In der deutschen Wirtschaft ist Spätherbst – zumindest, was die wirtschaftliche Stimmung anbelangt. Die fetten Jahre seien vorbei, stellte Bundesfinanzminister Olaf Scholz Anfang Januar halbamtlich fest. Denn nach fast einem Jahrzehnt Hochkonjunktur wuchs das Bruttoinlandsprodukt 2018 nur noch um 1,5 Prozent. Das sind 0,7 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr.
Die deutsche Wirtschaft verliert also an Schwung. „Das ist zwar ein geringerer Anstieg der Wirtschaftsleistung als noch zu Jahresbeginn erwartet wurde, letztlich aber als eine Normalisierung nach Jahren des überdurchschnittlichen Wachstums zu werten“, sagte Dr. Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), im Konjunkturbarometer Dezember 2018.
Zwischen Abkühlung und Rezession?
Und 2019? Im Schnitt der Konjunkturprognosen soll die Wirtschaft in diesem Jahr um anderthalb Prozentpunkte wachsen, ein vergleichbares Tempo zum Wirtschaftsjahr 2018. Börsenprofis prognostizieren indes bereits eine Rezession. Technisch betrachtet sei dies möglich, so Michelsen, schließlich spreche man von einer Rezession, wenn die Wirtschaft zwei Quartale in Folge schrumpfe. Insbesondere die Sondereffekte der Automobilwirtschaft seien in diesem Kontext schwer zu quantifizieren, doch die Grunddynamik der deutschen Wirtschaft bleibe intakt: „Das Auslandsgeschäft läuft nach wie vor relativ gut. Vor allem wird der private Konsum durch die Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind und zu Jahresbeginn 2019 wirksam werden, angeschoben.“ Schluss mit dem Konjunkturpessimismus, fordert deshalb Wirtschaftsminister Peter Altmaier, denn unterm Strich seien die Auftragsbücher nach wie vor voll und Deutschlands Wirtschaft in guter Verfassung.
„Die Wirtschaft ist gewachsen, die Löhne sind gestiegen, die Renten sind gestiegen, selbst die Steuereinnahmen sind gestiegen – und ich bin zufrieden damit“, sagte auch IHK-Präsident Helmut Streiff beim Neujahrsempfang in Braunschweig. Und in der Tat sind die Arbeitslosenzahlen im Vergleich zur Mitte der Nullerjahre auf einem Rekordtief. Laut Statistischem Bundesamt waren Ende 2018 45,1 Millionen Deutsche erwerbstätig. Damit nahm die Zahl der Erwerbstätigen im Vergleich zum Vorjahr um 1,1 Prozent zu. Ohne Job waren zuletzt nur noch 1,41 Millionen Menschen.
Export und Industrie als Motor
Für diesen Höhenflug ist besonders der Export verantwortlich. Rund 23 Prozent der deutschen Wertschöpfung stammen zudem aus der Industrie – ein Spitzenwert im Vergleich zu den europäischen Nachbarn oder den USA, deren Fertigungssektor in den vergangenen Jahren erkennbar abgenommen hat . Vor allem der Anlagen- und Maschinenbau, die Chemie- sowie Automobilindustrie haben davon profitiert – geraten aktuell aber zunehmend unter Druck. Die Gründe dafür sind divers.
So haben die Schwellenländer in den letzten Jahren technologisch aufgeholt und sind nicht mehr so stark auf Importe angewiesen – in der Folge schrumpfen die Märkte. Außerdem bedrohen die protektionistische Politik des US-Präsidenten Donald Trump und der nahende Brexit den freien Handel. „In der Industrie, die zuletzt Auftragsrückgänge verzeichnen muss, sehen wir nun leider die ersten Auswirkungen einer rauer werdenden Welthandelspolitik“, betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernd Meier.
Auf der Suche nach Wertschöpfung und Mitarbeitern
Unter politischem Druck steht auch die Automobilindustrie. Zwar blieb Volkswagen 2018 mit 10,74 Millionen verkauften Fahrzeugen größter Autobauer der Welt, doch strengere Grenzwerte und die Umstellung auf das Abgas-Prüfverfahren WLTP haben die Konzerne ausgebremst. Die beginnende Elektrifizierung und Digitalisierung der Mobilität bedeuten einen weiteren Kraftakt für die etablierten Automobilkonzerne. Denn gerade die traditionellen Wertschöpfungsblöcke (Verbrennungsmotor, Fahrwerk), für die deutsche Autos weltweit berühmt und begehrt sind, stehen zur Disposition. Alle niedersächsischen Branchen leiden laut einer aktuellen Analyse der Nord-LB zudem immer stärker unter dem sich verschärfenden Fachkräftemangel.
„In der Industrie, die zuletzt Auftragsrückgänge verzeichnen muss, sehen wir nun leider die ersten Auswirkungen einer rauer werdenden Welthandelspolitik.“ IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernd Meier.
Durchschnittlich dauert es gegenwärtig 145 Tage, bis eine freie Stelle besetzt ist. Es fehlen vor allem Pfleger, Ingenieure und IT-Experten, aber auch für die brummende Konjunktur im regionalen Tourismus wird die erfolglose Mitarbeitersuche zum Risiko. Dabei gehe es längst nicht mehr nur um qualifizierte Fachkräfte, erklärt Martin Exner, IHK-Tourismusexperte und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg, in der Saisonumfrage: „Drei Viertel der Befragten haben angegeben, dass sie schlichtweg gar keine Bewerbungen auf ihre Ausschreibungen erhalten haben.“ 240 Betriebe haben an der Saisonumfrage teilgenommen.