbetracht der Regressfallen, empfiehlt es sich auch nicht. Anders jedoch, wenn sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter Mensch beworben hat.

Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 28.09.2017 klargestellt, dass die Ablehnung nur dann begründet werden muss, wenn die oben genannten Voraussetzungen (Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht und kein Einverständnis der Arbeitnehmervertretung) kumulativ vorliegen. Offen bleibt aber, ob die Begründungspflicht bestehen kann, wenn gar keine Schwerbehindertenvertretung und auch keine andere in § 176 SGB IX genannte Vertretung beim Arbeitgeber gebildet wurde.
Vorsorglich sollten Arbeitgeber daher Absagen an schwerbehinderte Bewerber weiterhin umfassend begründen. Der pauschale Verweis auf andere, besser geeignete Bewerber ist dabei nicht ausreichend.

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