Trotz anhaltender Pandemie und damit einhergehenden Lieferengpässen wächst die deutsche Wirtschaft weiter. Für 2022 schätzen internationale Organisationen und Wirtschaftsforscher:innen, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt zwischen 3,5 und 4,9 Prozent wachsen wird. Während Prognosen für 2021 noch eher verhalten waren – der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung passte seine Prognose vergangenes Jahr zuletzt auf 2,7 Prozent an – soll 2022 ein besseres Jahr werden.
Das Forschungs- und Beratungsunternehmen Prognos erkennt einen rückläufigen Trend. „Corona führt zu langfristigen Einbußen“, sagte Prognos-Chefvolkswirt Michael Böhmer. Einschließlich des Einbruchs im Corona-Krisenjahr 2020 wird die deutsche Wirtschaft demnach zwischen 2019 und 2024 rein rechnerisch um nur rund 1,1 Prozent jährlich und damit langsamer als in den fünf Jahren zuvor mit damals 1,7 Prozent jährlich wachsen.

Händler und Industrie blicken vorsichtig auf das neue Jahr
Zuletzt von der Konsumlust der Verbraucher getragen, blicken viele Händler:innen und auch das Handwerk vorsichtig optimistisch auf das neue Jahr. Schon 2021 zeichnete sich ab: Der Umsatz des Einzelhandels lag im November 5,9 Prozent über dem Vorkrisenniveau, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Eine gute Nachricht für Teile des stationären Einzelhandels ist das jedoch nicht. Besonders der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren musste auch im zweiten Jahr der Corona-Krise Umsatzeinbußen hinnehmen. Gebeutelt von Lieferengpässen und Materialmangel hat auch die Industrie nach wie vor mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen.
Die Nachfrage übersteigt weiterhin das Angebot und die Produktion ist stark behindert. Nach Angaben des ifo Instituts gaben in einer Befragung im November 2021 fast 75 Prozent der einbezogenen Industrieunternehmen an, von Produktionsbehinderungen durch Rohstoffknappheit betroffen zu sein. Das sorge wiederum für Preissteigerungen. Wir haben uns bei Kammern, Institutionen und Unternehmen informiert, wie der aktuelle Stand und die Prognose für unsere Region aussehen.
Handwerk erholt sich langsam von der Pandemie
Die Industrie- und Handelskammer prognostiziert ein langsameres Wachstum für die Region Braunschweig. In ihrer quartalsweisen Konjunkturumfrage hat die Kammer zufriedenstellende Rückmeldungen zur geschäftlichen Lage und zu den Geschäftserwartungen der Unternehmen bekommen. Die Konjunktur verliert gerade im Vergleich zum vorigen Quartal aber einiges an Fahrtwind. Denn der Umsatz wächst, aber deutlich langsamer. Sowohl Erwartungen als auch Investitionsabsichten sinken in allen Sektoren außer der Industrie. Dort ist die Geschäftslage nach wie vor deutlich schlechter als beispielsweise im Großhandel oder bei den Dienstleister:innen unserer Region.
Wachstumsprognose verschiedener Institute für die Entwicklung des deutschen Bruttoinlandsprodukts 2022 | |
Bundesregierung | + 4,1 % |
EU-Kommission | + 4,6 % |
Internationaler Währungsfonds | + 4,6 % |
OECD | + 4,1 % |
Bundesbank | + 4,2 % |
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung | + 4,6 % |
Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitut | + 4,8 % |
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW | + 4,9 % |
ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München | + 3,7 % |
Institut für Weltwirtschaft IfW Kiel | + 4,0 % |
Institut der deutschen Wirtschaft Köln | + 4,0 % |
Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut | + 3,5 % |
Institut für Wirtschaftsforschung Halle IWH | + 3,5 % |
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK | + 4,5 % |
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung RWI | + 3,9 % |
Quellen: Tagesschau, BMWI, EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds, OECD, Bundesbank, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, DIW, ifo Institut, IfW Kiel, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut, IWH, IMK, RWI |
Auch die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade hält ihre Erwartungen für das kommende Jahr vorsichtig niedrig. „Auch wenn die Konsumfreude der Verbraucher im Jahr 2022 stabil bleiben
dürfte, so steigt angesichts der offenbar deutlich ansteckenderen Omikron-Variante die Sorge vor erneuten Einschränkungen“, sagt Hauptgeschäftsführer Eckhard Sudmeyer. Auch die Störungen in den weltweiten Lieferketten dürften nach Ansicht Sudmeyers noch weit in das Jahr 2022 anhalten. Er nennt ebenfalls die Materialknappheit und zudem steigende Energiepreise als Faktoren für Unsicherheit. Dennoch bleibt Sudmeyer hoffnungsvoll.
Bereits 2021 verzeichnete das Handwerk eine nominale Umsatzentwicklung von zwei Prozent, für 2022 prognostiziert er einen Zuwachs von 3,5 Prozent. Rückschläge ließen sich bei einigen Gewerken allerdings nicht ausschließen. Friseur:innen, Kosmetiker:innen sowie die Gastronomie leiden noch am meisten unter der Pandemie.
Sorge um mögliche Pleitewellen groß

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes blieb die pandemiebedingte Pleitewelle im Jahr 2021 zunächst aus. Im Januar 2022 gab es im Schnitt 13,5 Prozent Unternehmensinsolvenzen weniger als im Vorjahreszeitraum. Expert:innen rechnen jedoch damit, dass die Zahlen im laufenden Jahr steigen werden. Die wirtschaftlichen Sorgen, die auch die Unternehmen in unserer Region äußern, bleiben groß angesichts des weiter grassierenden Coronavirus und anhaltender Einschränkungen.
Positives Fazit
Insgesamt zeichnet sich eine positive Prognose für das Wirtschaftswachstum im Jahr 2022 ab. Die konservativste Wachstumseinschätzung des Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut und des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle liegt schon bei 3,5 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erwartet sogar ein Wachstum von 4,9 Prozent. Vorausgesetzt, dass keine neuen Schocks, wie etwa Lockdowns, Schließungen oder andere starke Einschränkungen auftreten, wird die deutsche Wirtschaft laut dem Analyse- und Beratungsunternehmen Prognos im Jahr 2024 wieder auf eine Wachstumsrate nahe des langfristigen Potenzialwachstums einschwenken. Darunter wird die langfristige Veränderung des Bruttoinlandsprodukts bei einem normalen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten verstanden.
Prognos geht bei seiner Vorhersage davon aus, dass die Corona-Pandemie im Winter 2022/23 und in den Jahren danach unter anderem dank Impffortschritten das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben nicht noch einmal mit voller Wucht trifft.

Was sagen Sie?
Relevante Branchen- und Wirtschaftsvertreter:innen aus der Region zu der Frage:
Was stimmt Sie optimistisch, dass 2022 ein gutes Jahr für Ihre Branche wird?

Kerstin Borchardt, Finanzvorständin des Verbands deutscher Unternehmerinnen e.V. Landesverband Niedersachsen: Im Auf und Ab der Corona-Pandemie blicken wir auf zwei turbulente Jahre zurück. Obwohl in der Zeit Planbarkeit und Stabilität auf der Strecke blieben, starten wir optimistisch ins neue Jahr. Denn die Pandemie war auch Innovationstreiber und Turbo für Transformationen in den KMU. Daher begrüßen wir, dass die neue Bundesregierung den Aufbruch wagen will. Wichtig ist, dass sie schnell vom Planen ins Handeln kommt und die Vorhaben zu Entbürokratisierung, Arbeitskräftesicherung sowie Stärkung von Gründerinnen zügig umsetzt, ihre Finanzierung ohne Steuererhöhungen sichert und die unternehmerische Eigenverantwortung unterstützt.

Dieter Schwarze, Vizepräsident des Baugewerbe-Verbands Niedersachsen: Das vorangegangene Jahr war trotz der unüberschaubaren pandemischen Lage ein erfolgreiches für die Baubranche. Sie war einer der Stützpfeiler der deutschen Binnenwirtschaft. Die Auftragsbestände lagen auch am Ende des Jahres 2021 weiterhin hoch. Für 2022 rechnen wir mit einer Umsatzsteigerung von nominal 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Herausforderungen bestehen weiterhin bei der Materialverfügbarkeit und dem volatilen Materialpreisniveau. Das Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen und die Erhöhung der linearen Afa auf drei Prozent, stellen einen Anreiz für mehr Investitionen dar. Beim nachhaltigen Bauen und der energetischen Sanierung des Baubestandes ist die Baubranche stark gefragt.

Florian Oswin Hary, Bezirksvorsitzender DEHGOGA Braunschweiger Land Harz: Ich gehe davon aus, dass die Politik nach zwei Jahren verstanden hat, dass wir mit dem Virus leben müssen und uns nicht davor verstecken sollten. Somit sehe ich viele tolle Veranstaltungen und volle Betriebe das ganze Jahr. Wir haben gute Konzepte und bewiesen, dass wir damit ein tolles Angebot unterbreiten können.

Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachen: Für den Bereich der sozialen Hilfefelder können wir mit Jesus sagen: „Arme habt ihr allezeit um euch“ (Matthäus 26,11). Übertragen bedeutet das: An Patienten und Klienten mangelt es uns nicht. Leider, so müssen wir sagen, hat er auch gesagt: „Die Ernte ist groß, die Arbeiter aber sind wenig“ (Matthäus 9,37). Wir merken das, wie alle anderen Berufssparten auch: Es besteht ein Fachkräftemangel. Insbesondere im Bereich der Pflege und den Kindertageseinrichtungen sehen wir dies mit Sorge. Ein gutes Jahr wird es für uns dann, wenn aus der Pandemie eine Endemie wird. Und wenn wir das Interesse junger Leute, aber auch Berufsumsteigern an sozialen Berufen steigern können.

Oliver Schatta, Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Region Braunschweig-Gifhorn und Peine: Unser regionales Handwerk ist zuversichtlich und lässt sich diese Zuversicht auch durch die aktuelle Corona-Lage nicht nehmen! An dieser Stelle ist es angebracht Danke zu sagen, an alle Handwerkerinnen und Handwerker, die sich in dieser schwierigen Situation stets vorbildlich verhalten. Auch für dieses Jahr gilt es, sich den Problemen der Materialknappheit, dem Fachkräftemangel und der coronabedingten Situation zu stellen. Sehr positiv stimmt mich deshalb die hohe Auftragslage in vielen Gewerken. Diese hohe Auftragslage führt in einigen Bereichen sogar zu Wartezeiten auf Handwerksleistungen. Das Handwerk ist seit jeher ausgesprochen wandlungs- und anpassungsfähig. Das zeigt auch das Ergebnis unserer Konjunkturumfrage.

Max Richter, Vorstandsvorsitzender des Großhandels- und Dienstleistungsverbands Braunschweig: Lieferfähigkeit und Beratung sind dieser Tage der Schlüssel für gute Kundenbeziehungen. Gerade der regionale Großhandel und seine mittelständischen Akteure setzen seit jeher auf faire und nachhaltige Lieferantenbeziehungen und intelligentes Supply-Chain-Management. Das macht dieser Tage den Unterschied und sorgt für Lieferfähigkeiten. Anonyme Großhandelsriesen enttäuschten genau dort oft. Beratung zu alternativen und lieferfähigen Produkten? Fehlanzeige. Guter Großhandel geht anders und setzt auf Service. Nach den Erfahrungen in 2021 wird 2022 deswegen sehr wahrscheinlich ein weiteres Jahr, in dem der mittelständisch geprägte Großhandel unserer Region weitere Kunden gewinnt. Wir freuen uns drauf!

Florian Bernschneider, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Region Braunschweig e.V.: Corona baut Lieferketten um, der Klimawandel unsere Energienetze, die Demografie unsere Belegschaften und Kulturen. Es gibt in 2022 offensichtlich zu viel zu tun, dass man sich um fehlende Nachfrage sorgen müsste. Vielmehr steht fest: Die großen Veränderungen werden den „Kuchen“ völlig neu verteilen und es gibt sehr gute Chancen, dass das Stück unserer Region dabei größer wird als je zuvor. Denn anders als vor 15 Jahren zählt mehr als der Preis. Verlässlichkeit und Qualität erleben in 2022 ihr globales Comeback. Doch Vorsicht vor der Kehrseite von Verlässlichkeit – da ist zu viel Wandel für den Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Doch die forschungsintensivste Region Europa sollte auch damit umgehen können, oder?

Marco Brunotte, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen: Noch nie waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren stärker armutsgefährdet. 2019 war es in Niedersachsen mehr als jedes fünfte Kind, das mit ungleichen Chancen für seine materielle, soziale, kulturelle und gesundheitliche Entwicklung kämpfen musste. Obwohl Deutschland zu einem der reichsten Länder der Welt zählt. Die Corona-Pandemie verschärft die Lage. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, das lange von Gesellschaft und Politik ignoriert wurde. Doch nun besteht Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung: Die neue Bundesregierung will die Kindergrundsicherung einführen, um so von Armut bedrohten Familien zu helfen und sie vor Armut zu schützen. Das stimmt mich hoffungsvoll.

Werner Bösemann, Landesvorstandsmitglied der Familienunternehmer: Die Familienunternehmer blicken heute positiver auf das neue Jahr als noch vor zwölf Monaten. 56 Prozent gehen davon aus, dass ihr operatives Geschäft 2022 wächst beziehungsweise stark wächst. Diese positiven Aussichten werden momentan stark durch Lieferengpässe und Fachkräftemangel getrübt. Auch bei den Unternehmen unserer Region ist der Fachkräftemangel auf der Liste die größte Herausforderung. Darüber hinaus belasten Lieferengpässe und teilweise stark steigende Energie-, Rohstoff- und Zulieferpreise unsere Mitglieder. Deshalb werden viele Unternehmen weiterhin auf Unterstützung angewiesen sein. Dennoch überwiegt der Optimismus mit Blick auf ein hoffentlich baldiges Ende der epidemiologischen Situation.

Olaf Jaeschke, Vizepräsident Handelsverband Niedersachsen-Bremen e.V.: Ehrlich gesagt, bin ich mir gar nicht sicher, ob ich hoffnungsvoll sein darf, dass 2022 ein gutes Jahr für den Einzelhandel werden wird. Noch treiben die coronabedingt rückläufigen Kundenfrequenzen Sorgenfalten auf die Stirn. Ein wenig Hoffnung können wir derzeit allenfalls damit verbinden, dass zumindest einige Experten sagen, dass die Omikron-Variante des Corona-Virus zwar erheblich ansteckender als alles bisher bekannte ist, jedoch die Verläufe bei einer Infektion für geimpfte Personen deutlich milder sind. Vielleicht hilft uns das, damit wir spätestens, wenn es wieder etwas wärmer wird, wieder ein Mehr an Zulauf und Normalität im stationären Handel verzeichnen. Und schließlich gilt: Menschen, die im Einzelhandel unternehmerisch tätig sind, sind von Natur aus Berufsoptimisten!

Helge Leinemann, Vorstandsvorsitzender, VPLT, Der Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik e.V.: Das Einzigartige an unserer Branche ist, dass wir vor allem dann tätig werden, wenn Menschen zusammenkommen – sei es, um Kultur zu genießen, sich auf Tagungen und Messen zu informieren oder Open-Air-Konzerte zu erleben. Dies war unserem Publikum in der Pandemie nicht möglich, so dass wir uns in Teilen neu erfinden mussten. Natürlich hoffen wir, dass dieses gemeinsame Zusammenkommen in 2022 recht bald wieder möglich ist. Die Menschen unserer Gesellschaft wünschen es sich, weil wir soziale Wesen sind. Ich rechne mit einem großen Nachholbedarf. Tausende werden damit wieder ihren Lebensunterhalt verdienen und eine wieder blühende Veranstaltungswirtschaft knüpft an frühere Erfolge an.