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30. August 2016
uncategorized

„Zehn Prozent tun den meisten nicht weh“ (4/5)

Alexander Brochier, Gründer der gleichnamigen Stiftung über Kinderarmut vor der Haustür, den Spagat zwischen Wohltäter und Unternehmer und die Herausforderung, mit Menschlichkeit Geld zu verdienen

Brochiers Baby: Das Haus des Stiftens an der Landshuter Allee in München. (Foto: Haus des Stiftens)


Wieso engagieren Sie sich ausgerechnet für Kinder?

Ich hätte auch in einem indischen Slum, auf der Straße in Brasilien oder todkrank auf die Welt kommen können. Kinder sind unschuldig, ehrlich und sie unterdrücken ihre Gefühle nicht. Außerdem liebe ich sie – ich habe ja selbst vier. Wo das herkommt, weiß ich nicht.


Wie erklären Sie sich, dass es in einem reichen Land wie Deutschland überhaupt Kinderarmut gibt?

Das hat mich am Anfang wütend gemacht. Wir haben Touren nach Nürnberg und Köln organisiert. Ich dachte mir, dass man die Reichen nur kriegt, wenn man sie an die Orte bringt. Wenn sie das Drama anfassen können und sehen, dass die Kinder den ganzen Tag ohne Frühstück sind und in welchen Verhältnissen sie leben müssen. Aber selbst die Bereitschaft, überhaupt mitzufahren, war leider nicht sonderlich groß.


Haben Ihre Unternehmerkollegen mittlerweile Angst vor Ihnen?

Nicht unbedingt Angst, aber ich bin schon ein Außenseiter. Gerade in den letzten Jahren habe ich mit vielen reichen Menschen Diskussionen geführt. Meine erste Aktion überhaupt war, 90 sehr reiche Freunde anzuschreiben. Am Ende habe ich 5.000 D-Mark bekommen. Da lernen Sie Demut.


Können Sie sich erklären, warum man sich zugeknöpft gezeigt hat?

Die erste Generation gibt gar nichts. Sie behaupten, dass sie sich das alles selbst erarbeitet haben. Gerade neulich ist ein Firmeninhaber verstorben, der schätzungsweise 800 bis 900 Millionen Euro hinterlassen hat. Noch vier Wochen vor seinem Tod habe ich zu ihm gesagt: "Mach doch endlich was" und er entgegnete: "Mir hat auch keiner was geschenkt." Was war das Ergebnis? Seine Kinder bekriegen sich heute und streiten um das Erbe. Wenn er das sehen würde, würde er sich im Grabe umdrehen.


Haben Sie für diese Haltung auch ein gewisses Maß an Verständnis?

Schon, weil diese Menschen ein Unternehmen mit Mitarbeitern aufgebaut haben – das ist auch wertvoll. Ein Unternehmen ist zugleich eine soziale Einrichtung. Aber wer im Geld erstickt und es dann an verweichlichte Kinder vererbt, die bisher nichts geleistet haben, macht meiner Meinung nach einen Fehler.


Sind Menschen, die reich geboren sind, eher bereit etwas abzugeben?

Ja, denn sie haben es nicht kennengelernt, von null anzufangen, und können sich auch eher vom Unternehmen abgrenzen.


Können Sie überhaupt noch aus Ihrer Rolle als Botschafter heraus?

Das ist, wie wenn man auf einem Konzert ist und am Ende steht einer auf und klatscht. Alle schauen denjenigen an und dann steht der Zweite auf klatscht. Wenig später steht der Dritte auf und ich bin spätestens der Vierte. Entweder du bist der Spinner, stehst auf und setzt dich wieder hin oder es stehen alle auf. Und ich höre nicht auf, immer wieder aufzustehen.


Wie bewerten Sie das amerikanische Modell vom schlanken Staat mit relativ großem Stiftungswesen?

Man sieht in den USA ganz besonders, wie es nicht funktioniert. Dort ist zwar das Engagement sehr viel größer, aber es gibt auch viele Fragezeichen. Ich möchte nicht wissen, was in den Stiftungen alles bezahlt wird, denn es gibt kaum Transparenz. Wenn ich mir außerdem das Gesundheitssystem anschaue und das Sozialwesen, würde ich sagen, fühle ich mich hier deutlich wohler.


Ist es nicht ein Widerspruch, dass gerade die Menschen, die durch ein hartes Geschäftsmodell reich geworden sind, am Ende zu Wohltätern werden?

Am Ende werden viele Menschen gütig. Mein Vater war auch so. Ich war wohl von Anfang an eher ein Weichei (lacht).


In einem Managerseminar vor 30 Jahren mussten Sie Ihre eigene Grabrede verfassen und beschreiben dies als Ausgangspunkt für die eigene Neuerfindung. Haben Sie die damals gesteckten Ziele erreicht?

Nach zehn Jahren hatte ich schon alles erfüllt, was ich aufgeschrieben hatte. Damals habe ich mir das angeschaut und die finanziellen, gesundheitlichen, geschäftlichen und sozialen Ziele waren erreicht. Vielleicht habe ich mir einfach zu niedrige Ziele gesetzt. Ich würde nicht einen Teil anders machen – außer: Ich war damals erst einmal verheiratet, das hatte ich nicht mit eingeplant (lacht).

 

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"Zehn Prozent tun den meisten nicht weh" – Alexander Brochier, Gründer der gleichnamigen Stiftung über Kinderarmut vor der Haustür, den Spagat zwischen Wohltäter und Unternehmer und die Herausforderung, mit Menschlichkeit Geld zu verdienen (5/5)

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